Das Licht in einem dunklen Haus (Jan Costin Wagner)

Am Ende des Winters angekommen, hungere ich nach Licht. Nach Autor:innen die meine Leseseele streicheln. Jan Costin Wagner schafft das mit seinem Kimmo Joentaa jedes Mal. Diese Reihe habe ich erst mit Band sechs für mich entdeckt, dem bislang letzten, und seitdem erobere ich sie mir rückwärts. Immer in der Hörbuchfassung, immer mit dem einmaligen Matthias Brandt als Sprecher. Immer wenn mir danach ist. Sparsam, damit ich sie nicht zu schnell aufbrauche. Damit ich immer noch einen Teil vor mir habe, in den ich heimkehren kann.

Untrennbar sind in diesem Fall Vorleser und Autor für mich miteinander verbunden. Diese wunderbare Grundmelancholie die Text und Vortag transportieren, machen Wagners Kriminalromane zu weit mehr als reinen Krimis. Es wird ermittelt, klassisch ohne Effekthascherei und Gewaltszenen und es hat diese unglaubliche Sensibilität mit der Wagner erzählt, mit der er seinen Helden Kimmo ins Zentrum rückt. Immer, gleich wie viele Begleitfiguren er ihm an die Seite stellt, ist er derjenige, der mir im Herzen bleibt: Here we go again also, diesmal brennt ein Licht und ich trete ein und hinter die Kulissen …

Das Licht in einem dunklen Haus von Jan Costin Wagner

18. August 1985
Alles beginnt und man muss es aufschreiben um es nicht zu vergessen.

Eine Tote wurde ermordet. Eine Frau die auf der Intensivstation lag. Gefunden hatte man sie in einem Straßengraben. Bewusstlos, danach Wachkoma, wegen einem schwerem Schädelhirntrauma. Niemand schien sie zu kennen, niemand hatte den oder die kommen oder gehen sehen, der sie getötet, ihr die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten hat und Kimmo stand jetzt wieder hier. Wie damals, als seine Sanna in einem dieser Betten auf dem Weg aus dem Leben war. Dort wo er sie verloren hatte. An den Tod. Er kämpft. Mit den Bildern, die in ihm aufsteigen. Mit Gefühlen, die wieder an die Oberfläche wollen. Ihn daran zu  hindern versuchen, sich diesem Fall zu stellen. Daran hindern sein Leben zu leben. Ohne Sanna.

Jan Costin Wagner nimmt mich mit in einen Herbst ohne Regen. Poetisch erzählt er mir davon das Kimmo jetzt mit Larissa lebt. Zusammen aber irgendwie auch getrennt. Mit einer Frau, die das Licht anmacht wenn sie geht und die im Dunkeln sitzt wenn er nach Hause kommt. Die am Tag schallend lacht und nachts im Schlaf weint. Mehr als einmal. Die viel zu viele Männer kennt. Viel zu gut. Die ihnen viel zu nah kommt. Auch seinem Chef. Den nennt sie August. Der so aber gar nicht heißt und dem das auch sichtlich unangenehm ist. So konfrontiert vor unfreiwilligen Zeugen. Auf einem Geburtstagsfest. Zu dem sie alle, die Kollegen und er eingeladen waren …

Jan Costin Wagner, geboren am 13. Oktober 1972 in Langen, lebt in Frankfurt und Finnland seiner zweiten Heimat, der Heimat seiner Frau. Diesem Land fühlt er sich von Herzen verbunden und vielleicht ist ihm seine Figur Kimmo Joentaa, den er als Finne erdacht hat, deshalb so warmherzig und wegen der Trauerphasen, durch den wir ihn begleiten, so nahbar geraten.

