1795 (Niklas Natt och Dag)

1795 ging die französische Revolution in die letzte Runde und Napoleon Bonaparte nach Paris.

Im Juni 1795 brannte Kopenhagen zwei Tage lang, und in Stockholm hoffte man auf eine lichtere Zukunft. Wer würde das nicht tun, wenn Misswirtschaft, Missernten und Hunger regieren?

Andernortes und anderen Datums wüteten die Pocken. Trennten Familien, Freunde und Gemeinschaften. Nur ein Pfarrer hielt mit seinem kleinen Sohn dagegen. Sorgte und kümmerte sich, bis am Ende die Krankheit in ihrer Heimtücke das Kind zur Waise machte. Und böse?

1795 von Niklas Natt och Dag

Schachmatt durch die Dame im Spiel. Jedes ihrer Worte traff sein Ziel. Ans Bett gefesselt, gelähmt und mit einem offenen Bein, lag er da und sie spielte ihr letztes Ass aus. Genüsslich. Verrat kennt viele Gesichter. Dieser trug das Ihre.

Ein Brief der alles ändern kann. In den Händen einer Frau. Die ihn als Pfand einsetzte um der Gefangenschaft, der Marter zu entkommen. Anna Stina Knapp gelang die Flucht mit einer List. Sie tauchte unter. Wurde vermisst. Wurde gesucht und nur einer tat das wohlwollend und in Sorge um sie …

Es geht wieder los. Eine erste Leiche taucht auf und als Indiz hält Emil Winge die Scherbe eines zerbrochenen Spiegels in der Hand.

Ein Duell. Faust gegen Peitsche. Auf Leben und Tod. Zorn gegen Wahnsinn. Rache und Blutdurst. Ein tiefer Schnitt und Wundstarrkrampf. Zu spät um etwas dagegen zu tun?!

Niklas Natt och Dag, geboren am 3. Oktober 1979, schwedischer Journalist und Schriftsteller, Sproß der Adelsfamilie Natt och Dag, ließ sich nach eigener Aussage von keinem Geringeren als Umberto Eco und durch dessen Der Name der Rose dazu inspirieren selbst historische Kriminalromane zu schreiben. 

Stimmung kann er auch der schwedische Kollege von Herrn Eco, das Stockholm und die Epoche in der seine Geschichten spielen, spiegeln sich in seinen Worten stets wie ein Spatz in einer Pfütze. Zerrupft und zu den eher vom Leben abgestraften gehören seine Figuren, sind zu 100% authentisch, tummeln sich in bildhaft ausgestalteten Kulissen. Seinen Helden ist die Zeichnung des Lebens auf ihre Körper geschrieben, sie sind integer und mutig, oder empathisch und clever. Seine Bösewichte sind brutal und hassenswert. Alles am Platz, alles wieder auf dem Posten. In düster-poetischen Szenen greift Leena Flegler den Ton des Schweden in der deutschen Übersetzung famos auf. Beide ergänzen sich großartig als Team.

Ich bin zurück, und es ist so als wäre ich nie fort gewesen. Das macht eine gute Reihe für mich aus, die Vertrautheit mit Romanpersonal und Schauplatz, die Handschrift des Autors wiederzuerkennen.

Verschwörer, Verhörer und der Pranger. Die Revolte der Gustavianer scheint vereitelt, ihr Redelsführer gestellt.

Haselnussruten, die der Vater wie Peitschen benutzt hat, alte Narben die schmerzen, Branntwein und Wahnvorstellungen. Emil Winge kämpft mit eigenen Geistern. Will nichts mehr als seine Vergangenheit abschütteln und Mickel Cardell fühlt sich schuldig und auch ihn schmerzen seine Narben. Die, die das Feuer hinterlassen hat, die jetzt langsam verblassen genauso, wie der Stumpf an dem einmal sein Arm gewesen war.

Umherstreifen im Reich der Eichen, ihre Kronen beschirmen Flucht und Verstecke. Blicke muss Frau auffangen und festhalten bis die Wahrheit, welche Wahrheit, sie hat zu viele Gesichter, auftaucht um zu bleiben.

