Der größte Spaß, den wir je hatten (Claire Lombardo)

Vertrauen gegen Vertrauen. Das was uns im Leben so geschieht, bietet reichlich Zerreißproben. Immer wieder werden wir ausgetestet, wieviel wir auszuhalten im Stande sind. An Enttäuschung, an Schmerz. Wie viele Gelegenheiten verpassen wir? Wie viele Entscheidungen treffen wir, die wir rückwärts betrachtet gerne wieder zurück nehmen möchten. Wo wir reagiert haben, wie wir nie haben reagieren wollen. Wo wir andere verletzt haben, wo wir jetzt zu stolz sind, oder auch zu feige um die Hand wieder auszustrecken, den ersten Schritt zur Versöhnung hin zu wagen. All das und noch viel mehr steckt auch in dieser facettenreichen Familiengeschichte, die mit ihrer geschickt konstruierten und episodenhaft erzählten Handlung, der Stoff für eine Netflix-Bestseller-Serie werden könnte:

Der größte Spaß, den wir je hatten von Claire Lombardo

Das gestammelte Geständnis von Violet erschütterte ihre Eltern wie ein Erdbeben und im Epizentrum dieses Bebens stand wieder einmal die älteste der vier Sorensen Töchter, Wendy. Wenn es um Chaos ging, dann war sie fraglos seine Königin. Ob sie sich erinnern würden, an das Jahr, in dem sie in Paris gewesen sei. Ja, ja doch, beteuern alle. Natürlich. Nur das sie, Violet, NICHT in Paris gewesen war, sondern hier. Schwanger gewesen sei, ein Kind, einen Jungen zur Welt gebracht und ihn zur Adoption frei gegeben habe. Fünfzehn Jahre lang hatte sie dieses Geheimnis gehütet. Unterstützt von ihrer Schwester Wendy. Im Schock nimmt man zur Kenntnis, das entweder das Schicksal oder Wendy in ihrem Leben einmal mehr den Dirigenten gespielt hat. Warum aber rückte Violet jetzt, nach einer gefühlten Ewigkeit mit der Wahrheit heraus? Die Antwort ist so einfach wie tragisch: Die Adoptiveltern ihres Sohnes sind tödlich verunfallt, da war er gerade erst vier und dieser Unfall brachte ihn erst zu wechselnden Pflegeeltern und dann in ein Heim. Durch einen Zufall, oder nennen wir es Fügung, war Wendy auf ihn gestoßen, sie hatte ihn wieder mit ihrer Schwester, seiner leiblichen Mutter in Verbindung gebracht und eine alles entscheidende Frage aufgeworfen: Würde sie ihn jetzt behalten wollen?

Claire Lombardo, geboren 1989 in Oak Park, Illinois, arbeitete als Sozialarbeiterin und PR-Agentin, heute ist sie als Dozentin für Kreatives Schreiben tätig. “Der größte Spaß, den wir je hatten” ist ihr Debütroman.

Man nehme eine ordentliche Portion Chaos, eine Prise Drama, eine Handvoll Überraschungen und eine Messerspitze heile Welt, et voilà: Da haben wir es, das Leben der Sorensens und ihren größten Spaß. Lombardo empfängt uns in ihrer Geschichte mit charmantem Plauderton, lässt es dabei aber nicht an Tiefe fehlen, mich Tränen lachen und traurige wegblinzeln. Sie behält stets einen positiven Blick auf das Geschehen und versorgt so ihre Leser:innen mit Stoff, die Serien wie Friends, Eine amerikanische Familie oder This is us mögen.

Mittels intelligent eingesetzter Rückblenden erzählt Lombardo, macht diesen Roman so zu allerbester Unterhaltung und zeigt Stück um Stück die Motivation und den Antrieb ihrer Protagonisten auf. 

Augenzwinkernd bin ich Lombardo hier auf der Hochzeit von Wendy Sorensen zwischen den Gästen hindurch gefolgt, und habe einen Blick auf den Clan  geworfen, den ich im Folgenden näher kennen lernen sollte. Unter den Ginkgo im Garten hatte sich die Mutter der Braut aus dem Trubel zurückgezogen, unter den Baum, der zum Schicksalsbaum ihrer Familie werden sollte, wovon allerdings gerade jetzt noch niemand auch nur etwas ahnte, ich zu allerletzt …

“Manchmal genügt es schon einer fremden Stimme zuzuhören und nicht der eigenen.”

Textzitat Claire Lombardo

Kann ein Kind, kann ein Teenager eine Lücke füllen, wenn man einen Partner verloren hat? Opfert sich hier eine Schwester, oder benutzt sie ein Adoptivkind als Krücke, als Mittel zum Zweck? Kaum das Violet mit ihrer “Sünde” herausgeplatzt ist, rivalisieren die Kümmerer in ihrer Familie. 

