Neid, Eifersucht oder ein Nachbarschaftsstreit. Vielfach waren das die Gründe aus denen Gerüchte in die Welt kamen, die am Ende dafür sorgten, dass Frauen und Männer als Hexen und Hexer verfolgt und “peinlich befragt” wurden um deren Eingeständnis eines vermeintlichen Fehlverhaltens zu erlangen. Viele der so Verurteilten fanden den Tod öffentlichkeitswirksam auf einem Scheiterhaufen und der Stadtsäckel übernahm gar die Kosten für Holz, Pech und Sonstiges, die ein “Büttel”, wie man die Vollstrecker auch nannte, zuvor auszulegen hatte.
Hamburg war keine Hochburg der Hexenverfolgung, aber auch in seinem Stadtrecht fanden Historiker nachfolgendes verankert und man ist sich heute sicher, dass die Dunkelziffer hoch ist, wenn es um die Zahl derer geht, die man der Hexerei bezichtigt hat:
“Wenn ein christlicher Mann oder Frau der/die ungläubig ist und mit Zauberei und Vergiftung umgeht und auf der frischen Tat ertappt wird, den/die soll man auf dem Scheiterhaufen verbrennen.”
Hamburger Stadtrecht von 1497
Die Autorin Jarka Kubsova hat in ihrem aktuellen Roman Marschlande diese Thematik genauer in den Blick genommen. Im Argon Verlag ist die digitale Hörbuchfassung Ihres Textes erschienen, den Nina Petri und Julia Nachtmann lesen.
Was soll bei diesen beiden Sprecherinnen passieren? Außer, dass es gut wird. Sehr gut. Rund elfeinhalb Stunden lang durfte ich an ihren Lippen hängen. Vielen lieben Dank an dieser Stelle für das mir überlassene Besprechungsexemplar. Zwei Hauptfiguren, zwei Vorlesende, das passt nicht nur ausserordentlich gut, sondern hebt den Text für mich noch einmal auf eine sehr emotionale Art. Empatisch gestalten beide Vorleserinnen die Protagonistinnen stimmlich aus, lassen die zwei von Kubsova sehr charismatisch gezeichneten Frauen aufleuchten wie Sterne am Nachthimmel. Sind nachdenklich wo es leise wird, lebendig und aufgebracht, wenn der Wind sich dreht.
Nina Petri beginnt. Mit einem Paukenschlag. Ein Scheiterhaufen wird errichtet, eine Hinrichtung steht bevor. Die Frau die brennen soll heißt Abelke Bleken. Doch noch bevor es zum Äußersten kommt, übernimmt Julia Nachtmann und die Geschichte macht einen Satz, einen Zeitsprung in die Zukunft. Das wird sie in ihrem Verlauf noch häufiger tun, mit Cliffhangern an Kapitelenden auf mich warten und mich von der Gegenwart in die Vergangenheit der gleichen Gegend werfen und wieder zurückholen …
Marschlande von Jarka Kubsova
Wie konnte sie das gewusst haben? Vor Stunden noch hatte Abelke versucht alle zu warnen. Der Sturm der vorbeigezogen war würde zurückkehren. Stärker. Keiner wollte auf sie hören, in dieser Nacht vor Allerheiligen und dann kam er zurück. Der Sturm. Brachte eine Springflut mit, der Deich brach, ließ das Meer ein, das vor ihren Türen zu toben begann, eindrang und mitriß was sich nicht rechtzeitig auf die Dächer hatte retten können. Mensch und Vieh. Kind und Hab und Gut …
Die Hexe soll brennen, ein Scheiterhaufen entstehen! Aber die Erde schien sich zu wehren. Lehmig und nass war es und der Pflock, den sie einschlagen wollten um sie zu binden wollte partout nicht halten. Zwei Tage lang zimmerten sie, draußen vor der Stadt, in den Marschlanden. Es musste gelingen, das Dorf sollte sehen, SIE sehen, nachdem sie mit ihr fertig waren. Erstaunlich lange hatte sie wiederstanden, geschwiegen, bis sie ganz zuletzt dann doch noch zu hören bekamen was ihnen reichte um zu tun was sie jetzt taten ….
Ein Waldsee, unbeschwerte Sommertage, ein Eisvogel auf der Jagd. Zwei Freundinnen. Kein Blatt passt zwischen sie und doch werden sie getrennt. Die Männer haben die Macht. Das müssen sie erkennen. Auch Abelke. Das Deichrecht zwingt sie in die Knie. Die Deichpflicht wirft sie nieder nach einer Jahrhundertflut und keiner hilft ihr auf. Im Gegenteil.
Ein unheilvoller Grundton zieht sich durch diese Geschichte. Ich recherchiere: Erfahre, Abelke Bleken hat wirklich gelebt. Sie war eine von vielen Frauen, die in Hamburg noch in der Zeit nach der Reformation des Schadenszaubers bezichtigt, verfolgt, gefoltert und vernichtet worden sind.
