Meine Angst und unsere (Jochen Veit)

Fragt man den Duden, so erhält man für den Begriff Angst folgende Erklärung: “Mit Beklemmung, Bedrückung, Erregung einhergehender Gefühlszustand [angesichts einer Gefahr]; undeutliches Gefühl des Bedrohtseins.”

Wie nüchtern das klingt, was sich in uns und auf der Gefühlsebene abspielt, wenn uns Angst befällt. Was passiert da körperlich? Die Stresshormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, unsere Atmung wird flacher und schneller, Blutdruck und Herzschlag steigen, Muskeln werden stärker durchblutet, spannen sich an. Gesteuert wird all das von der Amygdala, einem kleinen mandelförmigen Teil in unserem Gehirn.

Clever wie unser Körper gebaut ist, ist diese Reaktion eigentlich gedacht um uns bereit zu machen, für Flucht oder Kampf. Je nach Gefahrensituation ist dieser Mechanismus noch immer überlebensnotwendig. Denn er sorgt nicht nur für Zittern, Schweißausbrüche, Enge in der Brust, sondern er schärft auch unsere Sinne.

Was tun aber, wenn sich eine Angststörung in uns festsetzt? Wenn wir diesen körperlichen Alarmzustand ständig erleben, die Auslöser dafür nicht benennen können? Was wenn wir unsere Urangst genau kennen, wenn der innere Abgrund, an dem wir oft genug stehen real wird? 

Meine Angst und unsere von Jochen Veit

Alles beginnt, wie es das oft tut. Ein Alltag will bewältigt werden. Leas Großmutter ist verstorben und Lea bricht auf, gemeinsam mit ihrem Mann Marcus, um an der Beerdigung teilzunehmen und ihre Mutter bei den Vorbereitungen zu unterstützen. Was ihr Bruder ja nie tut. Mit dem sie häufig streitet. So perfekt ist sein Leben. So abschliessend seine Meinung. Nach rund drei Stunden kommen sie endlich an, ausgelaugt, es ist ein Sommertag, die Hitze drückend und extrem.

Ihre beiden Kinder sind zu Hause geblieben, in ihrem Eigenheim, am Rand eines stillgelegten Tagebaureviers und Martins Bruder, Michael, achtet auf sie. Die Kinder mögen ihren Onkel Micha und er sie, auch wenn dieser so seine Kämpfe mit sich austrägt. Seine Empathie und Empfindsamkeit. Seine Geister. Machen es ihm nicht leicht das Leben auszuhalten.

Während Lea und Marcus geschwisterlichen Zwist, Erinnerungswellen und Trauergäste bewältigen, bricht zu Hause bei den Kindern und Michael ein schweres Unwetter los. Eines, das nicht nur den Kindern Angst macht und als Lea den Kontakt zu ihnen verliert, sich Marcus bei einem dummen Unfall verletzt, gerät die Situation außer Kontrolle.

Jochen Veit, geboren 1992 in Bühl, jede komparistik und Philosophie. Seit 2016 veröffentlicht er Erzählungen in Literaturzeitschriften, sein Debütroman “Mein Bruder, mein Herz” erschien 2019 und ein Rezensent von Deutschlandfunk bezeichnete ihn lobend als “düster verwinkeltes Textgebäude, das sämtliche Genre-Erwartungen eines Familien- und Heimatromans über Bord werfe.

Veit, der seit 2020 als Lektor und seit 2024 als Programmleiter des Anaconda Verlags bei Penguin Random House arbeitet, lebt in München und legt mit Meiner Angst und unsere seinen zweiten Roman vor. Dieser ist Anfang Oktober im Verlag Karl Rauch erschienen, ich bedanke mich für das mir überlassene Rezensionsexemplar.

Vereinnahmt von diesem grandiosen Cover, in Verbindung mit seinem Titel, der Umschlaggestaltung, Motiv und Haptik sind unglaublich gelungen und korrespondieren perfekt mit der Handlung, war ich im Inneren dieses Textes nicht minder gefangen. Auf knappen einhundertfünfundneunzig Seiten braut sich einiges zusammen und Veits Szenerie, in die er seine Handlung verlegt hat, ein halb verlassenes Dorf am Rand eines Tagebauareals das auf eine Wiederbelebung wartet, wirkt für sich einen ganz eigenen düsteren Zauber.

Welche Bilder gaukelt uns unsere Angst vor? Was macht meine Angst mit mir? Was unsere Angst mit Dir? In der Geschichte verschwimmen die Grenzen. Während Lea am Ende sogar Marcus zurücklässt, die Geduld mit ihm, mit sich und der Situation verliert, weil sie in der Ungewissheit, ob es ihren Kindern gut geht keine Minute mehr verbleiben kann, erlebt Michael mit den Kleinen ein märchenhaft alptraumartiges Szenario.

Was ist real? Was Traum, was Angsttraum? Gelten in unseren Träumen unsere Regeln? Eine kluge Frage, die hier aufgeworfen wird. Wenn dem so ist, dann haben wir die Macht über sie und damit auch über unsere Angst.

“Ich glaube, dass die ganze Welt nur in unserem Kopf passiert, jedenfalls unsere eigene Welt. Dass jeder sie ganz eigen wahrnimmt und deswegen jeder in seiner eigenen, ganz besonderen Welt lebt.” Textzitat Jochen Veit

Spannend und mit uns und unserer Wahrnehmung ebenso spielend, wie mit der seiner Figuren, fegt man durch Jochen Veits Text. Der sich bedrohlich aufbaut wie das in ihm aufziehende Unwetter. Monster bleiben hier nicht unter dem Bett. Sie fordern die Konfrontation ein und man ist froh, kommt man am Ende mit heiler Haut davon. Weil der Kopf macht, was der Kopf macht. Das Herz, was das Herz tut.

Ein besonderer, düsterer, aber auch tröstlicher Plot ist Veit gelungen. Gründe Angst zu haben, gibt es dieser Tage genug und in dieser Geschichte ist das nicht anders. Manche Angst gründet tiefer und in der Generation unserer Großeltern, die teils an Kriegsfronten oder als Daheimgebliebene Not und Elend erfahren haben, ist vieles unverarbeitet geblieben. Die Beerdigung von Leas Großmutter, der vorangegangene Tod von Michaels Großvaters, an deren Erlebnisberichte man sich mehr denn je erinnert fühlt. Vieles kommt hoch und will verstanden, will gefühlt, aber auch aufgearbeitet werden. Wie gut, dass das dabei auch gilt:

Wir schützen die, die wir lieben. Und sich geliebt zu wissen, sichert Schutz. Emotionalen und körperlichen Schutz. Das gilt besonders für Kinder und diesen Gedanken, der sich hier hinter der Finsternis verbirgt, den mochte ich sehr. 

Es kostet Kraft sich zu stellen, aber Angst zu teilen macht sie kleiner. Das macht unsere Angst mit uns. Sie kann uns stärker machen, wenn wir wissen, wie wir ihr künftig begegnen können. Gemeinsam.

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