Die Zuversicht, sie war mir ausgegangen, im Corona Frühling 2020. Ende März war ich an einem Punkt angekommen, an dem für mich plötzlich nichts mehr ging. Damals habe ich die Pest von Albert Camus gelesen um zu verstehen, warum wir in einer solchen Situation handeln wie wir handeln. Heute, ein Jahr später, vermisse ich so viel, hoffe noch immer und warte. Um mir zu vergegenwärtigen, das es in der Vergangenheit immer gelungen ist, gefährliche Infektionskrankheiten zu überwinden, das Epedimien und Pandemien stets ein Ende gefunden haben, das es dafür Ausdauer, Kraft, Mut und Disziplin gebraucht hat, habe ich mir diesmal diese Geschichte ausgesucht:
Es geht um Variola, die schwarzen Pocken. Einen Erreger, den die WHO 1980 nach einer weltweiten Impfkampagne für ausgerottet erklärt hat. Bis dahin waren durch mehr als 200.000 Helfer rund 2,4 Milliarden Impfdosen weltweit verabreicht worden. Etwa 300 Millionen Dollar mussten dafür aufgebracht werden, kann man bei Wikipedia nachlesen. Die letzte Pockenepidemie erlebte Deutschland 1970 im Sauerland, zuvor hatte es 1962 in der Eifel einen Ausbruch gegeben, das war noch bevor die Weltgesundheitsorganisation 1967 die Impfung gegen Pocken weltweit zur Pflicht machte, Nebenwirkungen und Impfschäden zum Trotz …
Damals, Anfang der 1960er Jahre, als John F. Kennedy Amerika regierte, als man Wettrennen zum Mond unternahm, wettrüstete, in der Annahme, Abschreckung sei die beste Waffe, suchte Deutschland händeringend nach Gastarbeitern.1962, bei der OAS in Frankreich, kam Plastiksprengstoff in Mode.
Contergan, ein Schlafmittel, welches nachdem es Schwangeren in Deutschland verabreicht worden war und hier bereits schwere Missbildungen bei Neugeborenen verursacht hatte, zeigte jetzt auch in England seine hässliche Fratze.
Damals strahlte der WDR die erfolgreichste deutsche Fernsehserie aus, in “Das Halstuch” suchte man einen Mörder und fegte damit die Straßen leer. Anderen Ortes aber hatte man andere Probleme, im schneereichsten Januar seit langem, als meterhohe weiße Wände die Straßen in der Eifel säumten. Als die letzte Folge des Halstuchs über die Bildschirme lief, erwachte dort eine Krankheit zum Leben von der man geglaubt hat, man habe sie längst besiegt:
Monschau von Steffen Kopetzky
Endlich waren sie da. In Aachen. Dem Parkplatz vor dem Klinikum und man ließ ihn nicht aussteigen. Ein Landwirt und Krankenwagenfahrer hatte das Kind bis hierher gebracht, während ihr Fieber immer weiter gestiegen war. Jetzt lag sie im Delirium und die Schaar von Ärzten die sich in dicken Wintermänteln an diesem Januarabend um den Rettungswagen drängte, mit ihren Taschenlampen ins Innere leuchtend, waren sich einig. Dieses Kind nicht aufzunehmen. Es musste dorthin zurück wo es hergekommen war. Zurück zum Herd der Ansteckung. Zurück nach Monschau.
Ein Mann, der auf Montage in Indien gewesen war, hatte offenbar seine kleine Tochter angesteckt. Da war sich der Krisenstab sicher, der eilig gegründet worden war. Ein hochkarätiger Dermatologe aus Düsseldorf hatte die Leitung übernommen, ein junger Arzt aus Griechenland, einen Meister der Mikroskopie, Nikolaos Spyridakis, hatte der Hautarzt einem Kollegen für diesen Einsatz abgeschwatzt.
Der Vater des schwer erkrankten Kindes, dem man in Aachen die Behandlung verweigert hatte, war ein Monteur der in Monschau ansässigen Rither-Werke, die sich weltweit Absatzmärkte erobert hatten, und der nach seiner Rückkehr aus Indien wegen Husten und Ausschlag behandelt worden war. Auf die Windpocken hatte der Hausarzt getippt.
Wenn das Fieber fiel, kam der Ausschlag, rötliche, kleine Knötchen, die sich dann schnell über den ganzen Körper legten. Hochansteckend hatten die Pocken die Pest überholt und ihr den Rang als gefährlichste Infektionskrankheit der Menschheit abgelaufen. Jetzt sollten sie in der Eifel angekommen sein?
