Das Wasser des Sees ist niemals süß (Giulia Caminito)

Die Wut verbrennt bisweilen alles und gleich was man auch in ihre Asche schreibt, selten wird man noch jemanden finden, der bereit ist das zu lesen. Auch die Heldin dieser Geschichte kennt sich da aus, denn sie brennt ebenfalls. Vor Wut. Bisweilen lichterloh. Als sie beginnt sich zu wehren. Sie ist dreizehn, als ein Tennisschläger, den sich ihre Familie vom Mund abgespart hat, zum Stein des Anstoßes wird, und sie das erstmals mit Gewalt tut.

Wundgeschlagen habe ich mich an ihren Ecken und Kanten, und gerne gemocht habe ich sie. Auch wenn sie um sich schlägt. Manchmal eben nicht nur verbal.

“Wir haben keine Handys, haben keinen Fernseher, einen Computer, wir haben keine Kommunikationsmittel, sind eingeschlossen in die Vergangenheit einer Welt, die im Galopp dahineilt, uns überholt, uns unter ihren harten Hufen zermalmt.”

Textzitat Giulia Caminito Das Wasser des Sees ist niemals süß

Das Wasser des Sees ist niemals süß von Giulia Caminito

Buchstäblich nichts gehört ihnen, Gaias Familie. Arm sind sie, der Vater nach Schwarzarbeit und einem Arbeitsunfall auf dem Bau querschnittsgelähmt und verbittert, die Mutter, Regentin und Bestimmerin in jedem Reich dessen sie sich annimmt. Es hat Gründe genug, um auf sie herab zu sehen, finden so manche und sie machen sich einen Spaß daraus, ihnen Spitznamen zu geben, die ein Leben lang an ihnen haften bleiben ..

Nichts zu verlieren. Die filzstiftgrünen Sweatshirts des älteren Bruders auftragend bewegt sich Gaia neuerdings unter ihren Mitschülerinnen als gehöre sie dazu. Obwohl es Gründe genug hat um auf sie herab zu sehen, finden so manche und sie machen sich einen Spaß daraus, ihr Spitznamen zu geben, die ein Leben lang haften bleiben. Ihre Mutter hatte gewollt, das sie in Rom zur Schule geht, nicht hier im Ort. Es solle schließlich einmal etwas aus ihr werden. Offenbar sahen das etliche der Eltern aus ihrem Dorf ebenso und machten ihre Kinder zur Schulpendlern. Auf dem Schulweg lernte sie auch ihre beiden neuen Freundinnen kennengelernt, die beide so anders waren als sie. Schön in ihren Augen und selbstbewußt auch. Geld hatten sie ebenfalls in der Tasche, sie hantierten mit Make Up und Haarschmuck als gäbe es kein Morgen, während sie mager und unbeachtet blieb.

“Der Sommer ist knapp geworden, in der Abenddämmerung ist der See ein Tiger, das Licht zerreißt ihn in gelbe und schwarze Streifen, wo die Sonne untergeht, während auf der anderen Seite die Nacht hervortritt.”

Textzitat Giulia Caminito Das Wasser des Sees ist niemals süß

Giulia Caminito, geboren 1988 in Rom, wo sie auch lebt und als Lektorin und Herausgeberin arbeitet, hat politische Philosophie studiert, »Das Wasser des Sees ist niemals süß« ist ihr dritter Roman, mit ihm stand sie 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off dafür und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Sie schreibt Sätze, so rasierklingenscharf, dass man sich daran schneiden kann. Dunkel wie die Nacht. Sätze, so kühl wie ein Luftzug auf nasser Haut. Alle treffen sie bei mir ins Schwarze und mitten in mein Herz.

Mit Sätzen, die kratzig sind und auch sehr direkt adressiert Giulia Caminito ihre Themen über ihre Protagonistin Gaia, zumeist tut sie das ich-erzählend und moi, die ich mir sonst eher schwer tue mit Coming-of-age-Geschichten habe mit ihr mit gefühlt, von Beginn an. So lebensecht, so unverwechselbar ist sie als Charakter gelungen, man meint sie zu kennen, ist mittendrin statt nur dabei in ihrem Leben und taucht komplett ab in dieser ihrer Welt, der so jeglicher Glamour fehlt.

Die Autorin ist selbst in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano nordwestlich von Rom, wo ihre Geschichte spielt, aufgewachsen und ihr Roman, dem sie zwar die Autofiktionalität und jegliches Autobiographische abspricht, ist ihr sicher so besonders atmosphärisch gelungen, weil sie diese Gegend und die sozialen Strukturen dort so gut kennt. Was immer sie sich an dichterischer Freiheit herausgenommen hat, wo immer sie sich bei Erinnerungen anderer bedient hat, wie sie ebenfalls in ihren, der Geschichte angefügten Anmerkungen zugibt, das Verweben all dessen, ist ihr unfassbar authentisch gelungen.

