Damenopfer (Steffen Kopetzky)

Schachmatt, durch die Dame im Spiel. Schachmatt, weil sie mir so gefiel. Die Textzeile eines deutschen Schlagers kommt mir spontan in den Sinn beim Lesen dieser Gesichte. Das muss wohl auch Steffen Kopetzky gedacht haben, als er die Hauptfigur dieser Geschichte gezeichnet hat: Larissa Michailowna Reissner. Sie ist der Kern um den sich in diesem historischen Erzählreigen alles dreht. Wie die Erde um die Sonne. Die russische Schriftstellerin und Revolutionärin, geboren am 1. Mai 1895 in Lublin, Polen, Tochter eines deutschstämmigen Rechtswissenschaftlers, trat 1918 in die bolschewistische Partei ein, heiratete Fjodor Raskolnikow, Ex-Flottenkommandeur der Sowjets, mit ihm ging sie nach Afghanistan, wo sie am Ende nicht nur schreibend der Kolonialmacht Großbritannien den Kampf ansagte:

Damenopfer von Steffen Kopetzky

Moskau, Februar, 1926. Ein Scheiterhaufen brennt. Lichterloh. Auf einem Friedhof. Zwei Totengräber und ein Hund wärmen sich an ihm. Der Boden ist tief gefroren und erst müssen sie ihn auftauen, bevor sie das Grab ausheben können. Während des Wartens darauf, einen Spaten in die Erde stechen zu können, ihre eigentliche Arbeit zu beginnen, erinnert sich einer der beiden an die Frau, für die sie hier schaufelten. Er war ihr begegnet noch bevor ihr Name in aller Munde gewesen war, viele Jahre zuvor: Larissa Michailowna Reissner.

Flashback – Kabul, Afghanistan, 1922 bis 1923.
Eine Stadt, ein Land im Mittelalter stecken geblieben, Frauen in Ganzkörperschleier gehüllt, Straßen aus Ziegeln und Häuser aus Lehm. Aufsteigende Drachen in flirrender Hitze. Objekt der Begierde großer Mächte.

Der Frau des russischen Botschafters, einer engagierten Revolutionärin, fallen nicht ganz ohne eigenes Zutun Aufzeichnungen in die Hände, die reines Dynamit bedeuten. Können. Für das britische Empire. Wie Schachzüge kodiert enthalten diese einen Plan, der die Idee verfolgt, den Engländern Indien zu entreißen. Wem das gelänge, der würde in der Lage sein das Machtgefüge der Welt zu verändern. Deutsche Offiziere waren es, die während des Ersten Weltkrieges hier in Kabul große Pläne geschmiedet hatten. Afghanistan war also nicht deren Ziel, sondern Ausgangspunkt für weit größeres gewesen. Bevor sich Larissa Reissner, die Botschaftergattin entscheiden konnte, was sie mit diesen Informationen anfangen wollte und konnte, warf sie ein Malariaanfall um …

Steffen Kopetzky, geboren 6.Januar 1971 in Pfaffenhofen an der Ilm, zuletzt stand sein Roman Monschau monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, inmitten der Corona-Pandemie holte er uns damit die Erinnerung an die Pocken in Deutschland, in der Eifel zurück. Sein Vorgänger-Roman Propaganda war nomiert für den Bayrischen Buchpreis, zuvor schrieb er sich mit Risiko auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Im Beitrag unten hänge ich Euch meine Beiträge zu Propaganda und Monschau an. Beide habe ich gehört und mich auch deshalb erneut für die Hörbuch-Fassung seines neuesten Streiches entschieden. Damenopfer ist druckfrisch, ungekürzt auf 2 MP3 CDs im Argon Verlag erschienen (vielen Dank für das Besprechungsexemplar), und erzählt die Geschichte einer Frau, die selbst ihr Kind gegen eine revolutionäre Idee eintauschte.

Eine Geschichte wie hundert Geschichten in einer Geschichte. Man erlebt abgesagte deutsche Revolutionen, russische Filmpremieren (es geht um einen Panzerkreuzer), ebenso wie konsprirative Treffen. Allesamt sind sie wechselvoll wie das Leben dieser außergewöhnlichen Frau. Für geübte Hörbuch-Hörerinnen, zu denen ich mich auch zähle, eine Herausforderung. Man muss hellwach bleiben um der Vielzahl von Details die Kopetzky einbringt hinterherzukommen. Zum Glück hat es da einen Sprecher, der mit mir 12 Stunden und 43 Minuten lang am Ball geblieben ist:

Julian Horeyseck, geboren 1981, der nach seiner Schauspielausbildung an verschiedenen Hamburger Bühnen, sowie am Deutschen Schauspielhaus arbeitet, liest empathisch und lebendig. An ihm lag es nicht, dass ich in diesem Fall keine Empfehlung für das Hören ausspreche. An ihm nicht, er bringt sich hier mit Leib und Stimme ein um die zahlreichen Facetten und Figuren herauszuarbeiten, und auch nicht an der Produktion. Für mich ist dieser Text mit all seinen Fragmenten einfach eher zum Lesen geeignet.

Wer auch in der Erwartung in diesen Roman startet, eine ähnlich konsumige Geschichte vorzufinden wie in Kopetzki’s Monschau, wird sich schwer tun. Allein die Erzählart in Damenopfer ist eine gänzlich andere. Eine exzessiv fragmentarische, aufgesättigt mit politischen Details und Hin und Her, vor und zurück springend, die Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert und auch geschichtliche Vorkenntnis ist sicherlich hilfreich um dem Detailreichtum und der Vielzahl an Erzählstimmen hinterherzukommen.

