Die Seidenstraße ist ein ganzes Netzwerk von Straßen gewesen auf dem Handelskarawanen, insbesondere zwischen 115 v. Chr. und dem 13. Jahrhundert, auf dem Landweg von Ostasien zum Mittelmeer zogen. Eine der längsten Strecken war 6.400 km lang und Ferdinand von Richthofen, ein Geograf, prägte um 1877 erstmals ihren Namen als Seidenstraße. Höre ich ihn, steigen in mir von jeher ganz bestimmte Bilder auf. Ich sehe unwegsame Gebirgspässe, schwer beladene und schwankende Lasttiere, Träger gebeugt von ihrer Last. Exotische Städte mit klangvollen Namen flankieren die Route. Stimmengewirr umflirrt mich auf Marktplätzen. Es wird gefeilscht und um den besten Preis gerungen. Von West nach Ost transportierte man seinerzeit zumeist Wolle, Silber und Gold, von Ost nach West vor allem kostbare Seide, aber auch, so sagt man, im 14. Jahrhundert das Bakterium, welches die Pest verursacht und so brachte man auf eben diesem Handelsweg nicht nur Kostbarkeiten, sondern auch den schwarzen Tod nach Europa …
Was für ein Schauplatz für eine Geschichte, was für eine Zeitreise, eine die mich Widererwarten allerdings in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit geführt hat:
Samarkand Samarkand von Matthias Politycki
Wütendes Wasser, das sich brüllend durch viel zu enge Schluchten drängt. Abgründe, Eiseskälte und Hängebrücken die einen schwindeln lassen, hier im Hochgebirge von Tadschikistan.
Sie durften keine Zeit verlieren. Ohne Rast kletterten sie weiter. Steil bergan, treiben sie ihren bockenden Lastesel mit Stock und Schlägen durch schäumendes Wasser und über schwingende Stege. Denn der Winter kauerte bereits hinter den Gipfeln. Er konnte sie jederzeit einholen.
Der 58-Jährige Gebirgsjäger Kaufner ist auf der Suche. Auf der Suche, nachdem 2026 die Welt endgültig aus den Fugen geraten ist. Seine Heimatstadt Hamburg war bereits nicht wieder zu erkennen, an der Alster konnte man sich am Abend nicht mehr aus dem Haus wagen. Heckenschützen lagen auf der Lauer wenn der Muezin rief … Seine Auftraggeber und sein Führungsoffizier waren klar gewesen, es ging ihnen darum, das bestbewachte Grab in der islamischen Welt zu finden. Sein Auffinden, das glaubten sie, konnte kriegsentscheidend sein.
Seit April, ein anderthalbes Jahr lang, war Kaufner bereits mit seinem Bergführer Odina unterwegs. Hatte Pässe in fünftausend Meter Höhe überwunden, unzählige Gräber gefunden, aber nicht das eine, das nach dem alle suchten: Das Grab Timurs. Das Grab eines Mannes der zum Mythos geworden war …
Matthias Politycki, geboren am 20.05.1955 in Karlsruhe, liest diese Hörbuch-Fassung selbst ein. Was er mit sachlicher Distanz tut und was okay ist aber, wenn er wie bei seinem letzten Roman Wolfram Koch lesen lässt, bin ich noch einen Ticken begeisterter. Da spürte man den empathischen Schauspieler, der in die Figuren förmlich hineingekrochen ist und auch Samarkand hätte etwas mehr Drama im Vortrag gut gestanden. Auch Samarkand Samarkand ist ungekürzt erhältlich und man ist 7 Stunden und 40 Minuten lang in der Geschichte unterwegs. Apropos unterwegs, Reiseerfahrungen hat auch der Autor reichlich gesammelt und das spürt man. Für mich ist diese seine dystopisch-historische Geschichte ein Zufallsfund und ein Beweis dafür, dass ich mir bei all den Neuerscheinungen zu wenig Zeit für Romane nehme, die auf den Büchertischen nicht mehr vorne liegen.
Wendungsreich, spannend und ausgesprochen szenisch schreibt Politycki seinem Helden seine Abenteuer auf den Leib und verschlägt mich, den Fan guter Abenteuergeschichten nicht nur in ein fernes Land, sondern auch in eine andere Zeit. Vor knapp zwei Jahren hatte mich Matthias Politycki mit seiner Geschichte “Das kann uns keiner nehmen”, auf den Kilimandscharo mitgenommen (klickt auf das nachfolgend eingebettete Cover für den Absprung in diesen Beitrag) – was ich sehr gelungen fand.
Diesmal entführt er mich in seinem Roman, den er bereits 2013 veröffentlicht hat, in einen wild gewordenen Osten und mich fröstelt bei dem Gedanken, den er hier spinnt, schaue ich aktuell in die Nachrichten.
