„Wo seid ihr, Feen des Tals ohne Wiederkehr? Wir meinen die Kindheit, wenn wir von der <Fee> sprechen und ihren Tod beklagen.“
Sylvain Tesson – Mit den Feen
Wann gab es das eigentlich zuletzt? Einen Moment, in dem es wirklich still war in mir. Einen Moment, in dem ich gesehen habe was ich sehe? Ohne Ablenkung. Habe ich das verlernt? Einen bewußten Moment erinnere ich. Dann noch einen. Gicht in meinem Gesicht, Polarlicht am Himmel. Eine Hand in meiner Hand. Ein Gefühl des Glücks, das stark war. Mit Händen zu greifen. Diese Momente, sie waren oft in und mit der Natur. Manchmal vor der Haustür. Meist unterwegs. Unterwegs ist auch dieser Autor. Er ist ein passionierter Reisender und er schreibt über sein Unterwegssein, wird als Meister des Nature Writing gehandelt, das unterstreiche ich gern doppelt. Sein offener Blick für die kleinen Dinge, für die am Wegesrand, WIE er formuliert um zu beschreiben was er sieht und fühlt, finde ich schlicht großartig. Aber ich will nicht vorgreifen, lasst uns am Anfang beginnen und auf jeden Schritt achten …
Mit den Feen von Sylvain Tesson
Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt und diese hier, die unter Segeln bis nach Schottland führen soll, startet an einem der Enden unserer Welt. In Galicien. Hier übernachtet Sylvain Tesson, bevor er an Bord geht, auf einem Granitfelssporn, in Castro de Baroña, ganz in der Nähe einer der besterhaltenen Keltensiedlungen. Die nimmermüde werdenden Atemzüge des Meeres, das Meer wird für die kommenden Wochen sein Zuhause sein, wiegen ihn in den Schlaf. Zu dritt und begleitet von zahlreichen Büchern und Zitaten, wollen die Gefährten einen Törn entlang der bretonischen Küste, über Wales und Irland, hinauf zu den Äußeren Hebriden unternehmen. Eine Reise und eine Spurensuche soll es werden. Spuren kommt von spüren und um das Spüren dreht es sich bei Tesson im Grunde immer.
Feinfühlig für uns übersetzt hat aus dem Französischen Nicola Denis, die seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich lebt, 2021 mit dem Prix lémanique de la traduction, 2023 mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnet wurde und die bereits Der Schneeleopard ins Deutsche übertragen hat. Diese Reise in den Himalaya, die Tesson gemeinsam mit einem Naturfotografen unternommen hat, hatte ich schon vorgestellt. Für alle die es verpasst haben oder sich noch einmal mit mir auch an seine Wanderung Auf versunkenen Wegen erinnern möchten, hüpft durch einen Klick auf die eingefügten Cover auf den Link zu meinen Beiträgen.
Sylvain Tesson, geboren 1972 in Paris, als Entdecker, Schriftsteller und Geograf verschlug es außer auf seinem Fußmarsch durch den Himalaya und durch Frankreich, auf Expeditionen u.a. nach Island, zu Pferd durch die Steppe Zentralasiens und mit dem Fahrrad um die Welt. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt de la nouvelle und mit dem Prix Renaudot für <Der Schneeleopard> spielt Tesson für mich, mit seinen Essays und Reiseberichten, in einer ganz eigenen Liga. Wie eine Schneekönigin habe ich mich deshalb auf diesen neuen Streich von ihm gefreut. Im Rowohlt Verlag, ganz lieben Dank für das Besprechungsexemplar, erschien Mitte Oktober 2025 <Mit den Feen>.
Tesson vermag es mit seinen Sätzen Bilder zu zeichnen, die zum Innehalten schön sind. Mit ganz feinen Strichen tut er das, nicht mit dem dicken Pinsel. Mehr noch, man spürt auch beim Lesen. In diesem Fall Wind und Wellen, hört Tosen und Brandung, wird Teil der Stille. Besonders sind diese Texte, poetisch und sanft. Er ist ein aufmerksamer Beobachter und wenn ich seinen Worten folge, die er laut Le Figaro „fliegen lässt“, dann nehme ich mir vor, künftig auch genauer hinzuschauen wenn ich unterwegs bin, mehr im Augenblick zu verbleiben.
