*Rezensionsexemplar*
Donnerstag, 09.01.2020
Wir schreiben das Jahr 1794. Was für ein Jahr! Georges Danton wird auf der Guillotine hingerichtet. Es folgen ihm dreizehn Gefährten auf das Schafott. Mit der Verhaftung und der Hinrichtung von Maximilian Robespierre, mit ihm werden einundzwanzig seiner Gefolgsleute guillotiniert, endet das französische Terrorregime. Napoleon Bonaparte wird verhaftet. Die Trikolore wird zur Nationalflagge Frankreichs und Frankreich schafft in seinen Territorien die Sklaverei ab. In Polen tobt ein Aufstand, der ein Massaker an der Zivilbevölkerung zur Folge hat. Dieser Aufstand ist auch Grund und Anlass für die Auflösung des Staates Polen und seine Teilung durch Russland, Österreich und Preußen im darauf folgenden Jahr. Georges Washington führt seine Truppen gegen die nordamerikanischen Indianer in die Schlacht. New Orleans brennt erneut, nur sechs Jahre nach einem ersten verheerenden Feuer nieder, und in Kopenhagen steht das erste Schloss Christiansborg in Flammen. Leckende Lavazungen des Vesuvs verschlingen einen Ort. In Augsburg stürmen hunderte Weber das Rathaus und mit ihrem Kampf erreichen sie ein Importverbot ausländischer Waren.
In Schweden will man den Kaffee verbieten, das schwarze Gebräu verhindere, das das Volk fügsam sei. Die schwedische Westindien-Kompanie erleidet schwere Verluste durch Kaperei ihrer Schiffe und erbittet erstmals finanzielle Unterstützung von der schwedischen Regierung. Ohne die Folgen wohl recht bedacht zu haben, hatte Frankreich Schweden 1784 die kleine karibische Insel Saint Barthelemey im Tausch gegen Handelsrechte in Gotland überlassen. Wie sich jetzt 1794 herausstellte, konnte sich Schweden mit diesem Stützpunkt einen alles entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Sklavenhandel verschaffen. Hierher, auf diese ruchlose, gottlose Insel entführte mich mich auch, in eben diesem Jahr, der schwedische Erfolgsautor Niklas natt och Dag, aber immer schön der Reihe nach …
“Die Linden auf dem Hof sind seit Monaten unbelaubt, allerdings hatte der Winter die Schuld des Herbstes mit frischem Neuschnee beglichen. Soweit das Auge reichte, hatten sich lange Gewänder über die Zweige gelegt, die Schleppen fielen bis hinunter auf die Erde”.
Textzitat Niklas Natt och Dag – 1794
1794 von Niklas Natt och Dag
Das Jahr 1794 war noch jung als er aus seiner Kammer trat, nach langer Zeit endlich wieder frische Luft atmen konnte. Er band sich die viel zu weit gewordene Hose um den schlanken Leib zusammen um sie nicht zu verlieren und wagte einen ersten Spaziergang nach langer Krankheit. Seine Füße trugen ihn scheinbar ohne ein Ziel und doch landete er an einem. Landete vor dem Tollhaus der Stadt, der Irrenanstalt, wo ihn sogleich ein freundliches Männlein in Empfang nahm und ihm anbot, ihn herum zuführen. Warum er zustimmte, den Wahnsinn in Augenschein zu nehmen, den die Stadt hier an die Ufer dieses Hauses spülte, keine Ahnung. Nennen wir es Schicksal, denn es hatte ohnehin längst den Dirigentenstab in Eriks Leben in die Hand genommen.
