Hinter den Gärten die Welt (Karin Seeber)

Marie Luise Gothein, geb. Schröter, geboren am 12. September 1863 in Passenheim/Ostpreußen, verstorben am 24. Dezember 1931 in Heidelberg, wollte studieren und durfte genau das, als Frau im 19. Jahrhundert nicht. Der Zugang zu deutschen Universitäten war seinerzeit einzig männlichen Studierenden vorbehalten. Gothein aber steckte nicht auf, sie begann mit einem Selbststudium, spezialisierte sich auf Literaturgeschichte und Gartenbaukunst. Veröffentlichte mehr als dreißig Aufsätze und Bücher. Bis heute gilt ihre Geschichte der Gartenkunst in zwei Bänden, erstmals veröffentlicht 1914, unter Experten noch immer als Standardwerk.

Hinter den Gärten die Welt von Karin Seeber

Fünf Jahre vor ihrem Tod beginnt Karin Seeber, mit dem 19.9.26, ihre biographische Erzählung über das Leben und die Reisen der Marie Luise Gothein. Ihren ersten Sätzen stellt sie ein Foto gegenüber das sie uns beschreibt. Es zeigt den Hafen von Hongkong von einem Großsegler aus betrachtet, die Takelage kreuzt das Bild, Dunst liegt auf dem Ufer. An diesem Tag betrat M.L. Gothein zum ersten Mal chinesichen Boden. Im Alter von dreiundsechzig Jahren. Sie war von Deutschland nach Italien aufgebrochen, dann nach Java weitergereist um ihre Enkel kennenzulernen, dort arbeitete einer ihrer Söhne als Tropenarzt. Mit großer Faszination für den Dschungel und sein Klima hatte sie Java erlebt und im Grunde nicht fortgewollt. Sie vermisste Klima und Vegetation bei ihrer Ankunft in Hongkong quasi sofort.

Wir wissen das heute so genau, weil Gothein so präszise Tagebuch führte und mehr als vierzig Jahre lang mit ihrem Mann einen Briefwechsel aufrechthielt, der ihr, von ihm kommentiert und ergänzt, neben ihren Tagebüchern, zur Grundlage für ihre Bücher wurde. Als sie in Hongkong ankommt weiß sie, diesmal wird sie unreflektiert schreiben müssen, denn ihr Mann war erst wenige Jahre zuvor, 1923 verstorben.

Wer war diese Frau, fragt Karin Seeber, frage ich mich, die sich für damalige Verhältnisse in einem so hohen Alter, allein als Frau so weit in die Ferne wagte? Der in Anerkennung ihres Wirkens, die Universität Heidelberg, wenige Monate vor ihrem Tod 1931, die Ehrendoktorwürde verlieh und nach der in Heidelberg auch eine Straße benannt ist. Eine Frau, die früh von der Mutter gefördert wurde, der als Mädchen der Zugang zu Abitur und Studium verwehrt geblieben ist, die es trotzdem schaffte, sich solch ein Wissen anzueignen, die fraglos als Pionierin auf ihrem Gebiet, der Gartenforschung gilt.

Die Kunsthistorikerin Karin Seeber, geboren 1978, machte ihren Master in Garden History an der Universität von Bristol und promovierte über Marie Luises Geschichte der Gartenkunst. Sie nimmt uns in ihrem aktuellen Buch Hinter den Gärten die Welt, nicht nur mit hinter den sprichwörtlichen Zaun, sondern sie zeichnet für uns das Portrait einer Frau, von der ich, bekennender Fan der Gartenkunst, bis dahin noch nichts gehört hatte. Seeber die heute als Gartenkonservatorin bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg arbeitet, tut dies lehrreich und kurzweilig zugleich.  

Sie erzählt kenntnisreich von den Gärten, die Marie Luise Gothein besucht und beschrieben, die sie damit unsterblich gemacht hat. Nimmt uns, wie bei einem Spaziergang bei der Hand und zeigt auf die Schönheit, die in ihrem Wandel liegt. In dem, der durch Jahreszeiten und Wachstum begründet ist. Zeigt auf Wildnis und Wildheit, die der Mensch mit Schnitt und Mauern zu beherrschen sucht. Sie beflügelt meine Fantasie, weckt Reiselust und mein Respekt vor Gothein wächst mit jedem Absatz. Der Erste Weltkrieg hatte nicht nur für sie alles verändert, nicht selten verwehrte man ihr den Eintritt in Parks und Anlagen, die sich im Privatbesitz befanden.

Eine Herausforderung muss für ihre Mutter auch ihr Aufgewachsen gewesen sein, die Familie lebte in der Landschaft Masurens und das Mädchen Luise wollte lieber mit den Brüdern raus und ein Floss bauen, sich mit einem Buch lesend darauf treiben lassen, als zu lernen wie man Strümpfe stopfte und stickte. Was sie las und wieviel wurde reglementiert und auch Mathematik war grundsätzlich kein Fach in dem Mädchen unterrichtet wurden. An ihrem Pensionat aber doch und ihr lag auch das besonders. Was ihrem Lehrer, dem zehn Jahre älteren Eberhard Gothein sofort auffiel und was ihn sogar um die damals erst 14-jährige werben ließ. Das quittierte sie zunächst mit Gleichgültigkeit.

