Elefanten die im Meer tauchen? Ach, geh?! Sie nannten ihn Rajan und dieses unfassbar großartige Foto gehört zu seiner Todesanzeige. In der Nacht vom 31.7. auf den 1.8.2016 verstarb Rajan, der letzte der im Meerwasser der Andamanen-Insel Havelock schwimmenden Elefanten, im Alter von 66 Jahren im Schlaf. Eingefangen im Alter von zehn Jahren, währte sein Arbeitsleben 56 Jahre, die letzten zwölf davon, habe er recht entspannt als “Hotelangestellter” verbracht und Tourist:innen auf ihren Tauchgängen begleitet. Kein Wunder, das angesichts einer solchen Geschichte nicht nur Jacques Cousteau verblüfft war. Elefanten, denen man ihre Furcht vor den Wellen abgewöhnt hatte? Die weite Strecken mit Lasten schwammen in bewegter See? Auf den zu Indien gehörenden Andamanen-Inseln, die geographisch im Golf von Bengalen zu finden sind, brachte man es rund zweihundert von ihnen einst mit harten Schlägen bei. Verpasste ihnen Schwimmgürtel aus luftgefüllten Fässern, damit sie ihre jeweiligen Einsatzorte schwimmend erreichen konnten, mangels anderer Verkehrsmöglichkeiten. Bis ins Jahr 2004, da wurde das Fällen von Bäumen auf den Andamanen verboten, arbeiteten die Elefanten für die Holzindustrie. Nur einer blieb am Ende auf Havelock zurück, wurde gar zum Filmstar und ist in dem preisgekrönten Streifen “The Fall” des Regisseurs Tarsem Singh zu sehen. Es gibt ein Video auf YouTube von Rajan, das mich sehr berührt hat und es wundert mich kein Stück, das ein Foto von Rajan Dennis Gastmann, den Autor dieser Geschichte zu der seinen inspiriert hat.
Dalee von Dennis Gastmann
Bellinis Vater war ein Mahut, ein Elefantenführer und er verstand diese Tiere wie kein Zweiter. Er erkannte wie sie untereinander, miteinander sprachen, war geduldig mit Ihnen, glaubte fest an ihre Seelen. Lehrte seinen Sohn auf die Zeichen zu achten.
Als jetzt der Rüssel nach Belline griff, nach ihm der nicht schwimmen konnte, aber wissen wollte, wie es da war, unter Wasser, fühlte er sich geborgen. Mit Dalee konnte ihm nichts passieren. Was Bellini heute nicht wusste war, dass dieser Elefant einmal versuchen würde zu töten.
Bellini war der Elefantenjunge, der Futterschneider, denn so ein Arbeitselefant hatte den ganzen Tag über Hunger. Dem Vater zuzuarbeiten, für Dalee zu sorgen war ab sofort sein Job. Als Nachwuchselefantenhüter. Das hatte Tradition in der Familie.
Wach und klug schaut Gastmanns junger Held auf die Dinge, auch wenn er mit seinen elf Jahren noch keine Schule von innen gesehen hat, seinen ellenlangen Namen nicht schreiben kann. Einer Lehrerin sollte er noch begegnen, denn nichts würde so bleiben wie es war.
Dennis Gastmann, geboren am 11. Juni 1978 in Osnabrück, Reisender, Filmemacher, Schriftsteller und Abenteurer, legt mit Dalee seinen ersten Roman vor. Der ist so prall gefüllt mit Eindrücken, dass man gar nicht weiß wohin zuerst schauen oder hören. Denn es gibt auch eine Hörbuchfassung die er selbst eingelesen hat und die seinen Erzählton nochmals deutlicher einfängt. Der fernseherfahrene Gastmann plaudert in farbenfrohen Bildern von einem Indien, vor dessen Küste auf einer Insel in der Andamanensee, Bellini und seine Familie eine neue Heimat finden. Es wird abenteuerlich werden, um Verlust gehen, um Bindung und um tiefempfundene Freundschaft.
Arbeitselefanten sind keine Kuscheltiere, Elefanten generell nicht, trotzdem wollen wir anfassen, wir bewundern ihr Sozialverhalten, ihre Sanftheit und Behutsamkeit, die so garnicht zu ihrer körperlichen Erscheinung passen will. So erging es auch Gastmann, der eine Woche lang in einem Elefantencamp in Asien mit den Tieren lebte und dem fortan eine Geschichte mit den grauen Riesen als Protagonisten im Kopf herumspukte. Wie sehr diese Tiere ihn beeindruckt haben müssen ist in Dalee deutlich zu spüren.
Mir bringt er ganz nebenbei unglaubliches bei. Das ein Elefant kitzlig und wo seine Haut dünn ist etwa. Das er eigentlich auf Zehenspitzen geht wie eine Tänzerin. Wie das Wasser ihm sein Gewicht abnimmt, ihn leicht macht wie eine Feder, ihn schweben lässt. Ich hüpfe mit Fröschen über Schlammpfütze, lerne eine Menge über Elefanten und staune. Darüber, wie schnell mich diese Geschichte vereinnahmt hat. Wie mühelos sie mich mit ihrer Märchenhaftigkeit und einem Augenzwinkern entführt, in eine längst vergangene Zeit, an Orte, wo ich noch nie war. Wohin ich wohl auch nie gelangen werde.
