Wenn Eine eine Reise tut …

„Man muß nie verzweifeln, 
wenn einem etwas verloren geht, 
ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; 
es kommt alles noch herrlicher wieder. 
Was abfallen muß, fällt ab; 
was zu uns gehört, bleibt bei uns, 
denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, 
die größer als unsere Einsicht sind und 
mit denen wir nur scheinbar 
im Widerspruch stehen. 
Man muß in sich selber leben 
und an das ganze Leben denken, 
an alle seine Millionen Möglichkeiten, 
Weiten und Zukünfte, 
dem gegenüber es nichts Vergangenes 
und Verlorenes gibt.“

<<Rainer Maria Rilke>>

Denke ich an Rilkes Zeilen, wenn ich in den Bergen stehe und mich daran freue, dass mein Blick sich endlich wieder einmal an ihnen stoßen darf, dann leuchtet mir ein, warum ich die Aussicht von Gipfeln seit der Zeit mit Corona so genieße. Wann immer ich kann, folge ich ihrem Ruf, zumindest in den Ferien, weil ganz so nah dran an den richtigen Bergen, also an denen mit ohne Bäumen, bin ich im Alltag ja leider nicht. Stunden dauert es, die geduldig auf Autobahnen in Staus rund um zahlreiche Baustellen verbracht werden wollen, bis ich die Tiefe von Bergtälern und den Raum um mich herum wieder auskosten darf.

Diese Kombination aus Beständigkeit und Wandel findet sich für mich ganz ausgeprägt genau hier. Manchmal vergesse ich da sogar meine Höhenangst, wachse über mich hinuas, wage mich an Abgründe und erlebe die Gewissheit körperlich, dass man am Berg immer eine Aussicht hat. Wenn man sich bewegt immer auch eine wechselnde. So wie die stete Veränderung des Berges selbst, steht das für mich dafür, was an Veränderungen im Leben auf uns wartet.

Grün! Nein, auf den in den Text eingebetteten Fotos liegt kein Filter, die Wiesen hier sind so, Verzeihung, verdammt grün! Ich hatte in diesem Jahr schon vergessen wie das aussieht. Zuhause hatte der Sommer alles verbrannt, uns mit Hitze gebannt und alle Farben matt und stumpf werden lassen. Hier tränen mir die Augen, so satt leuchtet es allenthalben und die Stille hallt wohltuend in meinen Ohren wider. Nicht nur in den Nächten, in denen wir die Sterne zählten, mehr sahen, die Milchstraße suchten und fanden!

Mit bloßem Auge konnte man sie sehen und die Scheibenwischer, die ich am Morgen noch für meine Brille bei der Klammtour und zu Füßen der Krimmler Wasserfälle gebraucht hatte, haben einen guten Job gemacht.

Liebes Reiselogbuch, ganz klar sehe ich jetzt, mein Herz hüpft, wir stoßen an, einen funkelnden Tropfen im Glas, Deiner rot, meiner grün-golden und wir fragen uns gegenseitig, weißt Du noch?

Diese Passhöhe da am Großglockner mit ihrem Tunnel der uns schrumpfte und wie durch ein Fernrohr fahren ließ. Immer den nächsten Abgrund, die beste Aussicht im Blick. Bis mir schwindlig wurde. Die Bergränder mal schroff, mal rund geschliffenen und um jede Kehre gab es eine neue Perspektive. Das Olivin hierher gehört, wie Gneis, Quarz und Glimmer lernten wir am Wegesrand, trafen Ralleyfahrer mit schrottreifen Autos auf Carbage Tour und entdeckten einen Schimmer, der nur davon kommen kann, dass das Licht eingeschlafen ist in diesen Steinen und das es träumt, wie ich. Vom Weitblick.

Aber erst werd’ ich heut’ am Abend lange nicht einschlafen. Die Eindrücke des Tages arbeiten in mir, ihre Bilderflut schlägt hohe Wellen. Noch beim Frühstück mit Löwenzahnwasser schwappt es in mir, die Aussicht von der Hotelterasse auf die nahen und fernen Gipfel fängt mich dann wieder auf. Im schon Vertrauten. Freundliche Stimmen fragen, ob es noch ein Kaffee sein darf, oder ein Sekt! Ein paar Schwimmzüge erfrischen, ein Saunagang entspannt herrlich und Pistazieneis hat eben doch heilende Kräfte. Wusst’ ich’s doch! Die des Wassers gibt es hier aus einer tiefen Quelle nah beim Haus. Auch zum Trinken. Ganz praktisch aus dem Hahn. 

Das gibt Kraft für Schuss- und Gondelfahrten, die mir mit Schwung den Boden unter den Füßen nehmen, damit er mich dann wieder erden kann. Mein Berg.

Wir machen Rast zwischen seinen Geröllfeldern und staunen. Wie sehr er auch in Bewegung geraten kann. Der Berg, und wie sehr unser schier grenzenloser Hunger nach Energie ihm seine Gletscher schwinden lässt. Was wir ihm antun mit Eisen, Rohren und Liften. Welche Narben wir hinterlassen. Manche auch Müll. Es zeigt mir schmerzhaft wie zerbrechlich auch er ist. Mein Berg. Lasst uns auch acht geben auf ihn. Was sind wir am Ende ohne seine Kraft und Klarheit!

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