Samota (Volha Hapeyeva)

Schlägt man den Begriff <Samota> in einem deutsch-belarusischen Wörterbuch nach, dann liest man dort als deutsche Entsprechung <Einsamkeit>, oder “Zustand, bei dem sich ein Lebewesen ohne seine Gefährten aufhält”. Die Gründe warum man sich, wenn man alleine ist, auch einsam fühlt sind vielfältig. Bei Daniel Schreiber, in seinem Essay <Allein>, habe ich zuletzt gelesen, dass man diesen Zustand genießt, wenn man selbst in der Lage ist, ihn auch wieder aufzulösen. Das erklärt warum wir uns befreit fühlen, wenn wir alleine auf einer Bank am Meer sitzen können, oder bei einer Wanderung am Berg einmal allein sind. Nicht aber, wenn wir Feiertage alleine verbringen, während gefühlt alles um uns herum die Geselligkeit feiert. Wird diese Form des Zusammenseins idealisiert? Auch in Familienverbänden, besonders dann, wenn quasi der Zwang Zeit gemeinsam zu verbringen hinzukommt, das hat so seine ganz eigenen Dynamiken. Diese Autorin wagt einmal einen Rundumblick auf das Thema Einsamkeit vs. Empathie:

Volha Hapeyeva, geboren 1982 in Minsk. Die Lyrikerin, Autorin und Übersetzerin promovierte als Linguistin und wurde für Ihr Schreiben bereits mehrfach preisausgezeichnet. Vierzehn Bücher sind bislang von ihr auf Belarusisch veröffentlicht. Ihre Gedichte wurden in mehr als fünfzehn Sprachen übertragen, darunter <Mutantengarten> (2020) und <Trapezherz> (2023) auch ins Deutsche.

Romane von Lyriker:innen ziehen mich immer magisch an, und in diesem konkreten Fall strahlt ein Roman mit seiner einfühlsamen Art so sehr, dass ich jetzt unbedingt auch Gedichte dieser Autorin lesen möchte. Aber ich greife vor, wir wollen am Anfang beginnen:

Samota, die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber von Volha Hapeyeva …

… übersetzt haben aus dem Belarusischen für den Literaturverlag Droschl, Graz, (herzlichen Dank an dieser Stelle für das Besprechungsexemplar) ganz großartig Tina Wünschmann und Matthias Göritz.

“In der Bibliothek war es gemütlich und still. Manchmal suche ich solche Orte auf, um bei den Büchern zu sein, diesen schweigenden Gelehrten, die mich immer gern daran erinnern, was es auf der Welt doch alles gibt und was die Menschen nicht alles ersinnen und erforschen.”

Textzitat Volha Hapeyeva – Samota

Maja erforscht Vulkane. Leidet unter Hypersensibilität. Helga- Maria psychotherapiert Tiere. Aktuell einen Hund mit Angststörung. Schreibt Glückskeksprophezeihungen. Man muss ja über die Runden kommen. Irgendwie. Sie scheint auf der Flucht vor Schulden und der Steuergesetzgebung zu sein, hat einst als Dozentin gearbeitet. Derweil brennt Maja für ein Buch über Japan, das dessen Vulkane und Bräuche herzeigt. Ausgeliehen in einer Bibliothek stellt sie fest, diesem Exemplar fehlen acht Seiten. Warum ausgerechnet die und wer macht sowas? Sie forscht nach den fehlenden Seiten und ihre Entdeckung verblüfft.

Sebastian schreibt mit der Feder, streut Sand über Briefbögen nachdem er seine Gedanken und Wünsche in Buchstaben gefasst und wie Perlen auf Zeilenfäden aufgereiht hat. Er verpasst die Liebe weil er auf einen Jäger trifft, der Wölfe zu vergiften versucht. Ein finsterer Mann ist das, umgeben von finsteren Personen, der Ungutes zu planen scheint. Der ein Notizbuch hat, das in Menschenhaut gebunden ist, so Hapeyeva. Das Zusammentreffen dieses Mannes mit Sebastian, unter dem Dach der Pension von Herrn Zikade, kann kein Zufall sein. Sebastian, der menschliches Handeln erforschen will, nimmt ihn als Studienobjekt ins Visier, das obwohl ihn sein Vermieter eindringlich warnt. Der kennt sich aus, hat er doch eine Ausbildung als Henker genossen, das Amt aber abgelehnt, nach einem Augenblick der lichten Erkenntnis.

In dieser Erzählebene hat es Schatten, aber auch Tage, an denen der Winter mit Sonne um die Zuneigung der Menschen buhlt. Der Frühling nähert sich. Es knistert spannend. Man wähnt sich wie auf einem Spaziergang durch ein Kuriositätenkabinett. Tastet nach Verbindungen zum gegenwärtigen Erzählstrang. Wird die Autorin beide verbinden? Wenn ja, wie?

Volha Hapeyeva wählt zwei Erzählebenen, vermischt Realität und Traum. Die Zeit, in der ihr Personal agiert bestimmt sie nicht näher. Vielleicht spielt sie keine Rolle. Die Zeit. Vielleicht aber doch. Die, in der Maja von sich erzählt habe ich als gegenwärtig empfunden, die von Sebastian als vergangen. Helga-Marias ist näher am Heute als am Gestern, sie einzuordnen fällt schwer, das obwohl sie Maja handelnd begegnet. Beinahe wirkt sie, also könne sie in der Zeit springen. Sich wie eine Seifenblase auflösen.

Empathie heißt das Zauberwort auf allen Ebenen, mit dem man sich auch hier viele Türen aufschließen oder eben auch zusperren kann. Wer es versteht anderen aktiv zuzuhören, hat die beste Chance einfühlsam reagieren zu können. Wir wissen das. Die meisten von uns. Gespräche führen wir aber dennoch häufig mit dem Ziel, von uns zu erzählen und eben nicht hinzuhören. Die Social Media Welt befeuert das, wir stellen uns dar. Warten auf Feedback.

Das Verhalten Vieler Tieren gegenüber gehört ebenso auf den Prüfstand. Kürzlich habe ich eine Meldung gelesen, dass die meisten Tierheime aktuell so überfüllt sind, dass sie kein Haustier mehr aufnehmen können. Schon vor Corona hatte ich in unserer Nachbarschaft einen sprunghaften Anstieg an Katzen und Hunden je Haushalt beobachtet und mir gewünscht, man möge doch einmal einen Führerschein für die Haustierhaltung einführen. Hapeyeva betracht auf das. Das Verhalten von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Tier. Blickt auf menschliches Jagdverhalten, Domestizierung und grenzwertige Massnahmen zur Artenregulation. 

Wie wir uns als Gesellschaft verhalten, wenn es um gegenseitige Rücksichtnahme geht, durfte ich in meinem Job in einem großen Warenhaus während der Corona Pandemie tagtäglich erleben. Von der Maskenpflicht und ihren Gegnern will ich erst gar nicht wieder anfangen und auch nicht von einer möglichen radikalisierten Unterwanderung solcher “Interessengruppen” sprechen.

Was es braucht um einen Menschen in einer Extremsituation aufzufangen, darüber denke ich nach. Mittlerweile rückt auf meinem Geburtstagskalender die Sechzig in Sichtweite, was zwangsläufig bedeutet, man verliert auf dem Weg auch Menschen die einem wichtig sind und der Kreis derjenigen, die sich um einen scharen wird nicht für jeden größer.

Volha Hapeyeva nimmt mich bei der Hand, einfühlsam und zu keiner Zeit rührselig, schaut sie mit mir auf das, was uns einsam sein lässt. Sie schafft es, sich auf eine sehr poetische und fantasievolle Art dem zu nähern was wir landläufig als Empathie bezeichnen. Stattet ihre Figuren dafür einmal mit sehr sensiblen Fühlern aus und einmal eben auch nicht. So werden Gegensätze im Verhalten und in der Interaktion ihrer Figuren förmlich greifbar und die Nachdenklichkeit, die sie dadurch anstößt unterstreicht sie mit Sätzen, in die man sich hineinlegen möchte.

“Einsamkeit. Loneliness. Samota – Worte, die ich wie Ringe auf eine Stange werfe, und doch fliegen sie alle daran vorbei. Ein endloses Kirmesvergnügen. Wo ist es, das Wort, das endlich trifft und die ganze Quintessenz vermittelt?”

Textzitat Volha Hapeyeva – Samota

Hapeyevas Erzählton ist sanft und bedacht. Sie braucht die große Geste nicht um zu berühren. Das Lesen ihres Textes fühlt sich an, als stehe man an einem See auf dessen glatter Oberfläche sich die Umgebung spiegelt. Wenn keine Wolken ziehen narrt uns das Bild. Wo ist oben? Wo unten? Sie löst diesen Effekt aus, in dem sie wohldosiert Elemente des magischen Realismus in ihr Erzählen einbindet. Was ich sehr gerne mochte. 

Eine gute Ratgeber:in zu haben, oder nennen wir sie/ihn lieber eine gute und ehrliche Berater:in ist unfassbar wertvoll. Unser Verhalten gespiegelt zu sehen macht Veränderung möglich. Helga-Maria ist bei Volha Hapeyeva eine Figur die eine unfassbare Weisheit ausformulieren kann, ohne dabei auch nur den Hauch von (Pardon!) Klugscheißerei an den Tag zu legen. Sie möchte man als Freundin haben. Also ich. Würde sie gerne kennen. In der Geschichte wirkt sie flüchtig wie ein Traum. ein Traum, der vergeht sobald der Wecker klingelt, der aber den ganzen Tag über auf die gute Art in einem spukt ohne je greifbar zu sein. 

Taucht ein in eine Geschichte die zu überraschen weiß, die keine ist, die man so jeden Tag liest. Sprachlich wunderbar ausgewogen. Die mich auf ihrer letzten Seite zurück- und die mir dort ein Plädoyer für Achtsamkeit hinterlässt. Die mir wünscht ihn annehmen zu können, den jeweiligen Moment. Ohne zu vergleichen. Schön wär’s. Wenn das gelänge. Diese letzten Absätze, diese letzten Seiten, lese ich noch einmal. So wahr. So schön. Ich gebe mir im Stillen ein Versprechen.

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