Atmosphärisch bin ich in 1795 ebenso satt und episch unterwegs auf Zeitreise wie bereits 1793 und 1794. Schmutzig, hart und brutal geht es zu in den mit Kopfstein gepflasterten Gassen. Natt och Dag schreibt eben keinen Cozy Crime. Das wusste ich ja. Finster geht es bei ihm zu, seine Protagonisten müssen ordentlich was abkönnen und sie tun es auch. Allen voran Mickel Cardell. Der es schafft dabei noch Mensch zu bleiben. Allerdings muss ich sagen, hat er mir an der Seite von Cecil Winge im ersten Teil der Reihe deutlich besser gefallen. Beide ergänzten sich einfach vortrefflich, brachten sich gegenseitig und die Ermittlungen voran. Dafür gab es den schwedischen Krimipreis. Aber die Fans der Reihe wissen es, Cecil überlebte nicht, er starb an Tuberkulose und Teil zwei startet mit einem Verwirrspiel, in dem man zunächst denkt er habe doch überlebt, um dann festzustellen es gibt einen Bruder und eben der übernimmt, wenn auch wiederstrebend den Part des Partners von Cardell. Alkoholkrank und der ewige Zweite hat er für mich zuviel Gepäck mit dabei, die Cleverness und Souveränität des guten Cecil fehlt. Die Bälle die zwischen ihm und Mickel flogen waren mir die lieberen.

Stockholm fiebert und seine Bewohner balancieren branntweinseelig an der Abbruchkante ihres eigenen Unglücks. Öffentliche Hinrichtungen werden als willkommene Abwechslung herbeigesehnt, der Galgen ist dabei besonders beliebt. Ein junger König soll auf den Thron, alle Hoffnung ruht auf ihm, auf dass dieses Elend bringende Vormundschafts-Regime nun endlich enden möge.

Im Teil von 1795 treten wir zeitlich einen Schritt zurück in den Frühling und Sommer dieses Jahres mit Tycho Ceton, das ist der Bösewicht hier. Jeder Held kann nur strahlen wenn er einen ebenbürtigen Gegenspieler hat. Was wäre Batman ohne Joker, wer wäre James Bond ohne Goldfinger, Sherlock Holmes ohne Moriarty. Genau das ist Tycho Ceton für Mickel Cardell und Emil Winge, und damit wir verstehen, wann und warum das Böse in ihn hinein gekrochen ist, holt Niklas Natt och Dag etwas aus. Er gibt ihm Kontur und Substanz, weit jenseits aller Stereotypie. Das fand ich gut, aber –

Perversionen, Quälereien, Hurerei, Abhängigkeiten, Mann oh Mann! Ich bin da ja aus 1793 und 1794 schon einiges gewohnt, habe die Reihe nie für Zartbesaitete empfohlen, das hier lässt mich aber heftig nach Luft schnappen. Diese Theatervorstellung braucht es nicht noch mal. Das ist auch so gar nicht zielführend und einfach nur das Schockmoment, die Abscheu ausnutzend.

Dieser Ceton ist ein Teufel, schon klar, aber mir ist diese Gewaltorgie eine zuviel. Auch mag ich einfach nicht mehr hören, wie er Hand an sein Gemächt legt. Oder irgendwer sonst (Verzeihung). Meine Stimmung kippt und die Wiederhörensfreude will sich legen. Soll ich aufgeben? Abbrechen? Natt och Dag kann das doch besser! Kriegt er sich ein?

Die Antwort ist: Na, ja.

Die Handlung dieses Finales wirkt auf mich als habe sie sich verzettelt. Es gibt zuviel Seitwärtsdrifft und für meinen Geschmack auch zuviel Nebenhandlungsstränge, wer ist jetzt das wieder, denke ich und ein guter Cliffhänger in einem Teilstrang reicht da auch für mich nicht aus, um zwischen all der Roheit, den Rachephantasien, die Spannung hoch zu halten. 

Als dann, wenn Setting und Sprache auch diesmal gewohnt gut sind, genügen mir jetzt diese Ausflüge ins historische Stockholm. Adjö, hej do, Mickel. Emil, nix für ungut, aber ich vermisse Cecil, seine Cleverness und sein Carisma, aber bevor der am Ende gar wieder aufersteht in 1796 verlasse ich Euch und Eure Welt. Einen aber möchte ich nicht unerwähnt lassen, denn er verdient es:

Philipp Schepmann, geboren 1966, deutscher Schauspieler, Regisseur, Synchron-und Hörbuchsprecher mit eigenem Tonstudio, kenne ich schon aus den Hörbuch-Fassungen der Vorgänger Bände 1793 und 1794. Diese beiden las er noch im Wechsel mit einem Kollegen, in 1795 darf er die volle Länge allein einsprechen. Auf all diesen Zeitreisen war er mir stets ein kundiger Führer, souverän und mit Empathie haucht er den Geschichten um Winge und Cardell Leben ein. Ist für mich fest mit ihnen verbunden. Wer die Reihe noch nicht kennt und historische Kriminalfälle mag, der nehme sich 1793 vor. Dieser Teil ist nach wie vor mein Favorit, nicht zuletzt wegen Cecil Winge, für mich ein schwedischer Sherlock und sein eigener Wettlauf gegen die Uhr ist … -, aber nein lest oder hört selbst …

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