Die letzten ihrer Art (Maja Lunde)

Freitag, 24.04.2020

Wir waren schon erleichtert. In diesem Winter hat es viel geregnet, die Grundwasserspeicher konnten sich, nach dem trocknen Sommer der hinter uns liegt, endlich auffüllen. Jetzt im zeitigen Frühjahr aber drängt sich erneut ein Wort zwischen die alles beherrschenden Schlagzeilen. Dürre. Auf Feldern und in Weinbergen bangt man schon jetzt um die Erträge und die kommende Ernte. Wetterkapriolen, auf sie müssen wir uns zunehmend einstellen. Der “fridays for future”- Bewegung wurde von der Corona Pandemie der Boden der Begegnung entzogen. Es herrscht ein Versammlungsverbot und die mahnenden Stimmen, die uns zur Umkehr bewegen wollten, die uns nachdenklich machen wollten, unser Konsumverhalten betreffend sind verstummt. Reiseverkehr und Industrie sind zum Erliegen gekommen, der Ölpreis in ungeahnte Kellertiefen gerauscht. Teils erholt sich die Natur gerade, was aber wird sein, wenn die Räder sich wieder drehen? Eine Autorin, die sich dem Klima verschrieben hat, spricht noch zu uns und sie habe ich heute mitgebracht …

Die letzten ihrer Art von Maja Lunde

Fragmentarisch ist dieser ihr Roman und auf eine solche mosaikhafte Reise möchte ich Euch auch mit meiner Besprechung mitnehmen, ihn etwas anders als von mir gewohnt vorstellen, auch mit dem Schwerpunkt auf der Hörfassung. Ich hoffe dabei meinen Leitfaden nicht zu verlieren, das ist eine Kunst, die Maja Lunde souverän beherrscht. Wie Maschen verkettet sie Ereignisse zu einem festen Gewebe.

Maja Lunde, geboren 1975 in Oslo, ihr Roman Die Geschichte der Bienen wurde nicht nur mit dem norwegischen Buchhändlerpreis ausgezeichnet, sondern stand auch monatelang auf der Spiegel-Besten-Liste auf Platz 1. Er wurde zum meistverkauften Roman des Jahres 2017. Ein Klima-Quartett zu schreiben hat sich die Autorin vorgenommen und nach Die Geschichte des Wassers, ist dieser hier der dritte im Bunde und titelt mit Die letzten ihrer Art.

Von der mongolischen Steppe über St. Petersburg bis in ein Norwegen in nicht allzu weit entfernter Zukunft spannt Maja Lunde ihren Erzählbogen. Wie wir es schon von ihren Geschichten um “die Bienen” und “das Wasser” kennen, erschafft sie unabhängig von einander agierende Figuren, die sie in einen jeweils eigenen Kontext stellt. Als verbindendes Element setzt sie diesmal eine Pferdeart ein, eine vom Aussterben bedrohte. Eine von der man annimmt, dass es sich hier um das Urpferd, das Przewalski-Pferd, ein Takhi, handelt, dieses jene welches man von Höhlenmalereien kennt. So ist das Leben mit Pferden der rote Faden, der sich durch alle Geschichten in dieser Geschichte zieht. Zu allen Zeiten haben sie für uns Menschen eine Rolle gespielt, als Transportmittel, als Gefährte. In vielen Romanen haben sie gar tragende Rollen übernommen. Was wäre unsere Welt ohne sie? 

Viele Tierarten sind schon von unserem Planeten verschwunden. Ausgestorben, teils weil wir sie bejagt haben, ihrer Zähne, ihres Fells wegen, oder weil unser Klima im Wandel auch sie in die Knie gezwungen hat. Gedanken, die im Gesamtkontext von wetterbedingten Veränderungen ihre Berechtigung haben. 

Gleich einem ganzen Heer von Sprechern begegnen wir in der leicht gekürzten Lesung dieser Geschichte, die mit ca. 13 Stunden und 40 Minuten wunderbar inszeniert ist. Vier Damen, als da wären Meike Droste (als Eva), Beate Himmelstoß (als Karin), Susanne Schröder (als Isa), sowie Katja Bürkle (als Louise) und zwei Herren, Herren Thomas Loibl (als Michail) und Thomas M. Meinhardt (als Mathias) bescheren uns beste Hör-Unterhaltung. Das Wechselspiel der Stimmen unterstreicht die Unterschiedlichkeit der Charaktere, macht die Figuren so nahbarer als es der reine Text vermocht hätte. Im Innenleben des Hörbuch-Einbandes findet man sie alle aufgeführt mit den Figuren verbunden, die sie sprechen. Das hilft sie alle einzuordnen und die Struktur des Romans zu erkennen, der wie ein Puzzle vor uns liegt, das wir zusammensetzen müssen.

Beate Himmelstoß als die Tierärztin Karin hat mir dabei besonders gut gefallen. Ihr begegne ich im Jahr 1992 hoch über den Wolken und im Landeanflug auf Ulan Bator, in einem russischen Transportflugzeug, das schon bessere Tage gesehen hat, voll mit unruhigen Wildpferden. Sie widmet sich dem wohl größten Auswilderungsprogramm überhaupt. Welche Eigenschaften kann sich eine Art noch bewahren, wenn sie lange in Gefangenschaft lebt? In Reservaten, in Zoos unter menschlicher Obhut. Was davon bricht sich wieder Bahn, wenn sie wieder in die Natur entlassen werden? Sind diese Tiere auf sich gestellt noch überlebensfähig? Achtzehn von fünfhundert Wildpferden betreten zum ersten Mal einen Boden in Freiheit. Eine Idee, die von vielen als wahnwitzig, wahnsinnig abgetan wurde, wird Wirklichkeit.

