Wahre Schönheit kommt von Innen. Schönheit ist vergänglich. Liegt im Auge des Betrachters. Öffnet Türen. Schönheit die echt ist, hat nichts zu tun mit Äußerlichkeiten, sie zeigt sich durch Denken und Handeln. Sie bewirkt. Gutes. Hoffe ich. Denn das ist nicht immer der Fall. “Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?” fragt die böse Hexe im Märchen und Johann Wolfgang von Goethe meint: “Schönheit ist überall ein gar willkommener Gast.” In dieser Geschichte ist sie geflohen. Vor Zwängen und Armut und wer weiß wovor noch …
“Das war es, was ein einziges Wort ausrichten konnte. Es konnte eine Frau in ein Gefängnis sperren.”
Textzitat Alex McCarthy Die Schönheit der Rosalind Bone
Die Schönheit der Rosalind Bone von Alex McCarthy
Alex McCarthy, geboren in Cardiff, lebt in Wales. McCarthy hat nach einem Studium an der London Contemporary Dance School einige Jahre als Tänzerin und Choreografin gearbeitet. Mit Die Schönheit der Rosalind Bone legt sie ihren Debütroman vor, den für sie und den GOYA Verlag, (herzlichen Dank für das Besprechungsexemplar!) Silke Jellinghaus, wie ich finde sehr feinfühlig, ins Deutsche übersetzt hat.
Der fiktive walische Ort, mit dem für mich unaussprechlichen Namen Cwmcysgod ist ihr Schauplatz. Er und der nahegelegene Wald, sind die Kulissen dieser 160 Seiten starken Geschichte. In ihrer Kurzgefasstheit und Stilistik erinnerte sie mich ein wenig an Claire Keegan, die es ebenso vermag, das man als Leser:in gerne einen Nachschlag nehmen würde und das einem trotzdem nichts fehlt. McCarthy legt ähnlich wie Keegan keine Eile an den Tag, wenn es darum geht ihre Figuren mit uns Leser:innen bekannt zu machen. Im Gegenteil, ruhig ist ihr Erzählfluss und eindringlich wird er alsbald.
Eine kleine Einführung ins Walisische, gleich zu Beginn ihrer Erzählung, dafür nimmt McCarthy den von ihr erdachten Ortsnamenen her: “Cwm” steht für Tal und “cysgod” für Schatten, erklärt, dass in diesem Dialekt “Y” und “W” Vokale sind und man den Ort etwa “Kumkasgod” auspricht. Wer ihn korrekt ausgesprochen hören möchte, kann auch das tun, bei GOYALIT ist das dazugehörige Hörbuch erschienen. Es liest Rosa Thormeyer.
Ein Glossar im Buch überträgt weitere walisische Begriffe, über die meine Augen stolpern, genauso wie ich jedesmal im Text an dem Namen des Ortes stoppe, auch wenn er ganz selbstverständlich darin unterkommt. In unserer Sprache hat er eben doch ganz schön viele Konsonanten.
Catrin, Rosalinds sechzehnjährige Nichte, die leidenschaftlich und gut zeichnet, verschwindet gern im Wald und an seinem Rand. Bewaffnet mit Kohlestiften und Papier, begegnet sie so dem Schweigen und fängt manchmal, irgendwie, die unsichtbare Wahrheit eines Augenblicks ein, schreibt Alex McCarthy und ich mochte dieses Bild. Das ein Idyll beschreibt, welches keines ist und eine junge Frau, die auf dem Weg ist. In ihr Leben. Die anderen dabei zugewandt bleibt. Auch ihrer Mutter, die unter Agoraphobie leidet, Angst hat vor öffentlichen Orten und Menschenmengen, die nicht mehr aus dem Haus ging.
Diese und ähnliche Szenen erzählen die Geschichte eines Minen-Ortes, die zweier Schwestern und das was Schönheit anrichten kann. Überhaupt sind es diese Sprachbilder, mit denen es Alex McCarthy gelingt den Nagel auf den sprichwörtlichen Kopf zu treffen. Abseits des ein oder anderen Klischees, das ich ihr genau deswegen verzeihe, findet man sich bei ihr zwischen Figuren wieder, die klare Konturen haben. Insgesamt hat es hier mehr Schwarz/Weiss als Grautöne, was ich ein wenig bedauert habe. Dafür gibt es aber Hexen, die vielleicht Landstreicherinnen sind und Jungs, die nicht wissen wohin mit sich und ihrer Wut. Einen alten, jetzt dementen Mann, der Bonbons verteilt und das wohl immer schon getan hat. Kinder gelockt mit Süßigkeiten. Eine Eimer-Fabrik schließt und ein Vater erhängt sich. Sein Jüngster findet ihn. Es hat einen Megastore und mehr als nur Fluchtgedanken. Einen Wald, der ein geschützter Raum ist, eine Zuflucht. Früher wie heute. Weil Wälder das eigentlich immer sind. Nicht?
Die Enge einer Dorfgemeinschaft, vorgefasste Meinungen, Vorverurteilungen und ganz banal, wir kennen das, Wegsehen. Der Teenager Catrin fungiert für McCarthy als Ermittlerin, sie will wissen was das war an diesem einen Abend, an dem ihre Tante angeblich spurlos verschwand. Konnte ihre Mutter seither etwa nicht mehr aus dem Haus gehen? Warum schaute man auf die Familie ihres Schulfreundes so herab, sorgte mit fortwährendem Misstrauen und Geschwätz dafür, dass er chancenlos blieb?
Die Loyalität einer Schwester – verloren, der Vater tödlich verunfallt. Rosalind verschwindet. Niemand will sie gesehen haben. Bis heute.
“An der Schwelle des Lebens oder des Todes lockert die Zeit ihre Fesseln. Augenblicke dehnen sich aus, Tage ziehen sich zusammen, und unser Geist öffnet sich. Wir hören auf, Fragen zu stellen, und bilden Wissen aus.”
Textzitat Alex McCarthy Die Schönheit der Rosalind Bone
Häufige Perspektivwechsel und Zeitsprünge, gespickt mit Annahmen und Andeutungen halten die Spannung hoch. Wie oft legen wir uns die Wahrheit selbst zurecht? Ohne hinzuhören oder hinzuschauen. Ein Twist, etwa in der Hälfte der Geschichte, ändert alles. Da hatte ich mir den Verlauf doch ganz anders erdacht. So mag ich das. Auch wenn oder weil ich da als Fährtenleserin im Text versage …
Mit einem Erinnern in Fragmenten, auch an das harte Leben der walisischen Bergleute, an zwei schwere Grubenunglücke mit Hunderten von toten Männern, die aufgrund von nachgewiesener Fahrlässigkeit der Betreiber ihr Leben ließen, fächert sich diese Erzählung auf. Die Unglücke sind keine Fiktion. Leider. Das Wegschieben von Vorhängen, die den Blick ins Innere verbergen und wie wir mit Alex McCarthy auf das schauen was wir salopp menschliche Abgründe nennen, ist es. Vielleicht. Fiktiv. Behutsam deckt sie auf, konfrontiert. Uns, ihre Figuen, lässt mich nachdenklich zurück. Rosalind ist aus Gründen gegangen. Das Dorf weiß es und ich am Ende angekommen auch.
Wer jetzt Lust auf diese kleine feine Geschichte bekommen hat, der hüpfe rüber auf meinen Instagram-Account. Dort verlose ich ein Exemplar des Romans. Das Gewinnspiel läuft bis 14.07.24 24 Uhr. Viel Glück!
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