Wir betrachten dieselben Sterne, sehen jedoch nicht dasselbe.
Textzitat Pascal Janovjak
Kann sich Rohöl, der Lebenssaft unserer Zivilisation, ganze 200.000 Tonnen davon, in Luft auflösen? Das fragt uns dieser Autor und stellt uns vor einen rätselhaften Fall aus dem Jahr 1980. Ein Schiff, getauft auf den Namen Salem, wird im Dezember 1979 im Hafen von al-Ahmadi in Kuwait vollgetankt und sticht in See. Der Wert seiner Ladung belief sich zu dieser Zeit auf 50 Millionen Dollar. Weil die Salem zu schwer war für den Suezkanal musste sie Afrika auf ihrem Weg nach Europa umrunden. Auf Höhe des Senegal brach an Bord Feuer aus und der Tanker versank im Meer. Man bereitete sich auf eine Ölpest vor. Doch die blieb aus. Was daraufhin losging waren gleich dreizehn parallel laufende Untersuchungen, die alles daran setzten diesen „Jahrhundertbetrug“, wie die Presse rasch titelte, aufzudecken …
Die Zeit ist trügerisch auf dem Meer. Wenn man mit der Sonne fährt, ziehen die Schatten nicht vorbei, sie bleiben an Deck wie verirrte Geister, die sich verlaufen haben.
Textzitat Pascal Janovjak
Die Fahrt der Salem von Pascal Janovjak
Aus dem Tagebuch eines Matrosen:
Er und Bilal hatten noch nie auf einem Öltanker gearbeitet und wie jetzt die Wände ziterten vor der Beladung war furchteinflössend. Einmal, so erzählte Onan, war er abgestiegen in einen der Tanks um ihn zu reinigen und in der Schwärze unter Deck, da war ihm etwas begegnet. Nur knapp sei er mit dem Leben davon gekommen. Er war sich sicher, es war ein Dämon und Bilal glaubte ihm. Im Bauch dieses Schiffes lebte etwas, das älter war als sie. Das Böse brauchte keine Gestalt, was sie nicht ahnten, es war vorhin an Bord gegangen.
In Gestalt eines Kapitäns mit gefälschtem Diplom, polizeilich gesucht wegen Veruntreuung. Einem Funker, nicht unschuldig am Versenken eines anderen Schiffes, einem Ersten Offizier, noch ohne Strafregister und einem Chefingenieur, mit nicht unbedeutender Sprenstofferfahrung. Diese Männer betraten die Salem gemeinsam am 3. Dezember 1979. Sie werden eine Mannschaft anheuern, bestehend aus vierzehn Griechen und zehn Tunesiern. Mit ihnen wird das Schicksal seinen Lauf nehmen. Er scheint das schon zu wissen: Ein ketterauchender Schiffsmakler, der sich nur zu gerne hinter Tarnfirmen versteckt, parkt am Hafen und beobachtet aus seinem Mercedes heraus das Anbordgehen.
Pascal Janovjak, geboren 1975 in Basel, studierte Komparistik und Kunstgeschichte mit Lehrauftrag. In Tripoli, Bangladesch und Palästina hat er gearbeitet, seit 2011 lebt er in der italienischen Hauptstadt. Sein preisausgezeichneter Roman <Der Zoo in Rom>, der 2021erschienen ist, befindet sich noch in meinem Lesevorrat. Ich freue mich drauf. Für den Lenos Verlag Basel, lieben Dank für das Besprechungsexemplar, hat Barbara Sauser Janovjaks aktuellen, <Die Fahrt der Salem>, aus dem Französischen übersetzt. Sauser, die 2023 mit dem Viceversa-Preis für literarische Übersetzung der Schweizerischen Schillerstiftung ausgezeichnet worden ist, schlägt im Deutschen einen Ton an, der mir sehr gefallen hat. Sie hält perfekt die Balance zwischen rauh und zart, sachlich und atmosphärisch, denn Pascal Janovjak balanciert gekonnt auf der Grenze zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Wahn und Wahrheit und wer einen „normalen“ Krimi erwartet, der wird, wenn er erst in den Text eingestiegen ist, erstaunt die Augenbrauen hochziehen. Diese Geschichte liest sich wie der sprichwörtliche Blick durchs Schlüsselloch und entwickelt rasch eine starke Sogwirkung.
Auch wenn man von Beginn an weiß, was geschehen ist, weiß man doch rein gar nichts und die Umstände dieses Betruges, der fraglos einer war, sich danach mit Janovjak auf die Suche zu machen, immer wieder zwischen durch einzutauchen in das Leben an Bord, von dem er uns durch einen Matrosen erzählen lässt, das fand ich genial.
Genial anders erzählt und auch thematisch genial anders. So viel gleichartiges gibt es dieser Tage auf den Büchertischen und wer noch nach Geschenkideen sucht, für jemanden der Spannung mag und eigentlich schon alles gelesen hat, dann passt Die Fahrt der Salem perfekt.
