Die Ewigkeit in einem Glas (Jess Kidd)

Alle erdenklichen Übel vereint in einem Kind. Blass ist sie, leichenblass, mit Augen wie Perlmutt und Zähnen so spitz wie die einer Ratte. Hübsch aber bissig. Das ist sie und ihr Gift tödlich. Einen Prolog schreiben als gehöre er zu einem Schauerroman, das kann Jess Kidd und schon hat sie mich. Ich schrecke zurück und bin gleichzeitig fasziniert von der Szenerie die sie mir anbietet. Bin gespannt auf jedes weitere Wort und auf das WER in dieser Geschichte von ihr wohnt. Von der Ewigkeit ist die Rede, verwahrt in einem Glas.

Der Freund der Toten, Heilige und andere Tote, zwei Romane die ich bereits von ihr gelesen habe, (abspringen in meine Beiträge dazu, gerne am Ende dieses Textes mit einem Klick auf die eingefügten Cover). Romane, die sich beide mit Zwischenweltlichem, Kuriosem und/ oder den liebenswert schrägen unter den Typen beschäftigen. Mit dem ihr eigenen, leicht lakonischen Ton und mit einer Figurenzeichnung die Ecken, Kanten und die Brüche ihrer stets skurril anmutenden Held:innen ganz fein betont, erzählt sie Geschichten die einem nicht jeden Tag begegnen. Lässt es zu, dass meine Gedanken auf andere Reisen gehen, dass sie sich von ihrer alltäglichen Last lösen können:

Jess Kidd, geboren 1973 in London, studierte Literatur und veröffentlichte mit <Der Freund der Toten>, der 2017 in Deutscher Übersetzung erschien, ihren Debütroman, der prompt auf der Krimibestenliste landete. Phantastisch und fantasievoll, in üppigen Sprachbildern, so erzählt Kidd. Immer. Da ist sie eine Bank und Genregrenzen interessieren sie nicht, sie hüpft leichtfüßig literarisch über alle Zäune. Was ich ganz wunderbar finde. Genauso wie die Tatsache, dass man nie weiß, was gleich hinter der nächsten Satzbiege wartet. Diesmal geht es gemeinsam mit ihrer Heldin in die Vergangenheit. Nach London und in eine Zeit, in der es dort noch keine Kanalisation gab. Die erfindet gerade wer und dort wartet ein bunter Trupp auf uns, eingehüllt in eine leicht düstere Atmosphäre …

Die Ewigkeit in einem Glas von Jess Kidd

London. September 1863.

Bridie Devine, Detektivin und Chirurgin, ist unterwegs zu einem Auftrag. Über den nahegelegenen Friedhof, sie hält inne. Vor ihr auf dem Weg steht ein Mann. Er kennt sie, sie ihn nicht. Das was sie AN ihm erkennt, ist wundersam und fremd. Die Tätowierungen auf seinem nackten Oberkörper scheinen sich zu bewegen, eine Meerjungfrau verschwindet bei ihrem Anblick schutzsuchend in seiner Achselhöhle. Überhaupt wirkt seine ganze Gestalt seltsam durchscheinend, mit der Ausnahme seines rabenhaft, samtschwarzen Haares. Eben will sie das, was sie da sieht auf das Kraut schieben, das sie heute raucht, da spricht er sie an und er weiß Dinge über sie. Ruby, mit diesem Namen stellt er sich vor, Boxer war er und tot ist er. Was nicht weiter dabei stört, dass er Bridie bei ihrem aktuellen Fall unterstützen will. Unbedingt, und er weicht ihr fortan nicht mehr von der Seite. Da hilft auch kein Abwehren.

Es geht um Sir Edmund, respektive seine Tochter. Christabel, ist verschwunden, entführt und alles an dem Fall scheint seltsam. Der Vater der Verschwundenen ist hypernervös, der Hausarzt ein Windhund, die Dienerschaft zugeknöpft und dasnMädchen selbst hat offenbar kaum einer zuvor je zu Gesicht bekommen. Dazu kommt die Sache mit Sir Edmunds Frau. Sie ist ertrunken. Im Zierteich am Haus?!