Es kann nicht sein was nicht sein darf, und es gab Grenzen der Zumutbarkeit, ein Werk mit 1.500 Beschäftigten bei bester Konjunkturlage konnte man nicht schließen. Der Patient eins war ja wieder gesund, auch weil er geimpft gewesen war nicht wirklich schwer erkrankt. Also sollte man bitte jetzt nicht übertreiben …
Vera, eine angehende Journalistin und Alleinerbin der Rither-Werke in Lammerath, einem Ortsteil von Monschau, war da anderer Meinung. Sie und ihre Neugier treffen auf Nikolaos Spyridakis. Sie erkennt in ihm zunächst eine wertvolle Quelle, bewundert wie unerschrocken er versucht dieser Situation beizukommen, die sich unaufhörlich zuspitzt. Denn der rheinische Karneval hat gerade Saison, und in Monschau wurden zwar nach dem Ausbruch alle Veranstaltungen verboten. Aber in Düren, dem Nachbarkreis eben nicht, und was macht halb Monschau? Es ist unterwegs, als könne man Antanzen gegen eine drohende Katastrophe …
Steffen Kopetzky, geboren am 26. Januar 1971 in Pfaffenhofen an der Ilm, der ehemalige Leiter der Biennale Bonn, studierte Philosophie und Romanistik. Nach Jahren in Berlin lebt er seiner Frau, einer Pressereferentin, als freier Schriftsteller wieder in seiner Geburtsstadt. Ich mag seine Art zu erzählen, den eloquenten Ton seiner Texte, die er mit realen Ereignissen unterfüttert, die Schauplätze die er wählt, seine Dramaturgie.
In Monschau werfen die Ereignisse lange Schatten, wie schon in seinem Roman “Propaganda”, als Steffen Kopetzky mich in die Schlacht im Hürtgenwald geführt hatte. Ich bin zurück in der Eifel. Bin im improvisierten Seuchenschutzanzug unterwegs. Die Angst vor Ansteckung ist mein ständiger Begleiter und ich staune über die Beherztheit seiner Helden. Die lernen, Schuld lässt sich nicht verteilen. Für seine Entscheidungen und sein Handeln trägt man sie allein. Immer. Die Quarantäne erleben, ein Wort, das wie ein Schreckgespenst wirkt kaum ist es ausgesprochen.
Was hat mir besonders gut gefallen? Die Ausflüge in die jüngere deutsche Geschichte, die Kopetzky mit mir unternimmt, das indem er schlagzeilen- und blitzlichtartig von Ereignissen berichtet, die sich in die Geschichtschroniken eingeschrieben haben. Sturmfluten, Hochwasser und das beherzte Eingreifen eines Hamburger Innensenators z.B., sein Name, Helmut Schmidt. Wie beiläufig mischen sich so Romanhandlung und Fakten zu einem stabilen Unterhaltungskonstrukt. Zu einem, das wie ein Geschichts-Bilderbuch für die Ohren ist, das mich aber trotz dieses Kniffs nicht komplett abholen konnte. Kopetzky verliert mich, als er eine Liebesgeschichte einbindet, die für mich in diesem Kontext seltsam deplatziert wirkt. Plötzlich flacht er ab, auch wenn ich mir verdeutliche, das sich hier eine Firmenerbin und ein Gastarbeiter finden, was Anfang der 60ziger eine wohl verbotene Liebe gewesen sein muss. Schade, finde ich, das so die Kernbotschaft verwässert wird, gerade jetzt hätten wir sie gebraucht. Denn die Moral auch von dieser Geschicht’, konsequente Impfstrategien, sind ein Schlüssel zum Erfolg, gilt es im Auge zu behalten.
Ein wenig mehr hätte Kopetzky für mich noch unser heutiges Verhalten spiegeln dürfen, dafür ist dieser Stoff perfekt geeignet und das hatte ich mir erwartet. Wir halten uns für hoch zivilisiert. Streben immer einem “mehr” entgegen. Solange bis uns ein unsichtbarer Feind zu Fall bringt. Mal ist es die Pest gewesen, dann die Spanische Grippe, die Pocken oder jetzt Sars-Cov2. Die kleinen, die winzigsten unter unseren Feinden sind es, die die man nicht riechen, schmecken, sehen kann, die uns stets die schlimmsten Wunden und Verluste beigebracht haben. Das ist es, was sich in all den Jahren offenbar ebenso wenig geändert hat wie unser Verhalten in solchen Krisen, dann wenn Menschen alles hören, aber nichts mehr verstehen …
Alles gegeben um mich bei der Stange zu halten hat in der ungekürzten Hörbuch-Fassung, rund 10 Stunden lang:
Johann von Bülow, geboren 26. September 1972 in München, deutscher Theater- und Filmschauspieler. Der Enkel von Loriot und ich, sind im Hörbuch bereits alte Bekannte. Ich freue mich immer wenn ich seinen Namen als Sprecher Eintrag sehe, und auch diesmal hat er mich nicht enttäuscht. Im Gegenteil, mit ihm war ich sicher unterwegs, er ist eine Bank für die Texte, die Spannung und Ernsthaftigkeit verbinden. Weil ihm liegt beides.
Zwischen den unterschiedlichsten Dialekten wechselt er so souverän, als wäre er in allen diesen Sprachfarben zu Hause. Dem Personal dieser Geschichte gibt er damit mehr als nur Kontur, man hat so ganz und gar unverwechselbare Charaktere auf den Ohren. Den Ton, den Sound dieser Zeit fängt von Bülow ausgesprochen gut ein. Wer einen Ausflug nach Monschau wagen will, ist bei ihm in den besten Händen.
Mein Dank geht an den Argon Verlag für das Rezensionsexemplar.
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