Die noch immer andauernde Pandemie schürt die Inflation, sicher geglaubter Wohlstand in der Mitte unserer Gesellschaften beginnt zu bröckeln. Demokratien wie wir sie kennen und schätzen, erleben wir heute als bedroht, der Sturm auf das Kapitol in Washington vor gut einem Jahr, hat uns schon gezeigt wie zerbrechlich innerstaatlicher Frieden ist. Russland marschiert an den Grenzen der Ukraine auf und dem Westen scheinen die diplomatischen Mittel auszugehen um diese Krise gesichtswahrend zu beenden. Politische Spannungen nehmen zu. Das Eis war lange nicht so dünn …
In diesem Roman dominieren Milizen Europa, Deutschland ist wieder geteilt in Ost und West, die grüne Grenze verschiebt sich Nacht für Nacht, ihre Ränder sind umgekämpft. Russland drängt an die Macht in Europa. Die USA halten sich raus, man munkelt es läge am fehlenden Etat für militärisches, die Weltmächte ordnen sich neu und noch betrachtet China das Geschehen ohne einzugreifen.
Gott sei groß, alle Wege führten nach Samarkand, beteuert im Roman ein Taxifahrer in Taschkent. Auch Paris ist gefallen, an vielen anderen Fronten ist man bereits durchgebrochen.
Alexander Kaufner, sie nennen ihn hier Ali, begegnet derweil Derwischen und Pilgerströmen, er vernimmt ein permanentes Flüstern in der Luft, taucht ein in eine fremdartige Welt. Vertraut ist er mit Parolen, Kontaktmännern und Sympathisanten, nicht aber mit den Visionen eines 13jährigen Mädchens und dem Gesetz der Berge, eines bestimmten Berges. Darauf aber scheint es anzukommen. Darauf und auf die richtite Allianz.
Die Regeln, die in dieser neuen Weltordnung vorherrschen zu durchschauen ist alles andere als leicht. Ich grübele. Versuche einzuordnen. Dann schubst es mich wieder unvermittelt ins Hochgebirge, die majestätische Schönheit und Erhabenheit der Gipfel nimmt mir und Kaufner den Atem, er ist erschöpft, aber Aufgeben ist keine Option. Gleich wie zerschunden wir auch sind. Gleich was geschieht.
Hin und wieder zurück. 2028 sind wir dann zurück in Samarkand, eingehüllt in eine Staubwolke erreichen wir unsere Zuflucht. Allein, denn unser Bergführer hat uns stehen lassen. Weit vor den Toren der Stadt. Drohnen überfliegen das Land.
Schlangenfett, Wolfszähne, Glaube und Aberglaube. Schaschlik und Kalife, Mythen, und davon das Liebe und Begehren ins Verderben, sowie alle Wege, nach Samarkand führen (können). Manchmal enden sie aber auch banal auf einem Marktplatz, wo man Diebe in einem Käfig ausstellt, wo man sie Spott und Beschimpfungen aussetzt. Anderen Missetätern schlagen sie hier Nägel durch die Hände und so mancher verliert seine Zunge, oder verschluckt prophetisch den Mond.
Mittelalterliche Methoden in einer brennenden zukünftigen Welt. Eloquent und geschliffen erzählt Politiky von einer sich am Horizont immer deutlicher abzeichnenden neuen Weltordnung. Von Abtrünnigen, Verblendung und Glaubensfragen.
Ich verliere mich in politischen Wirren, bin verwirrt. Wer ist hier noch auf wessen Seite? Altbewährte Staatsbündnisse wurden aufgekündigt, neue Kräfte finden und bündeln sich.
Diese Geschichte ist ein vielstimmiger Mix aus den unterschiedlichsten Genres. Die Grenzen verwischt Politiky gekonnt, er motiviert seine Hauptfigur durch Befehl und Gehorsam, konfrontiert sie mit Traditionen in der Moderne und mehr als einmal fragte ich mich wohin er ihn und mich wohl am Ende führt. Auf vielen Pfaden landet man hier im Ungewissen und das machte für mich den Reiz dieses Romans aus. Sein Erzählfluss ist ruhig, man hat Zeit für eigene Bilder und Gedanken, die mich auch um die ein oder andere Ecke geführt haben. Eine raue Natur, unerbittlich in ihrer Schönheit steht dabei Spalier.
Am Ende der Geschichte angelangt überlege ich dann, ob eine Reise wirklich jemals endet, oder ob sie nicht vielmehr an ihrem Schlusspunkt angekommen, der Beginn einer neuen Reise ist. Wer jetzt neugierig ist, der sattele einen Lastesel und breche auf zu Legenden und Unwegbarkeit, in eine Zukunft die einbeinig auf einem Drahtseil balanciert, aber gebt gut acht auf Euch, besonders abseits der Wege …
Liebe Dorothee,
Samarkand ist ganz anders, als sein Kilimandscharo-Abenteuer. Nicht weniger lohnend wie ich finde, der politischen Botschaft wegen, aber nimm vorher eine Hörprobe. Herr Koch hat uns als Sprecher schon sehr verwöhnt …
Liebe Grüße von Petra
Hallo Petra!
“Das kann uns keiner nehmen” habe ich mit großem Interesse gelesen und werde mir jetzt “Samarkand” mal anschauen…
Liebe Grüße aus Kiel – Dorothee