Zu Mensch (Arezu Weitholz/ Katrin Funcke)

Momentan ist richtig
Momentan ist gut
Nichts ist wirklich wichtig
Nach der Ebbe kommt die Flut
Am Strand des Lebens
Ohne Grund, ohne Verstand
Ist nichts vergebens
Ich bau′ die Träume auf den Sand

Und es ist, es ist ok
Alles auf dem Weg
Und es ist Sonnenzeit
Unbeschwert und frei

Und der Mensch heißt Mensch
Weil er vergisst
Weil er verdrängt
Und weil er schwärmt und stillt
Weil er wärmt, wenn er erzählt

Und weil er lacht
Weil er lebt
Du fehlst!

Auszug aus Songtext Mensch
Writer(s): Andy Partridge, Alex Silva, Herbert Gronemeyer Lyrics powered by www.musixmatch.com

Der Soundtrack, der die ersten Schritte meiner Unabhängigkeit, vom Schulabschluss in die Ausbildung, dann zum Führerschein und zur Stimmabgabe bei meiner ersten Bundestagswahl begleitete stammt von Ihnen: Der Kölner Band BAP, mit der Stimme von Wolfgang Niedecken und von Herbert Grönemeyer.

Mensch, ist das Verdamp lang her. Musik nur wenn sie laut ist, meine ersten Jive-Schritte in der Tanzschule zu BAPs Waschsalon, dann immer wieder Grönemeyer. Zu Herberts Mambo parkte ich rückwärts ein, grölte mit Inbrunst Bochum, obwohl ich das Ruhrgebiet nur aus dem Fernsehen kannte. Ich verlangte lauthals nach Currywurst und rief die Kinder an die Macht, hoffte auf die Sonnenzeit, in der alles unbeschwert und leicht ist, wo man Flugzeuge im Bauch hat, es war okay, es tat gleichmäich weh. Ich liebte die Selbstironie seiner Männer und als seine Faust unbedingt in sein Gesicht wollte, er Was soll das schrie, war ich sowas von bei ihm!

Kritische Töne mischten sich mit Humor, rockige Stücke und Balladen wechselten, ein unverkennbarer Synthesizer Klang im Hintergrund, sie trafen allesamt meinen Nerv, auch wenn ich nicht immer jedes Wort sofort verstand. Bei BAP lag es am kölschen Jargon, bei Herbert halt am berühmten Nuscheln.

Dann war plötzlich alles anders. Im November 1998 verstarb Herbert Grönemeyers Frau mit nur 45 Jahren an Brustkrebs, wenige Tage nach dem Tod von Grönemeyers Bruder Wilhelm, dem auch eine Knochenmarkstransplantion nicht mehr hatte helfen können, die Familie war eben erst nach London gezogen und Herbert verstummte. Glaubte keine Musik mehr schreiben zu können. Blieb mit seinen beiden 1987 und 1989 geborenen Kindern zurück. Die seismischen Wellen dieses Bebens, seine Trauer reichten bis zu mir. Du fehlst! Seine Musik fehlte mir.

2002 hörten wir uns dann wieder, Der Weg nannte er das Lied, das er auf seinem Album Mensch seiner Frau Anna widmete. 2000 hatte er in einem Londoner Studio an Mensch zu arbeiten begonnen, es landete sofort nach Erscheinen auf Platz 1 der Charts und hielt sich 96 Wochen in ihnen platziert. Der Song Mensch daraus war Wochen vor Veröffentlichung bereits im Radio zu hören und Du fehlst! wurde zur berühmtesten Textzeile. Offen blieb wer fehlt. In diesem Jahr, das Deutschland eine Jahrhundertflut brachte. Die Semperoper stand unter Wasser, Berge von Sandsäcken und Menschenketten bestimmten die Fernsehberichterstattung und immer wieder spielte man dazu dieses Lied: Mensch von Herbert Grönemeyer.

Bei meinem Wiederhören mit Grönemeyer stellte ich fest, sein Sound, seine Texte, hatten sich verändert und doch war er für mich, seinen Fan, in einem gleich geblieben: Diese für mich mit Worten nicht zu fassende Nähe, die er über seine Lieder stets zu mir aufgebaut hatte war noch da. Nein, sie war noch stärker zu spüren als zuvor. Jetzt gerade sitze ich hier und schreibe an dieser Besprechung, im Hintergrund läuft sein Album Mensch – Remastered. Immer wieder muss ich inne halten. Schaue aus dem Fenster, höre hin, ihm zu. Seine Texte kann man einfach nicht nebenbei hören. Sie treffen. Meine Augen füllen sich noch immer bei bestimmten Passagen mit Tränen, dann wenn er sich “unbewohnt” fühlt etwa, wenn er sich zu Rede stellt, es ihm ins Herz tropft. Wie kann mich das nicht treffen? Mitten in meines? Du fehlst! In Dur und in Moll …

Seit vierzig Jahren arbeitet Grönemeyer mit der gleichen Band. Dieses Maß an Vertrautheit trägt seine Musik. Seine Musiker sind im kreative Partner, Kritiker und Weggefährten. Auf seinem Weg zu seinem kommerziell erfolgreichsten Album Mensch, dessen 20. Geburtstag Grönemeyer in diesem Jahr mit Jubiläumskonzerten und unter dem #20jahremensch feiert, wurde er von der Autorin und Journalistin Arezu Weitholz begleitet. Weitholz lebte ebenfalls von 2000 – 2004 in London und war als Textdramaturgin für die Liedtexte am Album beteiligt. Zusammen mit der Illustratorin Katrin Funcke hat sie in diesem Jahr mit Zu Mensch im Verlag Antje Kunstmann einen Bildband veröffentlicht, der auf ganz wunderbare Art den Entstehungsprozess dieses Meilenstein-Albums das Generationen verbindet dokumentiert. Ihr grübelt noch woher Ihr den Namen Arezu Weitholz kennt? Dann schaut mal in Euren Bücherschrank, vielleicht steht dort ja Ihre Erfolgsgeschichte Beinahe Alaska. Ich habe sie mir schon auf meinen Reader geladen, möchte sie jetzt besonders gerne noch lesen.