Viererzellen, massive Türen und Eisenketten gehörten hier zur Einrichtung. Nachttopfluken und von außen beheizbare Öfen. Nicht jede der Zellen konnte man schließlich gefahrlos betreten. In den Schatten der Dunkelkammern, wie sie hier die lichtlosen der Zellen nannten, pferchte man Menschen zusammen, bei denen auch die Gabe von Quecksilber nicht mehr gegen die Franzosenkrankheit zu helfen vermochte. Schreie und Stimmen hallten von den klammen Wänden wider …
Als er das Tollhaus aufgewühlt und überstürzt verließ und von einer Angstattacke auf die Knie in den Straßenstaub geworfen wurde, fiel sein Blick auf seine Hände. Für ihn waren sie noch immer die Werkzeuge eines Mörders und er sah sie stets in blutrot …
Niklas Natt och Dag, sein schonungsloser Vorgänger-Roman 1793 hatte mich im letzten Jahr schwerst beeindruckt. Auch diesmal versteht er es die Stimmung in seinem Kriminalroman sehr atmosphärisch einzufangen. Er ist der Meister der Wendungen, der uns in seinem historischen Kontext erst einmal als Leser in Sicherheit wiegt indem er Herkunft und Wohnstatt seiner Figuren beschreibt, ihre Lebensumstände, sie zeichnet. Dann nimmt er uns, dann packt er uns und stößt uns mit der Nase auf Greueltaten, das wir erschrocken zurück zucken. Er balanciert mit seinem Text geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Realität.
“Wir brauchen keinen Teufel, solange wir Menschen einander haben. Es ist so unendlich dunkel hier, alles was hell ist sind Irrlichter. Nichts weiter.”
Textzitat Niklas Natt och Dag – 1794
Natt och Dag erzählt mir von kurzen Tagen und langen Nächten. Von Behandlungsmethoden, die mich schwindeln lassen, von kalten Güssen und absichtlichen Infektionen mit der Krätze. Der einsetzende Juckreiz sollte als heilender Schock den Patienten den Verstand zurückbringen. Erzählt von einem grausamen Eingriff, der von einem jungen Mann nur noch eine leere Hülle zurück lässt …
In seinem 1794 bin ich alten Bekannten begegnet, habe um alte Freunde getrauert. Erinnerungsfetzen an vergangene Taten des Jahres 1793 flackerten wieder in mir auf. Karte um Karte wird aufgedeckt und für mich heißt es Schritt halten mit diesem Ermittler-Duo, an den beiden muss ich dran bleiben, darf kein Detail verpassen, keinen Hinweis, alles kann jetzt wichtig sein. Das Niveau und die Handlungsdichte die Natt och Dag zu halten vermag sucht für mich seinesgleichen. Historie und Spannung, dazu sprachliche Ausgewogenheit müssen sich nicht ausschließen und tun es auch nicht, wenn sie aus seiner Feder stammen.
Bei ihm kann man in seidenen Kniehosen und mit üppigem Gehrock unter tropischer Sonne auf einer Insel ankommen. Man begegnet erstaunt den Eingeborenen, die auf schwarzer, nackter Haut kaum Kleidung tragen, Männlein wie Weiblein. Man wird vom Wechselfieber niedergestreckt, an den Rand des Todes gebracht. Landet zwischen Hahnen- und Hundekämpfen, Streitereien mit Wucherern, Schwerverletzte aus Kneipenschlägereien werden vom Wirt erstickt, Sklaven im Kampf aufeinander gehetzt. Hier gehen Sklavenschiffe vor Anker, in deren Bäuchen auf drei Decks, arme Seelen in ihrer eigenen Hölle zusammengepfercht sind. Ein Leben für eine Handvoll Glasmurmeln, das ist die Währung mit der in ihrer Heimat gezahlt wird. Hier in der schwedischen Kronkolonie hingegen wird jeder Körper in dem noch ein Herz schlägt in klingende Münze umgewandelt. Der größte Sklavenmarkt der Antillen befindet sich hier, auf schwedischem Boden. Das finstere Geheimnis dieser Kolonie entblößt seine Fratze, die Eric und mir die Kehle zuschnürt. Ein von Gott verlassener Ort ist sie, diese Insel in den Tropen.
Dann lande ich zwischen duftenden Feldern voller Frangipani-Blüten, die umschwirrt werden von Hunderten von Schmetterlingen. Was für einen exotischen Kontrast mir Natt och Dag da diesmal anbietet. Er gönnt mir eine Atempause, um mich dann kurz darauf in einen tödlichen Reigen zu verstricken. Er lässt mich Männern mit kranker Fantasie begegnen. Allesamt Manipulatoren, Beobachter denen jegliche Skrupel fehlen. Todesangst und dann ein Feuer! Ein Feuer das alles verzehrt, das reinigen soll, aber alles verschlingt, jegliche Hoffnung, jede Zuversicht. Was, wenn jetzt nur ein teuflischer Pakt, bei Auflösung dieses Falles helfen kann?
Armes Schweden, dein Regent scheint alles andere als eine glückliche Hand zu haben. Ganz Stockholm ist heute auf den Beinen und hat sich um den Pranger versammelt, ich werde im Gedränge beinahe erdrückt, halte mit der wogenden Menschenmenge den Atem an, in der Ruhe vor dem Sturm. Meine Heldin muss sich beeilen, jetzt wo alle hier versammelt sind, schlägt ihre Stunde. Der Bund mit den Dietrichen klappert in ihrer Tasche und die Nachricht, die sie zu überbringen hat, wiegt schwer wie ein Stein in derselben.
Ich mag Natt och Dags romanhafte Sprache, die er schon in 1793 für seinen historischen Kriminalfall hat wirken lassen. Auch hier führt er mit bildhaftem Erzählton in die Geschichte ein. Erschafft eine Szenerie von Stockholm um 1794 mit Worten durch die man tief abtauchen, unter denen man durchtauchen kann in eine lang vergangene Zeit.
Auf ein Wiedersehen mit Mickel Cardell, dem Helden aus 1793 hatte ich gehofft. Wollte wissen wie es ihm geht, wir beide hatten in diesem Roman einen Freund verloren. Und er ist fertig mit der Welt, ist dem Suff anheim und in ein Loch gefallen, was mich traurig macht. Was bin ich erleichtert, als ausgerechnet eine Frau ihn aus seiner Lethargie zu reißen vermag, aber nicht wie ihr jetzt denkt und gespannt bin ich diesem sympatisch kauzigen Kriegsveteranen in ein neues Abenteuer gefolgt, das geduckt wenn es Not tat, hinter meinen Lese-Sessel. Denn wer Natt och Dag schon kennt, der weiß, zimperlich ist er nicht und er verlangt nicht nur seinen Figuren, sondern auch seinen Lesern einiges ab. Düster und brutal sind seine Beschreibungen, wenn es um die Untaten seiner Bösewichte geht, gruselige Schauplätze gebiert er, das auszuhalten ist aber immer lohnend und wählt man die Hörbuch-Fassung ist man bei ihm mehr als gut aufgehoben:
Philipp Schepmann, Hörbuch-Produzent, Regisseur und Sprecher wird diesmal unterstützt von Schauspieler-Kollege Louis Friedemann Thiele. Beide Männer sind mit ihrer Unterschiedlichkeit zu lesen ein Gewinn für diesen Text. Wechseln sich ab und geben den Figuren Kontur, hauchen ihnen Leben ein.
Die Stimme von Thiele klingt jung, so jung, als könne und dürfe er von dem was hier geschieht nichts wissen und doch ist er mittendrin statt nur dabei und auszuhalten hat die Roman-Figur, die seinen Part bevölkert unfassbares. Schepmann hingegen wird für mich immer mit Mickel Cardell verbunden sein. Seine sonore Stimme passt so gut, seine Empathie für die Protagonisten ist bemerkenswert, sein Gespür für den Text ist perfekt. So muss ein gutes Hörbuch sein!
Allen die diesen ausgezeichneten Autor und seine Helden, sowie Philipp Schepman noch nicht kennen, empfehle ich mit ihm im Jahr 1793 zu starten. Meine Eindrücke dazu findet Ihr nach Klick auf das Cover:
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