Unzugänglich. Das sind sie noch immer: Die Gemächer seiner verstorbenen Frau. Erklärt der Sir und verweigert auch der von ihm beauftragten Detektivin, Bridie, den Zutritt. Die Befragung seiner Hausangestellten, ob des Verschwindens seiner Tochter, genehmigt er ebenfalls nur zähneknirschend. So ist es kein Wunder, dass alle mauern. Aber Bridie wäre nicht Bridie, würde sie da kapitulieren. Behutsam tastet sie sich vor. Frage um Frage. Respektvoll und geschickt und siehe da, das Hausmädchen Agnes knickt ein.

Daraufhin wird ein Schlüssel gestohlen. Ein Kinderzimmer betreten, an dessen Wänden der Schimmel blüht. Eine Kinderfrau, ertrunken in einem Waschbottich und die Ehefrau im Zierteich? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und einen Zusammenhang vermutet. Bridie tut es.

Eine Wintermeerjungfrau. Leichendiebe. Anatomiestudierende als Auftraggeber. Verwöhnte Söhne, die der Grausamkeit verfallen sind. Hexen. Die, wie bei Hänsel und Gretel gerne Kinder fressen.

Verkleidung, Täuschung und Tarnung. Bridie ist eine Meisterin ihres Fachs. Als sie auf einen üblen Kerl aus ihrer Vergangenheit trifft ändern sich die Spielregeln. Rücken sich Annahmen gerade. Wird es eng für sie.

Das hier könnte ein Krimi sein. Was aber langweilig wäre, denn Jess Kidd wäre nicht Jess Kidd, wenn sie nicht mühelos die Grenzen verschwimmen ließe. Die Grenzen zwischen dem was ist und dem was sein könnte. Zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Für alle Fans des Teams des Stranger Times Teams von C. K. McDonnell, hier seid ihr richtig!

Poetisch beschreibt Kidd ihre Szenen, feilt an ihren Sätzen, damit wir, ich, an ihren Lippen hängen können. Zwischen durch kann ich mein Grinsen einfach nicht abstellen, weil ihre Bridie so clever und schlagfertig ist. Dafür sorgt im Deutschen perfekt das Übersetzerteam Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Gebannt verfolge ich diese Reise eines Waisenmädchen zur beherzten Frau. Die sich behauptet in ihrem Fach, Beruf und in einer Männerwelt. In einem London, in dem die Luft vor Ruß steht und wo Gaslampen versuchen Licht ins Dunkel zu bringen. Es geht um die, die Außen stehen, am Rand der Gesellschaft, um Schurken, Feinde und eine besondere Partnerschaft zwischen einer Lebenden und einem Toten. Aus der mehr hätte werden können, wenn sie sich früher getroffen hätten. 

Es wird klassisch ermittelt, Täter werden identifiziert und Inspektor Rose weiß einmal mehr Bridie Divine zu schätzen. Ich meine, ohne sie wäre er nie dahintergekommen was passiert ist und das ist jede Menge. Mal grausig, mal märchenhaft, aber immer überraschend habe ich diese Geschichte gefeiert, obgleich ihres Wortwitzes und ihrer Szenerie und –

wenn ich abschließend noch etwas empfehlen darf, dann diese Geschichte zu hören, denn sie wird ganz großartig gelesen von Gabriele Blum. Die 1962 in Berlin geborene Schauspielerin und Mitbegründerin der Bremer Shakespeare Company, sowie des Theaters aus Bremen, zieht hier alle Register. Stimmlich facettenreich, die humorvollen Nuancen gekonnt betonend, macht sie diese Hörbuchfassung mit ihren 12 Stunden und 14 Minuten zu einem Breitwandohrenkino-Erlebnis. Diese Geschichte hätte ich keinesfalls lieber lesen mögen. Warum hatte ich diese gut gebuchte Sprecherin eigentlich noch nicht auf den Ohren? Ab jetzt jedenfalls habe ich sie auf meinem Zettel.

 

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