Jede Menge gelernt über den Handel mit Rohöl habe ich auch. Kein Bild hatte ich mir bis dahin davon gemacht. Hatte keine Ahnung, dass es offenbar normal ist, an einer Raffinierie einen Tanker zu beladen, der hat auch erst einmal einen Zielhafen und seine Ladung, einen Käufer hat. Dafür sorgt ein Trader. Dann, das Schiff ist unterwegs, verändert sich der Preis und es gibt ein besseres Gebot. Was folgt sind Kursänderungen.
Bis die Ware schlußendlich beim Meistbietenden ankommt, steuert die Besatzung ins Ungewisse, sieht oft monatelang keinen Hafen mehr und die einfachen Matrosen, angeheuert aus aller Welt, kennen das Ziel nicht.
Halten Stürme, Kälte oder auch extreme Hitze aus, diese Schiffe sind auf allen Weltmeeren unterwegs, mit allen Risiken und es sind keine Traumschiffe. Das Leben und Arbeiten an Bord ist beinhart und Pascal Janovjak versucht mittels einer sehr intensiven Erzählart dieses transparent zu machen. Das gelingt ihm poetisch und eindringlich, krass kontrastieren Sprache und Geschehen, was einen Großteil der Faszination dieses Textes für mich ausgemacht hat.
Sie heißen Wassim, Idris, Firas, Onas und Nikos. Die Matrosen der Salem und Kameraden eines namenlos bleibenden Ich-Erzählers, dessen Tagebucheinträgen ich atem- und sprachlos gefolgt bin. Sie wechseln sich ab mit der Schilderung des Recherche- und Schreibprozesses, den der Autor dieser Geschichte, inmitten des Ausnahmezustandes eines erneuten Lockdowns während der Corona-Pandemie, getrennt von Frau und Tochter, in Italien durchlebt.
Das Meer begehrt das Schif in jedem Moment, es wiegt und liebkost es gierig und braucht nur ein klein wenig Unterstützung, ein paar Minuten Zeit, um es zu verschlingen, um es zu sich zu holen, um diese ganze geduldig bearbeitete Materie in seine Ewigkeit mitzunehmen. Nur darauf wartet das Meer, seit Jahrtausenden schon.
Textzitat Pascal Janovjak
Im Rost der Salem wohnen Geister. Er nagt an ihrem Rumpf, narrt die, die an ihm kratzen. Deren Kraft und Zuversicht er verzehrt, mit jeder Seemeile, die sie sich vom Festland entfernen mehr. Auf einem Meer, horizont- und uferlos, wird an Bord ein Schnitt ins Fleisch am morschen Metall zur Lebensbedrohung. Mehr und mehr fehlt es an allem. Am Nötigsten. Was diejenigen, die hier den Plan in der Tasche haben null kümmert.
Wieviel ist ein Menschenleben wert? Hier wird es aufgewogen in DWT. Die <deadweight tonnage>, die Tragfähigkeit in Tonnen, ist das Maß der Dinge. Ich staune und lerne während Pascal Janovjak recherchiert, die Lücken mit Fantasie füllt und ein Hütchenspiel beginnt, das zu verblüffen versteht.
Tagebücher und Schweigegeld das Träume nährt. Die Geschichte von Donald Crowhurst, der bei einer Regatta in den Wahnsinn segelte und nie gefunden wurde. Gedanken, die versuchen während des Rechercheprozesses die Wahrheit zu durchdringen. Eine Wahrheit. Wessen Wahrheit?
Ich mochte diesen Zweifel, den Janovjak zu zerstreuen sucht. Die losen Fäden, die sich nicht fassen lassen wollen. Die ihm immer weiter entgleiten. Die Zeit der Corona-Pandemie, in der er zu schreiben beginnt, zwei Jahre, eine Zeit, in der nichts mehr Gewissheit hatte als die Ungewissheit. In der er in seinem Romanprojekt herumtrieb, wie ein Schiff ohne Kurs. Aufgeben wollte, uns diese Geschichte zu erzählen. Zum Glück hat er es nicht getan und genauso. Sich erinnert daran als die Pandemie unserem Planeten die Räumlichkeit zurückgab, wie er schreibt. Flugzeuge am Boden blieben, Schiffe in den Häfen. Eine Zeit, in der wir uns nicht mehr die Hand gaben.
Geschichten beginnen, wenn Abenteuer enden, schreibt Janovjak und erhebt die Salem auf den Stand der Titanic, auf den eines Fliegenden Holländers. Dieser Coup ist unsterblich.
Schwankend, spannend und sprachlich auf dem Punkt, dickes Dankeschön nochmal an Barbara Sauser für diese so stimmige Übersetzung. Sie hat mich kopfüber abgetauchen lassen in die Welt eines Betruges, die, wenn wir ehrlich mit uns sind, uns immer die Daumen für die Gauner drücken lässt. Das und ob sie erwischt werden treibt uns mindestens so wie das „Wie“.
So ist dieser Text auch. Bis in die letzte rostige Niete großartig erzählt. Alltagsphilosophisches mischt er gekonnt mit Verbrecherischem, Sehnsucht mit Fernweh, Fakten mit Fiktion. Er stellt klar und verschleiert. Die Gestalt desjenigen, der am Ende der Schlüssel war.

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