Wir wissen heute, dass es für die beiden anders kam, dass ihr späterer Mann ihr vieles ermöglichte, sie dabei unterstützte ihren Weg des Lernens zu finden. Ihr ein Lehrer blieb, sie förderte, zu einer Zeit, in der sich Frauen auch in dieser Beziehung, noch sehr viele Verbote in den Weg stellten. Er brauchte sie nicht zu ermutigen, denn sie war bereits früh auf dem ihren und konnte nun, geschützt durch diese Ehe, entdecken was sie faszinierte. Auch ohne ihren Mann und auch nach der Geburt ihrer vier Söhne, bereiste sie halb Europa auf der Suche nach vergessenen Gärten, vollzog eine Art Rollentausch mit ihrem Mann, der zu Hause bei den Söhnen blieb und die Alltagspflichten übernahm. Die ersten eigenen Reisen führten Marie-Luise nach Großbritannien, da waren ihre Kinder noch klein und das Vierte noch nicht geboren.

Landschaft – Geschichte – Kultur. Diesem Dreiklang folgte Marie Luise bei all ihren Exkursionen und auch auf ihrer ersten Reise, der danach alle zwei Jahre eine weitere folgte, durch England. In diesen Passagen und in den szenischen Beschreibungen der historischen Gärten, die es wiederzuentdecken galt, war ich ganz bei ihr und Karin Seeber, die hier ihre dichterische Freiheit genießt und auslebt, so entstehen Bilder. Solche, wie ich sie mir gewünscht habe. Von Orten, die verloren, vergessen, vergangen und so nicht mehr zugänglich sind. Die man gewandelt, bepflanzt und verändert hat.

Die Detail- und Informationsfülle, die Karin Seeber insgesamt vor mir ausgebreitet hat, fand ich ebenfalls beeindruckend und besonders der Ausflug in Gotheins lyrisches Wirken hat mir dabei gefallen. Ihr kennt mich, für einen schönen Vers bin ich immer zu begeistern, auch wenn dieser hier nicht im Original von Marie Luise Gothein stammt, sondern von William Wordsworth, den sie sehr vereehrte. Das vielleicht berühmteste Gedicht von Wordsworth, Daffodils oder I wandered lonley as a cloud, wurde auch ihr zum Leitstern. Damit nicht genug, übersetzte sie es als Frau mit vielen Talenten ins Deutsche und veröffentlichte ihre eigene Version in Verbindung mit einer Einführung in Wordsworth Leben in zwei Bänden. Ich zitiere nachfolgend einmal zwei Verse, den ersten und vierten, der von Gothein übersetzten Version:

Ich zog allein der Wolke gleich,
Die über Thal und Hügel flieht,
Als plötzlich unermeßlich reich
Ein Heer Narzissen vor mir blüht;
Am Seestrand unter Baum und Strauch
Da tanzten sie im Windeshauch.

Denn oft wenn ich auf meinem Pfühl
Halb sinnend, halb zum Traum bereit,
Trit vor den innern Blick ihr Spiel
In segensreicher Einsamkeit;
Dann ist mein Herz an Wonne reich
Und tanzet den Narzissen gleich.

Karin Seeber kombiniert in Hinter den Gärten die Welt Sachlichkeit und Fakten mit ihrer Lebenswegbeschreibung dieser bemerkenswerten Frau. Sie hat sich sehr genau mit ihr beschäftigt, das spürt man. Mit ihren Tagebüchern, ihren Briefen, in denen es wenig um Zwischenmenschliches ging, sondern um Gotheins Studienobjekte und um die, so Seeber, atemlosen Beschreibungen ihrer Besichtigungen. Davon hatte ich mir, muss ich gestehen einen Hauch mehr erhofft. Wollte spüren was sie gespürt hatte, allein unterwegs, voller Eifer und Begeisterung.

Seeber bleibt mir persönlich in Summe etwas zu nüchtern, das hält mir Gothein auf Abstand, ich wäre ihr gerne noch näher gekommen. Auch die ergänzende Illustration mit alten Archivfotos der Gotheins vermochte das nur bedingt aufzulösen, wenn diese mich auch besser haben in die Zeit eintauchen lassen:

Nichtsdestotrotz, mit der eigenen Erwartung an ein Buch im Vergleich zur Idee von Autorin oder Autor, ist es immer so eine Sache, verbleibt hier ein hochinformatives Bild der Autodidaktin Gothein, die es verstand sich Anerkennung auch ohne akademischen Grad zu verschaffen und als Frau, in der von Männern dominierten Welt ihrer Wissenschaft. Das Bild einer mutigen, klugen und wissbegierigen Frau, an der ich ohne Karin Seeber und den Schöffling Verlag (lieben Dank für das Besprechungsexemplar!), achtlos vorbeigegangen wäre. 

Der Kreis schließt sich, ich bin auf den letzten Seiten wieder in Hongkong. In Asien, spürte ich ihren Hunger nach Eindrücken, ihre Leidenschaft, am Deutlichsten. Hier, im Garten aus Stein, wo sie fand, was sie persönlich ein Jahrzehnt lang gesucht hatte: DIE universelle Kunstform und schließlich doch die passenden Worte um die zu beschreiben.

Liebe Marie Luise, fare well, mit Deinem Tagebucheintrag vom 29.09.1926 überlasse ich Dir nun das Schlußwort und wir wollen alle so neugierig auf die Welt bleiben wie Du:

“Ich bin jetzt fünf Tage hier und das neue Leben stürzt mit einer Fülle auf mich, dass ich mich noch gar nicht dazu entschließen kann es festzuhalten im Wort.”

Marie Luise Gothein
Verfasst von:

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