Wenn die Sonne untergeht (Florian Illies)

Die Buddenbrocks, Tod in Venedig, Der Zauberberg. Thomas Mann, geboren am 06. Juni 1975, verstorben am 12. August 1955 in Zürich, der Autor dieser Geschichten wurde 1929 für sein Schaffen mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Er gilt als einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts und in diesem Jahr, gab es rund um seinen 150. Geburtstag einige Veröffentlichungen auch seine Person betreffend. Seit dem 22.10.2025 ist diese erhältlich.

Florian Illies, Journalist, Kunsthistoriker und Kurator, geboren am 04. Juli 1971 in Schlitz, schrieb u.a. schon über die Generation Golf, den Zauber der Stille und die Liebe in Zeiten des Hasses, öffnet diesmal ein Zeitfenster von drei Monaten, durch das er uns auf einen prägenden Ausschnitt im Leben Thomas Manns schauen lässt:

Die Manns sind nach einer Flucht über das Engadin und Lugano in Südfrankreich angekommen. In einem Ort, der zu dieser Zeit zu einer Art Enklave für zahlreiche aus Nazi-Deutschland geflohene Künstler und Schriftsteller wurde. Aldous Huxley lebte etwa ein Jahr in Sanary-sur-Mer als Thomas Mann mit Familie dort ankam. Seine Vision einer schönen neuen Welt hat er hier geschrieben. Neben Thomas Mann strandeten unter anderen Lion Feuchtwanger, Berthold Brecht, Stefan Zweig und Joseph Roth in dem Dreitausend-Seelenort an der Cote d’Azur, der zur „Hauptstadt der deutschen Literatur im Exil“ wurde. So titelte Der Spiegel und eine Zeit lang trug Sanary-sur-Mer, das idylisch zwischen Marseille und Toulon liegt, den Spitznamen Sanary-les-Allemands

Wenn die Sonne untergeht von Florian Illies

Nicht selten beginnt Entscheidendes mit oder bei einem Mittagessen. So auch an diesem 11. Februar 1933. Um den Mittagstisch in der Villa der Familie Mann in der Poschenrieder Straße in München sind versammelt: Der Vater, Thomas, Mutter Katia, die beiden ältesten Kinder Klaus und Erika, Tochter Elisabeth und die Hausdame Marie Kurz. Drei Kinder fehlen. Golo, dreiundzwanzig, der in Göttingen studiert, Monika zweiundzwanzig, die ihre Kreise in Berlin zieht und Michael dreizehn, der aktuell im Internat ist.

Thomas Mann wird anschließend an diese Tischrunde und ärgerlicherweise ohne seine so geliebte Ruhepause am Mittag, gemeinsam mit seiner Frau, zu einer Vortragsreise nach Amsterdam aufbrechen, wo er als großer Fan Richard Wagners vor zweitausendvierhundert Menschen eine Hommage an ihn verlesen will. Seine lobenden Worte würden allerdings im Husten der stark erkälteten und dezimierten Zuschauerschaft untergehen, von einem Reporter missverstanden und verfälscht abgedruckt werden. Was im Nachgang zu einem heftigen Eklat führen wird.

Um von diesem „Shitstorm“ Abstand zu gewinnen brechen Thomas und Katia in die Schweiz auf. Erholung suchend und mental etwas derangiert, kommen sie in ihrem geliebten Waldhotel in Arosa an. Mit der Erholung wird das allerdings nichts werden, denn die Nachricht des Wahlsiegs der Nationalsozialisten dringt auch in dieses abgelegene Hotel durch und Thomas Manns Kinder Klaus und Erika und auch sein Verleger raten danach dringend ab nach Deutschland zurückzukehren.

Thomas Mann ringt mit sich. Seine Haltung, die jüdischen Wurzeln seiner Frau, all das spricht gegen eine Rückkehr. Seine Heimat. Seine Sprache. Sprechen dafür. Er sucht Rat bei Freunden, beschließt zunächst nach Lugano weiter zu reisen.

„Kann nicht recht essen und nicht recht schlafen und der Gedanke eines vollständigen Umsturzes meiner Existenz, die Vorstellung ins Exil gehen zu müssen, ein 57-jähriger, der mit der Kulturüberlieferung und der Sprache seines Landes so tief verbunden, so sehr auf sie angewiesen ist, hält mich in ununterbrochener Erregung und Erschütterung.“ Tagebucheintrag Thomas Mann

Am 21. Februar 1933 verlässt sein Bruder Heinrich fluchtartig Deutschland, in Richtung Südfrankreich. Er hat zurecht Angst, die sich auf seine antifaschistischen Aktivitäten gründet, denn die  Häscher Adolf Hitlers stürmen, kaum ist Heinrich ohne Gepäck mit Regenschirm, in den Zug gestiegen, seine Wohnung.

Im Hause Thomas Mann im katholischen Bayern, der Hausherr weilt zur Zeit der Flucht seines Bruders noch in der Schweiz, kommen die Schockwellen des Hitler Sieges verzögert an, schreibt Illies. Dort geben Klaus und Erika an dem Tag, als ihr Onkel in den Zug springt, noch einen Maskenball. Erika ist mit ihrem politischen Cabaret erfolgreich, das muss gefeiert werden, schließlich ist Fasching.

Thomas Mann besucht in Lugano oberhalb des Luganer Sees erst einmal Hermann Hesse, in dessen Refugium er immer schon zur Ruhe kommen konnte. Sammelt sich. Entscheidet sich. Für ein Exil. Nicht wissend, dass sein Bruder ebenfalls auf der Flucht und in Frankreich ist. Im April erst werden die beiden wieder Kontakt haben.