Wagner lotet wie gewohnt auch in diesem Roman die menschlichen Untiefen perfekt aus. Das Etikett Kriminalroman wird ihm nicht gerecht. Ich wiederhole mich und das im Brustton der Überzeugung. Wer keine Krimis liest und ihn deshalb übersieht, der verpasst etwas. Auch sprachlich zieht Wagner alle Register, bleibt dabei stets nordisch klar, ungemein empathisch und stellt seine für mich faszinierende Beobachtungsgabe erneut unter Beweis. In seinen Geschichten geht es immer um Leben und Tod und er möchte, so wird er zitiert, aufzeigen wie wir MIT dem Tod leben. Seine Nachdenklichkeit hat etwas umarmend wärmendes und vielleicht mag ich ihn genau dafür am meisten. Mindestens so gern genieße ich auch die Einstiege in seine Geschichten.

Auch diesmal. Mir entweicht ein Seufzer. Seine ersten Sätze, dieser Prolog, der so viel verspricht und nichts verrät, sie erwischen mich sofort. So voller Wehmut, so wunderschön. Ich spule zurück, höre noch einmal hin, genauer. Keine Schnörkel, dafür Trost und die Erkenntnis, das jemand der Trauer kennt, am besten trösten kann.

25. Dezember 2010. Ein weiterer Tagebuch Eintrag. So viel Zeit ist vergangen. So viel Leben wurde gelebt, so viel zerstört. So nah waren sie einander gekommen. So fremd sind sie sich geblieben.

Es schneit dicke Flocken. Jemand findet was er nicht gesucht hat.

Tagebucheinträge führen zu einer zweiten Erzählebene. Tränenflüssigkeit ist vorerst das einzige Indiz das die Kriminaltechnik beisteuern kann. Sie ist zurück geblieben. Auf dem Kissen. Im Krankenhausbett und stammt nicht vom Opfer. Ein Mörder der weint?

Leben und Tod. Zu beidem gehört die Liebe. Ohne sie würde der Tod uns nicht schmerzen, das Leben nichts bedeuten. Deshalb geht es hier auch um sie. In ihrer reinsten Form. Ohne Kitsch. Ohne Pathos. Sie ist Motiv, Grund und Ursache.

Von den Geschichten um Kimmo Joentaa gibt es per dato sechs, lieber Jan Costin Wagner, ich hoffe sehr auf eine Fortsetzung, nachdem ich Sakari kennenlernen durfte. Ich liste einmal die korrekte Reihenfolge auf und füge Euch die Cover der Teile ein, die ich als Hörbücher schon besprochen habe:

Band 1 Eismond
Band 2 Das Schweigen
Band 3 Im Winter des Löwen
Band 4 Licht in einem dunklen Haus
Band 5 Die letzten Tage des Schnees
Band 6 Sakari lernt durch Wände zu gehen

Matthias Brandt, geboren am 07. Oktober 1961 in Berlin, Schauspieler, Autor und Hörbuchsprecher, ist mein erklärter Liebling unter den Vorlesern. Ihr wisst das längst. Den Bücher-Flüsterer habe ich ihn einmal genannt und dabei bleibe ich. Seine Emotionalität finde ich grandios, er lebt seine Texte, verleiht Ihnen und den Figuren eine Tiefe, wie nur er es kann. Seine Stimme und Tonalität sind unverkennbar und er ist und bleibt für mich Kimmos Stimme, so wie Kimmo mein Favorit unter den Ermittlern bleibt. Dicht gefolgt von Dr. Siri Paiboun, den zumeist ganz unnachahmlich Jan Josef Liefers im Hörbuch zum Leben erweckt. Gönnt Euch ungestört das Hören im Falle des Dream-Teams Wagner/Brandt. Es ist ein Festival für Ohren, Herz und Seele. Versprochen!

Eine Triggerwarnung möchte ich noch setzen, es geht auch um sexuelle Gewalt. Wagner seziert und betont diese Szenen nicht, er schafft es auf viel subtilere Art das es einen anpackt. Seine Täter sind hassenswert, aber nicht alle. So ist das immer bei ihm. Er bringt meine Überzeugungen ins Wanken und die Abgründe vor die er mich stellt, die Motivationen die er aufzeigt, seine Fall-Auflösung verblüffen mich. Erneut. Auf Wiederlesen oder Hören, Kimmo! Hoffentlich recht bald mit Neuigkeiten von Dir!

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert