Kalmann und der schlafende Berg (Joachim B. Schmidt)

Island, seine Lage mitten im Nordatlantik, schätzten bereits die kampflustigen Wikinger. Auf halbem Weg zwischen Westeuropa und Nordamerika gelegen, hatten auch die Supermächte während des Kalten Krieges die arktische Insel fest im Blick. Der Flughafen Keflavik, südwestlich von Reykjavik, war US Militärstützpunkt, bis 2003 Präsident Bush den Abzug der Truppen verkündete. Was bleibt, wenn Besatzer gehen? Dieser Frage stellt Joachim B. Schmidt seinen Romanhelden gegenüber und wer den kennt weiß, da darf man einiges erwarten!

Es gibt nur noch wenige Geschichten, bei denen ich am Ball bleibe, wenn sie in Serie gehen. Zu oft schon hat mich eine Fortsetzung enttäuscht. Zu häufig wird das Gleiche einfach nur noch einmal aufgegossen. Wie wunderbar, wenn es auch anders geht! Wenn es sich so anfühlt, als träfe man auf alte Freunde, die man länger schon nicht mehr gesehen und unglaublich vermisst hat. Bei Kalmann geht mir das so. Was für unerhörtes Glück! Einen meiner Lieblingshelden zurück zu wissen in einem neuen Abenteuer. Wie, Ihr kennt Kalmann noch nicht? Den Sheriff von Raufarhöfn? Kommt, ich mache Euch bekannt. Er lebt auf der Halbinsel Melrakkaslétta im Nordosten von Island, ist vierunddreißig, Gammelhaierzeuger, Polarfuchsjäger, Eisbärenwarner, manchmal wütend und ich kenne keinen dessen Herz größer ist …

Kalmann und der schlafende Berg von Joachim B. Schmidt

Wie jetzt, das FBI hat Kalman verhaftet und er sitzt in Washington, in einem fensterlosen Verhörraum, groß wie eine Schuhschachtel und ist angemessen verzagt?! Zweimal schon hat er jetzt gefragt ob er verhaftet ist und die Beamtin hat ihm mit einer Gegenfrage geantwortet. Er muss an zu Hause denken, an seine Mutter, die ihn fraglos hier und jetzt rausgehauen hätte, aber sie ist nicht hier. Er war alleine der Einladung seines Vaters in die USA gefolgt. Hätte er es lassen sollen?

Hätte, hätte, Fahrradkette. Es kommt immer wie es muss. Im konkreten Fall hatten sie doch nur den Präsidenten besuchen wollen. Waren in eine Menschenmenge mit Schildern geraten und plötzlich war Kalmann allein dagestanden und dann war da dieser Wikinger auf ihn zugekommen. Das erzählte er jetzt dieser Agentin, die ihm seeehhr aufmerksam zuhörte …

Joachim B. Schmidt, geboren 1981, aufgewachsen in der Schweiz, ausgewandert 2007 nach Island, lebt mit seiner Familie in der Nähe von Reykjavík, hat es wieder getan! Kalmann is back und wie! Mit ihm und seinem ersten Band erschrieb er sich bereits den 3. Platz beim Schweizer Krimipreis und den Crime Cologne Award. Bitte folgt ihm bei Instagram so wie ich, wenn ihr mehr von ihm oder auch den ein oder anderen Kalmann Schauplatz sehen wollt, es lohnt sich!

Was mich bei Schmidt besonders begeistert ist die Empathie mit der er seine Figuren zeichnet. Sein Herz für die Zwischentöne im Miteinander und die ungeheure Sympathie, die in seinem Schreiben steckt. Das sind keine normalen Krimis, können es auch gar nicht werden. Bei diesen Helden! Erst kürzlich habe ich mit etwas Verspätung seine Version des Tell beendet und auch damit hat er mich komplett abgeholt. Meine Besprechung dazu folgt alsbald.

Kalmann aber spielt in einer ganz eigenen Liga, wie liebevoll Schmidt ihn betrachtet, seine Inselbegabungen hervorhebt, was wirkt wie ein stilles Plädoyer für Inklusion, wie er uns dabei vor der grandiosen Kulisse Islands mit einem Augenzwinkern und Spannung unterhält ist für mich großes Erzählkino. 