Man verlässt sein Vaterland um in Amsterdam und Paris über Richard Wagner zu sprechen und als man zurück will, da ist es einem davon gelaufen“, schreibt er als dann an einen Freund und ich überlege was ich da auf den Ohren habe. Ist das noch ein Sachbuch oder schon ein Roman? Florian Illies hat zahlreiche Geschichtsquellen durchgesehen, mich auf der Frankfurter Buchmesse in einem Interview davon überzeugt, dass ich seinem Erzählen über diesen Sommer und die Familie Mann unbedingt folgen möchte. Sehr schnell war ich „on fire“, entschied mich für das Hören und ignorierte die kritischen Stimmen aus dem Feuilleton.

Teils kann ich sie nachvollziehen, kommt Illies Beschreiben vom Tun und Lassen der Manns in dieser Zeit nicht ohne Patos aus. Auch ein eher lässiger Ton und die Buntheit seiner Szenen sind einem Sachbuch nicht unbedingt eigen. Mir hat genau dieses Erzählen sehr gefallen, das Plakative hat mich nicht gestört. Im Gegenteil, es hat mich allerbestens unterhalten und mir eine Tür zu den Manns, zu Thomas Mann geöffnet, das mein Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte, aufgeräumt hat. Allesamt wirken diese Manns auf mich verkorkst aber liebenswert. Die Schrullen und Macken und das Seltsame dieser Familie, die am meisten vielleicht von der gegenseitigen Sucht nach Anerkennung zusammengehalten worden ist. Für diese Kinder, es gab die Lieblinge und die Ungeliebten, war der Zauberer wie sie den Vater nannten, ein kaprizöser, eigensinniger, strenger, hypochondrischer, schlägt mein Herz.

Kränkungen und Umarmungen, dreiteilige Anzüge mit Hut,  Randnotizen, barmherzige Unbarmherzigkeit, tiefe Lebenswehmut. Geisterhäuser und Behagensminderungen, vermisste Tagebücher und große Angst. Davor was passiert wenn diese Notizen in die falschen Hände kommen. Davor, nicht mehr standesgemäß unterzukommen.

Verzweifelte Lustigkeit, als der dünne Vorhang zwischen Leben und Tod Anfang 1933 zu flattern begann, badete man in Sanary im Meer, diskutierte und spazierte, während man nicht wusste wohin mit sich. Mit dem Vermissen der Heimat, dem Blick darauf, was aus ihr geworden war.

Klaus Mann, zumeist von Paris aus, depressiv, mit Suizidgedanken und Katia, die studierte Ehefrau, die lebenslang nicht tat was sie tun wollte, es am Ende mit einem Lächeln konstatierte, vielleicht doch nicht bereute, Thomas Manns Managerin und Mutter seiner sechs Kinder gewesen zu sein. Um ihre Kinder hat sie Angst. Atmet erst durch, als alle erstmal hier vereint sind.

Mit viel Empathie werden die Manns von Illies gezeichnet und in der sehr gelungenen, ungekürzten Hörbuchfassung aus dem Argon Verlag, lieben Dank für das Besprechungsexemplar, konturiert sie ein grandioser Stephan Schad. Der Schauspieler und Sprecher, geboren am 9. Juli 1964 in Pforzheim, war elf Jahre festes Ensemble Mitglied im Thalia Theater Hamburg, spielte zwei Jahre am Deutschen Theater in Hamburg, drehte Filme und Serien, arbeitet als Synchron- und Hörbuchsprecher. Mit einem Augenzwinkern in der Stimme routete er mich zielsicher, in rund 10 Stunden und 30 Minuten, durch diesen, wie ich finde großartigen Text, der mich zugänglich und kurzweilig auf das Allerbeste unterhalten hat. Sehr lebendig und genau an den richtigen Stellen pausierend, schenkt uns Stephan Schad eine Lesung, bei der man am Ende angekommen, gleich wieder von vorne anfangen möchte.

Nicht zuletzt deshalb, weil diese Familie spannend ist, jeder einzelne Lebensweg, könnte einen eigenen Roman füllen. Die Unterschiedlichkeit der Charaktere, die vielseitigen Begabungen, der empfundene Schmerz an der Welt, schwer sich da für einen Liebling zu entscheiden. Florian Illies hat es Monika Mann besonders angetan. Innerhalb der Familie nannte man sie das „dumpf-wunderliche Mönle“, hielt sie für unbegabt, sortierte sie im Fach „Enttäuschung“ ein. Das klingt hart und war es wohl auch. Papa’s Liebling war ein anderes seiner Kinder, was Thomas Mann wohl auch ganz offen zeigte.

Es gäbe viele Beispiele, die sich zitieren ließen um zu illustrieren, was mich neben diesem Kaleidoskop von Fragmenten, der Lakonie, die sich Illies erlaubt an diesem Erzählen begeistert hat. Es treibt mich gerade um, was mit unseren Gesellschaften geschieht, wenn Dichtende und Bildende Kunstschaffende ihr Land verlassen. Wenn die Querdenker gehen. Was geschieht schleichend? Auf welche Warnzeichen gilt es zu achten, will man lernen aus Vergangenem? Können wir das überhaupt? Lernen aus der Vergangenheit? Oder vergessen wir einfach die Brutalität und Grausamkeit wenn Kriege Generationen überspringen? Ich hoffe nicht.

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