Unterteilt in 23 Kapitel, begegnet man hier unfasslich vielen Figuren und Namen, und alles was sie miteinander verbindet ist diese Frau. Sie alle sind ihr begegnet, waren von hier angetan, beeindruckt begeistert, oder erfahren nach ihrem Tod von ihr. Ich wäre dieser Figur auch gerne näher gekommen. Fand sie aber sehr abstrakt gezeichnet, sowie dieses wunderbare Gemälde auf dem Cover. <Der blaue Schal>  stammt aus dem Jahr 1930 und im Original von der polnischen Art Deco Malerin Tamara de Lempicka. Nichts hätte hier für mich besser passen können, auch wenn Reissners Haarfarbe eigentlich braun gewesen ist..

Wanzen und Bisse, ein neues Leben. Debattieren und streiten. Künstler und Intellektuelle. Mondäne Partys. Hinterzimmer und Zigarrenrauch. Vorfreude und eine Rückkehr. Machtstrukturen und die Frage “was wäre gewesen wenn” im Spiel der Mächte, beschäftigen Steffen Kopetzky und er beschäftigt seine Figuren damit und am Ende nichts als Asche? Revolutionäre Träume werden zerrieben.

Ich bin keine Schachspielerin, verstehe dieses Spiel nur rudimentär, bewundere aber Spieler:innen, die es vermögen ein ganzes Spiel, ihre Züge und die des Gegners im Kopf vorausdenken können. Was ist ein Damenopfer im Schach? Was bewirkt es?

Ich erfahre, das ein Damenopfer darin besteht, dem Gegenspieler seine Dame, die stärkste Figur im Spiel anzubieten. Nimmt dieser an und schlägt die Dame, hat dies meist für ihn ein forciertes Matt zur Folge. Ein Überraschungsangriff also, der einen unerfahrenen Gegner, rasch außer Gefecht setzt. Verstehe …

Larissa Michailowna folgt hier der Spur eines gewissen Oskar von Niedermayer, einem deutschen Offizier aus Bayern an den Wannsee. Sie will ihn als Verbündeten gewinnen. Was sie ihm dort anbietet kommt einen Damenopfer gleich und soll dem Kommunismus endgültig zum Sieg verhelfen, die Unterdrückten in der Welt befreien. Sein Plan, die Herrschaft Großbritanniens Indien mittels Unterstützung  afghanischen Volkes.

Angesichts der Fülle an Informationen die Kopetzky zusammengetragen hat, erweist er sich fraglos als Kenner jener Zeit. Seine Recherchen müssen umfangreich gewesen sein. Diese Vielstimmigkeit zu dirigieren, dass muss ihm erst einmal einer nachmachen. Mir persönlich waren die zahlreichen Rückblenden zu viel, das Fehlen einer durchgängigen Handlung zu wenig. Am liebsten bin ich immer zurückgekehrt in die Kapitel, in denen Reissner selbst agieren darf.

Gefallen haben mir daher besonders die Kapitel, in denen man ihr über die Schulter schauen kann, Kapitel die den roten Faden bilden, sie sind der Kitt, der die vielen Facetten und Perspektivwechsel  zusammenhält. In prallen, bunten Bildern erzählt Kopetzky da, ganz der Abenteurerzähler seiner früheren Geschichten. Ob Wirtshaus, Traditionshotel oder Friedhof. Diese Kulissen atmen spürbar Geschichte.

Besonders das Kapitel eines Treffens am Wannsee, wo die Revolutionärin Niedermayer kennenlernt, hat mich aufmerken lassen. Hier darf sie mit ihrer Eloquenz und ihrem Sachverstand punkten und in einer Schachpartie mittels einem Damenopfer ihren grossmäuligen Kontrahenten düpieren. Dafür hab ich ihr innerlich stehend applaudiert!

Es ist wohl auch das längste der Kapitel in denen sie auftritt, sie wechseln sich ab mit den Erinnerungen ihrer Weggefährten und Bewunderer, die ihr kurzes Leben gestreift oder auch dauerhaft und  unterstützend begleitet haben. Als da u.a. wären Gorki, Trotzki, Dostojewski, die Dichterin Anna Achmatova und auch Ho Chi Minh und Boris Pasternak.

Nichts sei so verhängnisvoll wie ein unverdienter Sieg höre ich, lausche Umsturzstrategien, erlebe eine Dreiecksbeziehung die Kopetzky ihr andichtet, betrachte eine Weltrevolutionärin, die eben diese Welt offenbar vergessen hat und sehe in diesem Roman doch überwiegend ihr Äußeres, ihre attraktive Erscheinung, ihre angenehme Art. Man wertschätzt ihr rhetorisches Geschick und ihren wachen Verstand, ihre spitze Feder, thematisiert aber vielfach ihre Schönheit? Was mich gestört hat, weil es sie reduziert bzw. es fühlt sich so an, das wir sie dafür bewundern sollen, was sie vermochte obwohl sie schön und eine Frau war? Auch wenn es vielleicht in den Kontext und die Haltung dieser Zwischenkriegszeit passen mag. Hätte man einen Mann der ähnliches erreichte ebenso gezeichnet?

Ich denke doch nicht. Es sei denn es handelt sich vielleicht um den Tausendsassa James Bond. Ich vergebe einen Abzug in der B-Note. Summa Summarum hilft es mir dann auch nicht mehr, diesen Roman rundum gelungen zu finden, als man Larissa mit einem Gedicht Boris Pasternaks, der später mit seinem Roman Doktor Schiwago Weltruhm erlangen sollte, zu Grabe trägt. Ich verlasse diesen 1948 unter den Linden in Berlin, Jahrzehnte nach ihrer Beerdigung und nach einem melancholisch anmutenden Ende. Das ich dann doch auch wieder gut fand …

Klickt hier für meine Beiträge zu den Vorgänger-Romanen:

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