Abelke Bleken, reiche Bauerntochter, einziges Kind, kein schöneres Mädchen gab es 1530, sagten sie, alle begehrten sie zur Frau, schielten nach ihrer Mitgrift, doch sie blieb allein. Nach dem Tod der Eltern. 1583 hat man sie, die Unverheiratete, die Herrin des geerbten elterlichen Hofes, gebrochen und zerschlagen auf den Richtplatz geführt.
Jarka Kubsova erzählt uns Abelkes Geschichte neu und nicht so nach wie sie als Sage von ihr überliefert ist. Denn es spricht Historikern zufolge heute vieles dafür, dass das was man sich von ihr erzählte nicht stimmt, nämlich das sie eine soziale Versagerin und verbitterte, sonderbare Einsiedlerin gewesen sei, die anderen Unheil herbeigewünscht habe.
Aber lest oder hört selbst und staunt über Wassergräben wie Blutgefäße, sie sollen die Wildheit zähmen. Die Wildheit einer Landschaft, die nicht gewillt ist sich Zügel anlegen zu lassen. Der Frost kommt und Raureif überglitzert die Gräser. Im Juli. Die Ernte. Dahin.
Ausgezogen. Ex-Frau geworden, Mutter geblieben. Zuversicht erfahren, die in einem Neuanfang steckt. Ankommen. Jeden Tag vielleicht ein bisschen mehr.
Dazwischen eingestreut Bilder von Gemeinheit, Berechnung und Folter. Wie durch ein Schlüsselloch fällt unser Blick auf eine Zeit in der es ein leichtes war Frauen als Hexen in Verruf zu bringen. Man fragt sich laut, wem nutzte das?
Jarka Kubsova, geboren 1977 in Tschechien, lebt und arbeitet seit 1987 in Deutschland. Als Journalistin war sie u.a. bei der Financial Times, dem Stern und der Zeit tätig. Ihren Vorgänger Roman Bergland wollte ich schon längst gelesen oder gehört haben. Jetzt wird es Zeit für mich. Höchste Zeit! So begeistert hat sie mich mit ihrer schaurig schönen Geschichte aus der Marsch. Zwei Frauen, die eine selbstbestimmt, die andere hat den Beruf für ihre Familie aufgegeben und wird nun von ihr bestimmt, lässt sie über die Zeit hinweg aufeinandertreffen. Sie spiegelt die Gegenwart in der Vergangenheit und die Marsch darf bei ihr miterzählen. In ihren Narben liest Britta, die Geografin und Heldin der Gegenwartserzählebene wie in einem Buch. Erinnert sich wegen ihr und dem was in ihr vergangen ist, an das was sie eigentlich wollte in ihrem Leben, von ihrem Leben.
Vorahnungen, Rückblicke, Recherchen. Sturmnächte, Flutnächte, das Gedicht Trutz Blanke Hans von Detlef von Liliencron begegnet mir wieder. Wo hatte ich zuletzt in einem Roman von ihm gelesen? Ich glaube, es war bei Jan Christofersens Schneetage. An ihn und auch an Dörte Hansen erinnert mich das Erzählen von Kubsova. Auf das aller Beste. Es hat mir stilistisch und inhaltlich ganz außerordentlich gut gefallen. Wie sie mit der Landschaft schreibt! Alles entsteht aus ihr, sie ist bei ihr ein lebendiger Teil der Handlung.
In einem ausführlichen Nachwort klärt sie auf über diese fiktionale Geschichte mit wahrem Kern. Über die Rolle Martin Luthers während der Hexenverfolgung, über Feudalherren und Großgrundbesitzer im Hamburger Umland des 16. Jahrhunderts.
Ein Stück Geschichte, Frauen und Schicksale, die es verdient haben der Vergessenheit entrissen zu werden zeichnet Jarka Kubsova hier nach. Beindruckend und sorgfältig recherchiert. Für mich hat sich vieles geklärt, insbesondere wen oder was die Bezeichnung “Hexe” meint, wie ich das einordnen muss und keinesfall darf, aber auch wie viele noch und bis heute gültige Muster uns Frauen betreffen, die in dieser furchterregenden Zeit gründen.
Kubsova ist dabei zu keiner Zeit beifallheischend, viel mehr gelingt es ihr eine Nachdenklichkeit auszulösen, die in mir lange nach klingt und die mich drängt noch mehr zu erfahren. Über diese Zeit. Über die Rolle der Kirche in diesem tragischen Stück und über die Gerichtsbarkeit, deren Motive und Zusammenhänge. Wie blind ich doch gewesen bin!
Mutige und kluge Frauen gab und gibt es zu allen Zeiten. Frauen, die wissen wann sie mit Schweigen mehr erreichen als mit Worten. Frauen, die nichts totschweigen, so wie Jarka Kubsova. Ihnen die Qualifikation abzusprechen, ihnen Berufe zu verweigern, wird sie nicht zum Verstummen bringen. Engstirnigkeit und Ignoranz nicht zum Aufgeben. Wenn eines gewiss ist, dann das!
Schreibe den ersten Kommentar