So sehen Belastungsproben aus. Hier werden keine Fettnäpfe aufgestellt, sondern das hier ist ein Tretminenfeld. Mit Vorzeige-Eltern wachsen vier junge Frauen heran, die jede für sich das Gefühl haben, nie an das heranreichen zu können, was ihre Eltern vorleben. Die Messlatte, an der man den Erfolg der eigenen Beziehungen ablesen kann, liegt ganz schön hoch auf für die vier Mädels der Sorensens, von denen eigentlich keine so wirklich eine Muster-Partnerschaft vorzuweisen hat, dafür haben sie stapelweise Enttäuschungen zu verdauen. Da steht es ihnen doch zu, dass Sie mit Nachsicht und Liebe belohnt werden. Nicht?

Vielleicht ist das ja das Wichtigste an einer Beziehung, freundlich zu bleiben. Klingt einfach, ist es aber nicht. Diesen Satz von Claire Lombardo habe ich mir mitgenommen, er scheint mir für alle Beziehungen zu gelten, die wir am Leben erhalten wollen. Besonders dann auch, wenn man sich fremd fühlt, wenn man in ein geschlossenes Familiengefüge hineinplatzt, das geprägt ist von Vertrauen und Vertrautheit und man das selbst so gar nicht kennt.

Unser Ur-Sehnen, nach einem Ort, an dem die Welt noch in Ordnung ist, bedient Lombardo vortrefflich. Wie eine Seifenblase lässt sie die Idee davon vor uns aufsteigen, aber Vorsicht! Nicht anfassen, sie könnte zerplatzen. Zerplatzen wie die Lügengespinste die hier auch gewoben werden, von Zicken und Nesthäkchen, mit all ihren Fehlern und in ihrem Scheitern, mit ihren Eifersüchteleien und ihren Rivalitäten. Thats live, wir folgen einer Geschichte vom “Auf-dem-Weg-sein”, vom “Den-eigenen-Weg-finden”, vom Kräftemessen, von innerfamiliären Wettbewerben auch, vom ganz normalen Wahnsinn im prallen Leben.

Krise bedeutet Chance, wissen wir jetzt, aber vermag man das Blatt wirklich immer zu wenden? Vielleicht nicht allein. Vielleicht steckt aber auch mehr in uns drin, als wir ahnen. Wie gut wenn man in solchen Situationen einen Menschen hat, der einem ein Spiegel ist, der dabei hilft zu ordnen, was in einem durcheinander geraten ist …

Du bist der größte Spaß den ich je hatte …”

Textzitat Claire Lombardo

Spaß hat auf jeden Fall, wer sich für die Hörbuch-Fassung von Lombardos Roman entscheidet mit ihr:

Wiebke Puls, Vollblut-Theaterschauspielerin, geboren 1973 in Husum, ist Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, von ihr vorgelesen habe ich schon Die Tanzenden von Victoria Mas vorgestellt.

Sie ist eine Könnerin in ihrem Fach und auch für dieses Hörbuch eine Traumbesetzung. Man hört sie so herrlich lächeln und strahlen über das ganze Gesicht, so lebendig, so empathisch, wie sie diese Geschichte vorträgt, so traurig, so verzweifelt reißt sie einen einfach mit. Bravourös meistert Puls dabei die gesamte Bandbreite an Gefühlen, die ihr Claire Lombardo in den Mund legt. Ganz egal was in dieser Geschichte auch lauert, ihre Leidenschaft hält immer Schritt. Sie erschafft stimmlich Figuren, die man lieben und hassen kann und keine kann so streiten wie Wiebke Puls, sie lässt hier zwei Schwestern aufeinander prallen, dass mir das Hören und Sehen vergangen ist.

Alle agierenden Figuren weiß sie ins rechte Licht zu rücken, damit wir sie alle gut sehen, sie verstehen können. Selbst entscheiden können, wem wir uns am nächsten fühlen. Wem wir am liebsten mal die Meinung geigen möchten, aber bitte so richtig!

Mehr als eine Woche war ich hörend bei den Sorensens zu Gast und bei denen, die an sie angedockt haben. Ihre Schrullen, ihre Macken, ihre liebenswerte Verdrehtheit habe ich belauscht und belächelt. Habe mit ihnen gelacht und gelitten. Marilyn, David, Wendy, Violet, Liza, Grace und Jonah, ihr werdet mir fehlen!

Lieblingssprecherinnen habe ich nur ganz wenige und ich freue mich sehr, meiner kurzen Liste jetzt eine weitere hinzufügen zu können. Dankeschön dafür, Frau Puls!

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