“Das Schöne bei einem Lied ist, dass man es nicht sehen kann. Es umgibt einen, aber man hört es nur. Hat es ein Gesicht? Einen Eingang, so wie ein Haus eine Tür? Woher stammt es? Wie ist es in die Welt gekommen?

Zitat Arezu Weitholz

fragt sie und wenn Ihr Euch immer schon gefragt habt, was denn bitte ein überlebensgroßer Eisbär mit diesem Album zu hat, warum Grönemeyer gerne kocht, das Rezept zu seinen Spaghetti à la Herbert gibt es auch im Buch, was ihn inspiriert hat und wie es zu dem kam was wir heute nur allzu gerne laut mitsingen, dann schaut Euch dieses warmherzig, liebevoll und auch augenzwinkernd gestaltete Buch an. Ein wenig hat es die Anmutung einer Graphic Novell. Eine kleine Fotocollage lege ich Euch in diesem Beitrag ab, damit Ihr eine Idee davon bekommt, was Katrin Funcke in der Zusammenarbeit mit Weitholz da mit Pinsel und Stift gezaubert hat. Super oder?

Wusstet Ihr, dass das Goethe-Institut in den Achtzigern in den USA den Text von Männer für den Unterricht an High Schools empfohlen hat? Das Herbert hingegen sagt, für ihn sei die Musik gleichzeitig schon der Text, er verstecke seine Inhalte zwischen den Zeilen? Das in der ausverkauften Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart am 10. November 2002, nachdem Herbert am Keybord spielend Der Weg sang sich niemand mehr rührte. Die Stille ohrenbetäubend war? Was für ein Gänsehautmoment! Ich verstehe jetzt auch, wie es gelingen kann, in einem Song die Gefühlswelt des kompletten Albums noch einmal zu bündeln – Titel zu vergeben die bleiben, Titel wie: “Bleibt alles anders“.

Nicht nur für Grönemeyer Fans, aber für die ganz unbedingt, gehört dieses Schmuckstück, in Form und Größe eines Plattencovers ins Regal. Es ist ehrlich, authentisch und hat so ungeheuer viel Hintergrund aus einer für Grönemeyer so prägenden Zeit. Kaum jemand, der so wie ich keine eigenen Erinnerungen an diese Jahre hat.

Grönemeyer hat uns mit seinen Alben und seinen Liedern reich beschenkt. Bald ist Weihnachten und man kann mit diesem Stück auf Papier dokumentierter Musikzeitgeschichte dieses Geschenk weitergeben.

Ich bin eine Deiner FarbenDu bist das Prinzip HoffnungDas Leben fließt rot durch unsere Venen.” – Ich bin der festen Überzeugung es gibt keinen Zufall und manche Geschichten suchen wir nicht, sie finden uns. So wie mich diese hier gefunden und sehr berührt hat. Das Team des Verlages Antje Kunstmann weiß warum ich das, an dieser Stelle in Großbuchstaben und ganz laut DANKE sage!

Last Euch umarmen von dem Grönemeyer – Fan, dem ihr dieses Geschenk macht, oder umarmt Euch selbst und denkt daran:

Das Firmament hat geöffnet
Wolkenlos und ozeanblau
Telefon, Gas, Elektrik
Unbezahlt, und das geht auch
Teil' mit mir deinen Frieden
Wenn auch nur geborgt
Ich will nicht deine Liebe
Ich will nur dein Wort

Und es ist, es ist ok
Alles auf dem Weg
Und es ist Sonnenzeit
Ungetrübt und leicht

Und der Mensch heißt Mensch
Weil er irrt und weil er kämpft
Und weil er hofft und liebt
Weil er mitfühlt und vergibt

Und weil er lacht
Und weil er lebt
Du fehlst
Oh, weil er lacht
Weil er lebt
Du fehlst!

Auszug aus Songtext Mensch
Writer(s): Andy Partridge, Alex Silva, Herbert Gronemeyer Lyrics powered by www.musixmatch.com
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2 Kommentare

  1. Petra
    24. September 2022

    Sehr gerne Dorothee, und ich glaube genau das macht die Musik und die Texte von Herbert Grönemeyer aus. Er ist ein Meister darin Sätze anzudeuten und lässt uns damit Platz für unsere eigene Deutung. LG von Petra

  2. Anonymous
    23. September 2022

    Hallo Petra!
    Danke für diesen Beitrag! Zwar bin ich kein Grönemeyer-Fan, aber ein ganz bestimmtes Lied – “Mein Weg” – hat mir in einer schwierigen Seelenlage sehr geholfen!
    Und den Roman von Frau Weitholz fand ich sehr gut!
    Liebe Grüße aus Kiel von Dorothee

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