Caminito beschreibt Situationen, die auch in mir einen heiligen Zorn heraufbeschwören. So bin ich ganz schnell als Leserin keine Aussenstehende mehr. Beispringen würde ich ihrer Gaia gerne. Ihr sagen, du musst dich nicht schämen. Dafür arm zu sein. Du bist nicht wertlos, weil du die Klamotten deines Bruders aufträgst und dir deine Mutter die Haare verschneidet. Die feuerrot leuchten auf deinem Kopf. So wie ihre. Tochter der Roten. Sagen sie zu dir. Auch du verdienst Respekt und was da an der Schießbude auf dem Rummel passiert, als du erkennst, dass du etwas besonders gut kannst, nämlich schießen, macht mir eine Gänsehaut und eine Heidenangst.

Wie du, will ich mir die Ohren zuhalten, bei all den Streitereien in deiner Familie, wenn es wieder einmal darum geht was sie will: Deine Mutter. Und doch, seid ihr auch nichts ohne sie.

Aufgeschlagene Knie, wohl dem, der Fahrradfahren lernt solange er Kind ist. Ein Kaninchen namens Batman im Kampf gegen das Verbrechen im Gemüsegarten, Noten die man verdient und den Sommer vor sich.

Dein Bruder läuft aus dem Ruder. Deine Mutter eskaliert. Ständig und jetzt auch an Weihnachten. Eure gemeinsame Feier dauert genau eine halbe Stunde.
Gut oder böse. Du hältst Dich für Letzteres. Weil Du austeilst, mit Worten, mit der Faust auch, wenn Du es nicht mehr aushalten kannst. Den Spott, die Missachtung, die Zurückweisung. Du hast corragio, Mut zu allem, sagt Iris, so hast Du Dich nie gesehen?!

Demütigungen, Handgreiflichkeiten, eisernes Schweigen, Noten die richten, Bücher zum Zeitvertreib lesen: verboten. Erfolg der sich einstellt, Wut die bleibt, erste Liebe. Die keine ist, die Initiative geht von dir aus, Gaia. Du suchst nach Wertschätzung, hast den Mut in die Offensive zu gehen. In jede.

Du brichst mit einer Freundin wegen eines Verrats. Sie war schamlos, hat ihn Dir weggenommen. Er hieß Andrea. Jetzt ist sie tot. Erstickt. Sie sagen, sie habe sich umgebracht. Weiden ihren Tod aus. Es ist Dir egal, sagst Du. Warum nur fühlst Du Dich dann schuldig? Du sagst, Du weißt nicht wie man gefällig ist? Wusstest es nie.

Sylvester 2006. Volljährig. Abitur. Philosophiestudium. Eine neue Freundin. Eine neue Verräterin. Feuer. Es ist die einzige Sprache die sie verstehen. Glaubst Du. Du gehst zu weit. Wo willst Du jetzt hin? Mit Deinem Studium? Jetzt bist Du also schlau, aber nicht klug? Was ist Freundschaft? Für Dich?

Was brennen diese Sätze in mir! Auf meiner Haut. Verschachtelt sind sie häufig, inhaltsschwer und so treffend, ich gehe in die Knie wie nach einem Faustschlag in den Magen. Wie kann man so schreiben, ich will nur noch zitieren. Gaia, was tust Du mir an? Wie soll ich nach Dir die nächste Geschichte in die Hand nehmen, nicht mehr an Dich denken? Unmöglich!

Die Geschichte gewinnt an Dynamik, die Tragik ist von Anfang an nicht zu überbieten. Ein Drama in unzähligen Akten breitet diese Autorin von mir aus, eines das an der Oberfläche um die Umstände kreist, die zum Tod eines Mädchen führten und die soviel mehr ist, wie kann mir das nicht zuviel sein? Wie schafft sie das? Großes Kino ist das. Allein wie sie formuliert, damit erwischt sie mich frontal. Mitten ins Gesicht schleudert sie mir ihre Sätze. Sätze, die bleiben, als hätten sie Widerhaken …

… und dann diese Übersetzung! Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner, allein sie verdient für mich drei Ausrufungszeichen !!! Leider reicht mein Italienisch nicht aus, um die Originalfassung von Giulia Caminito zu lesen, ich bin auf die Kunst von Übersetzer:innen wie Frau Kleiner angewiesen und habe größten Respekt davor, wenn es gelingt einen solchen Ton zu treffen. Vor ihr möchte ich mich ebenfalls verneigen! Sie macht auch jene Passagen im Buch zu meinen liebsten, die wie ein Hochkonzentrat des gesamten Textes, wie ein Brennglas wirken, das Emotion und Inhalt auf eine Weise verdichtet, wie ich es noch nicht gelesen habe. Unnötig noch zu sagen dass dieser Roman auf meiner Jahresbestenliste einen festen Platz haben wird!

Cuore, Herz. Deinen Schlag spüre ich durch die Seiten. Doch, Gaia, Du hast Eines, glaub’ mir. Süßwasser. Das Wasser dieses Sees schmeckt niemals süß. Es schmeckt nach Benzin. Ein Zündholz würde genügen …

Ich bedanke mich beim Wagenbach Verlag für das Besprechungsexemplar und das Verlegen dieses grandiosen Textes!

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert