Wenn man den Trubel auf so mancher Ferieninsel betrachtet kann verstehen, dass sich die, die hier leben, ihre Besucher schon mal dahin wünschen, wo der sprichwörtliche Pfeffer wächst. Allerdings ist auch diese, viel zitierte Pfefferinsel, Madagaskar, inzwischen ein häufig gebuchtes Reiseziel. Santorin erstickt in Touristen, in Rom steht regelmäßig der Verkehr still, für die Sagrada Familia in Barcelona muss man ein Ticket mit Zeitfenster buchen, sonst hat man keine Chance auf eine Besichtung.
Ich erinnere aber auch andere Bilder, von einer wie ausgestorbenen Altstadt in Dubrovnik während der Corona Pandemie, von einem verwaisten Markusplatz in Venedig, von leeren Trottoirs in New York. Ganze Existenzen sind mittlerweile abhängig vom Fremdenverkehr. Was wäre wenn. Wenn sie am Ende wegblieben. Ausflügler, Tagestouristen, Urlauber. Komplett. Ab jetzt und sofort? Hier stellt uns jemand genau diese Frage:
Nach den Fähren von Thea Mengeler
Der Hausmeister des Sommerpalastes konnte sich nicht mehr recht entsinnen, wann die letzte Fähre angelegt hatte. Beladen mit Säcken voll Kaffee, exotischen Früchten, Schwarzbrot und Gästen. Seither saß der Hafenmeister tatenlos im gebügelten weißen Hemd in seinem Häuschen und wartete. So wie er. Wie alle, die geblieben waren. Die noch Hoffnung hatten. Drüben im gelben Haus wohnten noch der General und seine Frau mit ihren Pferden. Die Doktorin lag weiterhin täglich in der Sonne am Strand. Die anderen waren gegangen. Die Zimmermädchen, Köche und Kellner.
Als das Mädchen auftauchte, fragte er nicht woher. Nur nach ihrem Namen und ob sie Hunger habe. Ada, sagte sie und er machte ihr Frühstück. Wortlos. Ließ wieder Wasser in den Pool. Er hatte jetzt einen Gast. Einen der jede Nacht in einem anderen Zimmer schlief. Der lachte und las.
Die Pfauen der Anlage umschwärmten sie zutraulich, schlugen Räder, was merkwürdig war, lag sonst eher das Mißtrauen in ihrer Natur. Alles war besser. Bis zu dem Tag an dem er nach Ada suchen musste …
Thea Mengeler, geboren 1988, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim, Kiel und Istanbul, veröffentlichte 2022 ihren Debütroman “connect” im Leykamverlag, lebt und arbeitet heute als Autorin und Texterin in Hannover. Das lese ich in der Kurzbiografie des Wallstein Verlages, dem ich herzlich für dieses Besprechungsexemplar und die Pfauenfeder Danke sage!
Mit Thea Mengeler trifft man eine ungemein kreative Wortschöpferin. An ihr Immerblau werde ich jetzt denken, wenn sich der Himmel wolkenlos über dem Meer aufspannt. Sofort erfasst man aufgrund solcher Begriffe eine Situation, hat Bilder dazu im Kopf. Dann wieder verknappt sie ihren Erzählton, reduziert ihr Erzählen mit einer Schlichtheit und Klarheit, die ihre Poesie kontrastiert und das Dystopische ihrer Geschichte unterstreicht.
Den Namen ihrer Insel verschweigt Thea Mengeler, was wir erfahren, hier wächst ein Feigenbaum, wir könnten also in südlichen Gefilden sein. Aber spielt das eine Rolle, bei dem was hier geschieht? Dieses Irgendwo kann überall sein. Genau dieses Universelle mochte ich auch. Die offenen Fragen Fehlendes betreffend, die Unausgesprochenheit. Das Schwanken zwischen stoischem Aushalten und Erinnern.
Der Pfauen wegen assoziierte ich gleich zu Beginn Isabel Bogdans “Der Pfau”, Mengelers Roman ist aber meilenweit davon entfernt diese Wesen humorig einzubinden und die beiden Geschichten haben auch keinerlei Ähnlichkeit miteinander. Thea Mengeler spielt mit dem Ungewissen, als Ada verschwindet und das Vermissen dessen beginnt was wirklich zählt, da hat sie mich so richtig an der Angel und sie lässt mich zappeln. Was ist imaginiert und was real?
Plötzlich kann ihre Doktorin nicht mehr lesen und beginnt zu schreiben. Weil sie das Suchende in der Literatur nicht kennt, bleibt sie beim Nacherzählenden, sagt sie und beginnt mit dem Nachdenken daran, warum sie geblieben ist.
Thea Mengeler nennt keine ihrer Figuren beim Namen. Niemanden außer Ada. Namen sind Schall und Rauch und unter den Übriggeblieben, die hier zusammenhalten wohl ohne Bedeutung. Still ist es geworden nachdem die Fähren weggeblieben sind. Leise wird auch diese Geschichte erzählt, wie hinter vorgehaltener Hand. Man wandert durch leere Räume, erinnert Stimmengewirr und Lachen. Lebt in diesem Nachhall, wenn man zu denen gehört, die sich für das Bleiben entschieden haben. Das macht Mengelers Geschichte sehnsuchtsvoll. Eine Geschichte, die auch davon erzählt wie unterschiedlich Menschen auf Veränderung reagieren. Jeder kann sich fragen, wäre ich geblieben? Gegangen?
Die Frau des Generals zum Beispiel denkt an Flucht. Arbeitet stetig daran. Ein altes, morsches Boot gibt es noch. Mann unterstützt sie.
Ein Museum entsteht. Die Idee des Hausmeisters gefällt mir. Der Versuch einer Ordnung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, schreibt Thea Mengeler. Der Hausmeister blättert in vergilbten Fotoalben. Entdeckt SIE. Früher, bevor die Insel verbaut war, stand auf dem Marktplatz eine Frau in Flammen. Eine Statue, mit erhobener Hand. Sie erzählte stumm die Geschichte der Insel, erzählte wer sie waren, bevor und nachdem die Seefahrer gekommen waren. Sie war verschwunden, mit allem anderen.
Thea Mengeler stellt ihren Sätzen nach. Hängt ihnen Worte an, die Gesagtes verstärken, vertiefen. Manchmal tun sie weh, dann wenn sie an Erinnertem rühren. Manchmal tun sie gut. Erzählen von der Zeit, als die Inselbewohner noch Angst hatten, von der Stille des Winters, die jetzt immer da ist. Aber auch von dem kleinen Glück, das zwischen ihnen wohnt. Zwischen denen, die jetzt zu den Verlassen geworden sind, denen man die Hoffnung nicht ausreden kann.
Es hat mir gefallen was ich da lese. Wegen dieser Gegensätze, dieser, ja, kühlen Wärme der Geschichte. Sehr sogar, ein stiller, nachdenklicher Text ist es. Ein Buch wie es so nicht viele gibt. Das mich sehr angefaßt hat und nach dem Lesen noch immer in mir nachklingt. Eines das mir bleiben wird. Da bin ich mir sicher. Wegen all der Ungewißheit im Text. Auf die sich alle erst einlassen müssen. Das muss man als Leser:in selbst auch. Weil man das Außen, die Rufe die sich aufdrängen, die hier aber eben nicht laut werden, auf Seite lassen darf. Rufe nach Verantwortlichkeit: “Diese Insulaner muss doch jemand versorgen, zumindest medizinisch. Im Falle eines Falles”. Höre ich. “Was ist mit Medikamenten, einem Krankenhaus im Bedarfsfall?” Das auch. “Die kriegen doch gar nix mehr mit”. Sowieso. Als ginge das heute. “Man kommt da nicht weg?” Genau.
Statt in Frage zu stellen genoß ich diese besondere Robinsonade, die sich eng mit den Menschen und dem Warum beschäftigt. Dem Warum SIE, einzeln betrachtet gekommen sind um am Ende zu bleiben. Was hält sie? Wonach haben sie immer gesucht? Was hat man vergessen über die Zeit, als man alles dem einen Ziel untergeordnet hat. Dem Versorgen der Gäste. Wachstum und Gewinn.
Kluge, auch philosphische Gedanken werden zitiert, von Ingeborg Bachmann, Pessoa, Marguerite Duras oder Virginia Woolf. Die so gut passen. Selbst dann, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt. Die so gut passen, zu dem Suchen und Finden. Zu den Fragen auf die es eben keine Antworten gibt. Danke dafür!
Auf den letzten Seiten ist eine Zeichnung angefügt und ich schmunzle. Sie unterstreicht für mich den märchenhaft entrückten Touch, den ich aus dieser Geschichte für mich auch herausgelesen habe und den ich so gerne mochte. Diese Zeichnung skiziert Mengelers Insel ohne Namen und ich denke an Michael Endes Lummerland. Auch dort ist man unter sich, der Dings, also der König, Herr Ärmel der Fotograf, Frau Waas aus dem Kaufladen, Lukas der Lokomotivführer und Emma. Sie genügen sich selbst, halten zusammen, nehmen Jim auf, der an ihrem Ufer angespült wird. Gut, da kommt noch die Post in Form eines Boten. Thea Mengeler hat selbst die abbestellt.
Was immer den Strand ihrer Insel umspült, es enthält einen ganz besonderen Kit. Den braucht es, glaube ich auch an vielen Stellen in unseren Lebensgemeinschaften. Mengelers liebevolles Begleiten ihrer Figuren ermöglichte mir das Durchatmen auf ganz unerwartete und entschleunigende Art und Weise. Hat mich an einem Punkt abgeholt, von dem ich gar nicht wusste, dass er mir wichtig ist. Es gibt wenige Bücher, die ich ein zweites Mal lesen würde. Dieses gehört ab jetzt dazu!
“Man findet die Einsamkeit nicht, man stellt sie her. Einsamkeit stellt man allein her. Ich habe sie hergestellt.”
Marguerite Duras: Schreiben
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