Zu Millionären und Bettlern, Pilgern und Himmelslaternen, an den heiligen Ganges, auf Basare. Zu Gauklern, Gaunern und Staunenden. Was für ein Tumult! Wie ein Farbfilm laufen die Szenen dieser mir fremden Welt vor meinem inneren Auge ab. Mit offenem Mund bewundere ich Flora und Fauna. Finde mich im Bauch eines Schiffes wieder, als ein Elefant dort zu randalieren beginnt. Mehrere Mahuts versuchen ihn mit Stachelstöcken im Zaum zu halten und ihm den Mann zu entwinden, den er mit aller Kraft zu Boden gedrückt hält. Das kann doch nicht gut ausgehen …
Ein Schicksalstag. Auf einem Markt begegnete Bellinis Vater zuvor einem reichen Kaufmann aus Kalkutta, der um Arbeitskräfte wirbt. Der Eisenbahnbau verschlinge gierig Holz und auf den Andamanen Inseln gäbe es reichlich davon, aber keine Zuwegung und keine Maschinen, nur die stärksten Elefanten und die Geschicktesten unter ihren Führern kämen hier zurecht, beschwor er die Umstehenden. Nach ihnen war er auf der Suche.
Das war der Ruf für Bellinis Vater, nannten sie ihn doch den Mann, der seinen Elefanten mit dem Herzen lenkte und so begann es, mit einem Wettrennen, zwölf großen Holzkisten und zwölf Elefanten später, auf einem Schiff. Ihr Abenteuer. Mit einer Überfahrt zur einer ehemaligen Strafkolonnie.
Auch Elefanten können seekrank werden, erfahre ich und wie die sonst wandernden Wesen unter dem Stillstand leiden. Ich leide mit.
Schlangen, Blutegel und Termiten mit Kultur, die eine Dschungelbibliothek zunichte machen. Eine Vergangenheit, die mit dem Blut aus Unabhängigkeitskämpfen getränkt ist. Der Dschungel schläft nie und es hat Menschenfresser in ihm, giftige Hundertfüsser und was sonst noch. Einen ganzen Elefanten kann man locker mal in ihm verlieren. Und ob.
Ein tragisches Ende, klirrende Ketten, Kalbsleberwurst, flatternde, gackernde Scheuklappen und ein Konzertflügel. Rituale und Traditionen. Feuerbestattungen, Holzfällercamps, Sikhs, Hindus und Muslime treffen auf Bestimmer aus Europa. Ein Freund geht verloren, verliert sich. Geschichten, die man sich erzählt, abends am Lagerfeuer. Die vielleicht wahr sind, vielleicht auch nicht, die ängstigen.
Alt werden ist nichts für Feiglinge und schwer für einen Arbeitselefanten. Besonders dann, wenn Firmenbosse nicht verstehen, dass sie hier keine Maschinen vor sich haben, die man mit Öl und einem Schraubendreher reparieren kann.
Reißaus. Wer ist Freund und wer Feind? Ein Tier ist weder Spielzeug noch Sklave und auch wenn wir es in unseren Dienst stellen, weil wir uns für die Krone der Schöpfung halten, verdient es Pflege und Respekt. Elefanten vergessen nicht, als Dalee es doch tut ändert sich alles …
Die Geschichte erfährt eine Zuspitzung, die ihr die Zeit und die Zwangsläufigkeit der Ereignisse diktieren. Auch Bindungen die tief gehen muss man loslassen, wenn es an der Zeit ist. Den Schmerz aushalten.
Abenteuer satt und ein episches Kopfkino darf man hier erwarten. Wer einem Elefanten begegnet, seine Größe spürt, begegnet sich selbst, meint Gastmann. Erlebt wie klein man selbst doch ist. Ordnet eigene Kümmernisse neu ein.
Kurzweil und ein Detailreichtum der mich ungläubig blinzeln lässt bevölkern diesen Roman, der kein Märchen sein will, so sein erwachsener, zurückblickender Erzähler, der aber vielleicht doch eines ist. Eines das auf einem wahren Kern fußt, wie die Anmerkungen des Autors am Ende belegen. In jedem Fall ist eine Hörbuch-Fassung, vom Autor selbst eingelesen entstanden, die mir in Summe einen Hauch zu deklamierend geraten ist. Die Geschichte zu lesen würde ich vorziehen, stünde ich ein zweites Mal vor der Wahl. Die Story selbst ist aufgrund ihrer Exotik und ihrer Buntheit hingegen ein Vergnügen, wenn man die Blumigkeit dieser Erzählart genießen kann.
Gute Unterhaltung allen, die sich für diese Reise an den Rand der Welt entscheiden. Dahin wo einst diejenigen geschickt wurden, die man dorthin wünschte wo der Pfeffer wächst. Denen man ein Leben zumutete, das in Gastmanns Geschichte einen fast romantischen Touch erhält, das aber mit Sicherheit kein Waldspaziergang gewesen ist …
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