Jeder Achtsamkeitstrainer würde beifällig nicken, es könnte so einfach sein und ist doch so schwer, alle Ablenkung, auch die durch unsere elektronischen Begleiter für eine Weile nur auszublenden. Einmal nur mit den Augen zu fotografieren, die innere Festplatte neu beschreiben. Mit dem was uns umgibt. Mit dem was uns Landschaften und ihre Spuren aus vergangenen Zeiten erzählen.
Wie ein Gedicht ohne Worte, für einen Moment ist das Leben leicht. In der Schönheit einer Landschaft. In der Einsamkeit am Rand eines Meeres. Auf dem Meer, an seinen Ufern. Vielleicht ist er das. Der Feenzauber. Diese Magie des Augenblicks. Die wir, ich, viel zu selten durch Innehalten genieße. Mit Sylvain Tesson kann Frau das. So viele Sätze hat es in <Mit den Feen>, einzelne Formulierungen, die ganze Bilderfluten in mir ausgelöst haben. Wohltuend fühlte sich das an und zum Durchatmen.
Türen hat er mir aufgestoßen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie verschlossen waren. Durch sie konnte ich bis in meine Kindheit schauen. Sah mich beim Himbeerenpflücken, beim Blaubeerensammeln mit meinem Großvater, der auch so gerne draußen war. Der alles kannte was da krabbelte und wuchs und Geschichten. So wie mein Vater, sein Sohn, der mit einem grünen Daumen auf die Welt gekommen sein muss. Bei einer Wanderung im Wald, am Berg, im Wind auf einer Klippe. Da spüre ich die, die ich auf meinem Lebensweg zurücklassen musste am deutlichsten. Das ist vielleicht auch Feenmagie.
Oder der Geist eines göttlichen Wesens, der mich sofort umfing, als ich mit Sylvain Tesson diese Kapelle, an der bretonischen Küste betreten habe. Auf Felsen bin ich dort mit ihm gestanden, die französische Geologen Anémorphose, <Der Wind gebiert die Fee> nennen. Freundliche Himmel habe ich erlebt, seidiges Meer und vielversprechende Strömungen. Unter einem Schloss aus Sandstein, haben wir gemeinsam geankert, das von der Zeit, zusammen mit ihren beiden Vollstreckern, Wind und Brandung, gemeißelt worden ist. So beschreibt Tesson diese Szenerie und ist sich sicher, nur das Kielwasser kennt die Wahrheit. Es schließt sich sofort wieder und ich meine Augen.
Unterwegs in dieser Welt, mit ihrer geheimen, eigenen Ordnung reift eine Erkenntnis. Die Gewissheit von Ordnung und Schönheit besänftigt labile Seelen. Seine Worte. Nicht meine. Wunderschön.
Nichts weniger als sanfte Schatten, uralte Meilensteine und Leuchttürme, die in der schäumenden Gischt stehend, die Ordnung der Welt beschreiben, Poesie und bisweilen Blumigkeit im Ton, Wind im Gesicht und Mystik im Herzen, dürft ihr erwarten, wenn ihr euch für diese Erzählung entscheidet. Reflektiertheit und Nachdenklichkeit runden sie ab.
Warum den Advent nicht so beginnen? Dahingleitend, windumtost, staunend und mit Gedanken genährt die Zuversicht stiften, die tröstlich sind. Wie schön festzustellen, dass es noch immer, egal wie alt wir sind, möglich ist Entdeckungen zu machen, manchmal auch Bekanntes neu und komplett anders zu sehen. Das geht sogar vom Sessel aus. Denn solange uns Abenteurer wie Sylvain Tesson an die Hand nehmen, uns bei unserer lebenslangen Suche begleiten, werden uns die Augen übergehen. Merci! Merci, dafür und diesen Satz nehme ich mir mit und vor genau das zu tun:
„Wir tun gut daran stets auf der Lauer zu liegen. Nach dem Wunderbaren.“
Sylvain Tesson – Mit den Feen



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