Ich stehe mit Karin und ihrem Sohn Mathias in einem wogenden Meer aus Gras, soweit das Auge reicht Halme und endlose Weite. Zwischen Halb-Nomaden, in der Mongolei. Wir sind zu Gast bei einem Volk, in dessen Gesichtszügen wir die des großen Dschingis Khan erkennen. Alles in der Natur hat eine Seele. So leben diese Menschen hier, haben bodenständige Rituale, sie empfangen uns gastfreundlich. Hier habe ich mich wohl gefühlt, meinem Blick haben sich Himmel und Horizont geöffnet.

Und im Jahr 1880 bin ich mit Michael aus St. Petersburg und Thomas Loibl schon einmal hier gewesen. Auch Loibl versteht es sich mir als Sprecher einzuprägen. Die Verletzlichkeit mit der er seine Figur anlegt hat mir gefallen. Mit ihm, mit seiner Figur, lerne ich Wilhelm Wolf kennen, einen legendären Tierfänger, der Zirkusse, Menagerien und Wildparkbesitzer mit exotischen Tieren beliefert. Ein Schädel und das Fell eines Pferdes, die hier in der Mongolei gefunden worden sind, haben beide hergeführt. Ein lebendiges Exemplar dieser Gattung wollen sie jetzt aufspüren, vielleicht nicht nur eines, und es/sie mitnehmen. Nach Tagen in eisiger Kälte und nach vergeblicher Suche, endlich eine Wolke aus Staub in der Ferne. Trugbild oder die Spur einer Herde? Angetrieben von dem Wunsch Geschichte zu schreiben reiten sie dem Dunst entgegen … 

Das Hörbuch neigt sich schon seinem Ende zu, da erhebt sich noch eine Sprecherstimme, die bislang stumm gewesen war. Thomas M. Meinhardt, als Karins Sohn Mathias, der 2019 zu Karins letzter Reise aufbricht. Was für einen schönen Crisp Meinhardt in seiner Stimme hat, so lebendig und ausgesprochen fesselnd ist sein Vortrag, dass ich mir gleich eine Notiz mache. Gerne auf ein Wiederhören Herr Meinhardt und Frau Himmelstoß!

Wie fällt jetzt mein Gesamt-Fazit aus? Für Pferde-Fans ist diese Geschichte sicher ein Fest. Für mich war sie es eher nicht, von der Umsetzung als Hörbuch einmal abgesehen. Unter dem Strich muss ich sagen, dass mir Lundes dritter Roman bislang am wenigsten gefallen und mich eher enttäuscht hat. Kopulation und Geburtsvorgänge, für mich hat es eine Spur zu viel Pferd in dieser Geschichte und dort, wo es um die Menschen geht bleibt Lunde mir zu sehr an der Oberfläche, auch wenn sie z. B. durchblicken lässt, das man es mit der Tierliebe auch übertreiben kann, dann wenn man darüber den eigenen Nachwuchs vernachlässigt. Auch der Umweltaspekt, den sie bei ihren beiden Vorgänger-Romanen herausgestellt hat, kam mir hier zu kurz. Eine verbotene Liebe im zaristischen Russland ist mir einen Hauch zu kitschig geraten, eine eingebaute Mutter-Sohnbeziehung zu beliebig, die in ihr agierenden Figuren einfach zu stereotyp. 

Noch am besten gefallen hat mir der Erzählstrang den sie in die Vergangenheit gelegt hat. Hier geht es um die verwegeneren Figuren, um Expeditionen, um Attentatsversuche auf den Zaren, den man mittlerweile schon für unsterblich hält, weil er alle Anschläge bislang unbeschadet überlebt hat. Bis zu dem Tag, als eine Explosion und eine Wolke aus Asche und Staub ihm doch ein Ende bereiten. Mindestens zwanzig Menschen reißt dieser Anschlag mit in den Tod.

Wie Splitter lässt Maja Lunde die Erlebnisse aller Figuren, darunter Kindheitserinnerungen an Bombennächte in Berlin auf mich herabregnen. In diesen Szenen erkenne ich die Autorin wieder, die ich bei den Bienen so mochte. Bei Eva und Isa in der norwegischen Zukunft kommt das Ergebnis aller Bemühungen um das Bewahren dieser speziellen Wildpferd-Art an, alle Anstrengungen, alle Mühen, die Michail, Wilhelm, Karin und Mathias Jahrzehnte zuvor auf sich genommen haben. Sie kommen an in einer Zukunft, die weder für Mensch noch Tier wirtlich ist und ich will in meiner Zukunft mal schauen, wie Frau Lunde inhaltlich mit dem vierten Band diese ihre Roman-Reihe beschließt, und dann entscheiden, ob ich ihn lesen oder hören werde ….

Wer mag klickt auf das Cover und landet in meinen Besprechungen der beiden ersten Lunde-Geschichten:

 

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    26. April 2020

    Liebe Dorothee, schauen wir mal, was in ihrem Abschlussband passieren wird. LG von Petra

  2. Dorothee
    25. April 2020

    Hallo Petra! Ich mochte das Buch über die Bienen von Frau Lunde sehr, war jedoch schon vom 2. Teil dieser “Umweltreihe” etwas enttäuscht … da werde ich mir die Ausgabe für DIESES wohl lieber sparen … Pferde interessieren MICH nicht so wirklich!
    Liebe Grüße aus Kiel- Dorothee

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