Sehr interessant fand ich diesmal wie es Schmidt gelingt, weltbewegende Ereignisse, wie den Sturm auf das Washingtoner Capitol, die Spuren, die amerikanische Truppen und Verantwortliche in Islands Natur hinterlassen haben, mit den Augen von Kalmann, frisch, unvoreingenommen und unverstellt zu betrachten. Damit schlägt Joachim B. Schmidt diesmal durchaus zwischenzeilig kritische Töne an.

No need to worry,  nicht nur die FBI Agentin Dakota Leen staunt nicht schlecht über Kalmanns Antworten. Kalmann, darf wieder als Ich-Erzähler agieren, vielleicht ist das ja der Kniff, der Trick, der alles so leicht und locker wirken lässt? So authentisch. So warmherzig auch. Schmidt trifft den Ton seiner Figur perfekt und es gelingt ihm stets, dass wir mit ihm lachen, nie über ihn. 

Island verliert einen Gletscher und Kalmann seinen geliebten Großvater. Was ihn traurig macht. Manchmal. Wenn er an ihn denkt oder daran was er ihm alles beigebracht hat. Die Sache mit dem Gammelhai zum Beispiel.

Wir beerdigen seinen Opa mit ihm, erleben wie er davon einen Wackelkontakt im Kopf kriegt, so wütend wird, das er ins Irrenhaus muss. Er darf das so sagen, das darf jeder der einmal drin gewesen ist.

Danach braucht es Abstand. Für alle Beteiligten und wir erleben mit Kalmann seinen ersten Flug und einen Himmel voller Schlaglöcher. Kaum gelandet, ist da ein Beamter mit strengem Blick, der lässt ihn rein. In die USA. Hätte der gewusst was wir bald wissen, wäre das sicher anders ausgegangen …

Ach, Mensch, ich mag diesen Kerl einfach! Davon bin ich nicht abzubringen. Diesmal kommt er ganz schön weit rum. Wieder zu Hause muss er erstmal in einem Hotel in Quarantäne. Wegen der Pandemie und dann ist da auch noch die Tatsache, dass sein Opa wahrscheinlich ein Spion gewesen ist. Ein waschechter. 

Ziemlich beste Freunde und der mit dem operierten Herzen glaubt fest an einen Mord. Am Großvater. Gar nicht davon abzubringen ist der. Wegen der Knallköpfe, dem Schnupftabak und dem KGB. Was folgt sind ein Toter im Sessel, miserable Autofahrer, ein Dorfdichter, ein “misty mountain” und Familienbesuch. Am Ende der Welt. Mit dem Boot. Auf dem Meer im Winter will man am liebsten kein Wetter. Das Meer wird dann nämlich oft von schwarz zu grün und wild. Aber kein Grund zur Sorge. Kalmann ist ein Profi. Er hat vom Großvater gelernt. Kein Spaß!

Showdown. Jetzt gibt es aber Grund zur Sorge. Es bleibt spannend. Unvorhersehbar. Eins aber bleibt gewiss, wer hier der Sheriff ist.

Kalmann. Ich hoffe auf ein Wiedersehen. Da muss doch noch irgendwo in der isländischen Weite ein Abenteuer auf Dich warten. Schließlich wohnt hier doch das verborgene Volk. Nicht?

Als Laie staune ich und ein Fachmann mag sich wundern, der hier kombinierte Erfindungsreichtum hat es wirklich in sich. Mehr verraten geht jetzt aber nicht. Ehrlich, nur so viel noch, es gibt auch wieder eine sehr coole Hörbuch-Fassung, es liest Timo Weisschnur und wie schon beim ersten Kalmann-Abenteuer macht es fast mehr Spaß ihm zuzuhören als selbst zu lesen, ich für meinen Teil habe abgewechselt. Weisschnur hat den Kalman so dermaßen gut drauf! Seine liebenswerte Verpeiltheit, seine Arglosigkeit leuchten aus seinem Vortrag heraus wie das Nordlicht aus einem Abendhimmel. Was für eine Freude. Für alle Nordland-Fans, für alle Freunde der eher schrägen Typen und für mich.

Am 23.08.23 ist Kalmann und der schlafende Berg beim Schweizer Diognes Verlag erschienen (ich bedanke mich für das mir zur Verfügung gestellte Besprechungsexemplar). Klickt auf das nachfolgend eingefügte Cover, wenn ihr Kalmann noch nicht kennt, für meinen Beitrag zu Teil eins. Ich beneide Euch dafür fast ein bisschen. Denn ihr habt gleich zwei Geschichten des Sheriffs noch vor Euch und ich wünsche maximales Vergnügen dabei:

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert