Pandolfo (Michael Römling)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 25.01.2020

Es war einmal in Mailand um 1493. Die Stadt wurde jetzt seit 1395 regiert von Gian Galeazzo Visconti, dem ersten Herzog von Mailand. Der französische König Ludwig XII. streckte aber schon seine Finger nach dem Herzogtum aus und es sollte ihm auch zufallen, wenn auch nicht kampflos. Mailand war begehrt dieser Tage und nachdem das Adelsgeschlecht der Sforza die Stadt ab 1450 zu einer der führenden Städte der italienischen Renaissance ausgebaut hatte. Das Wirken eines Großen Meisters und Allround-Genies ist auch schon zu spüren: Leonardo Da Vinci. Sein berühmtes Gemälde Das Abendmahl ist heute noch im Refektorium des Dominikaner-Klosters Santa Maria delle Grazie zu bestaunen, schaut mal:

Bildquelle Wikipedia Das Abendmahl Leonardo Da Vinci

Ich selbst hänge ja an Rom, die Stadt versprüht einen Geist, wie kaum eine andere, schließt man die Augen im Forum Romanum, ist man ganz weit weg. Das beeindruckende Rund des Circus Maximus, noch immer sehe ich die Streitwagen, eingehüllt in Wolken aus Staub dort im Kreis herum jagen. Was will ich jetzt damit sagen? Na, Pandolfo landet auch hier und unser Autor, der Herr Römling, hat mich gleich schon auch für seinen Nachfolge-Roman am Haken, an dem er gerade werkelt und der in der Ewigen Stadt um 1570 verortet sein soll. SuB, SuB – Hurra! Aber jetzt erst mal vom Anfang an und zu einem Blick aus der Nähe auf dieses Schätzchen hier, das 2019 sogar auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet war:

Pandolfo von Michael Römling

Ein Hammerschlag, ein Loch im Kopf und ein verlorenes Gedächtnis. Auf dem Marktplatz, vor der Kathedrale in Mailand findet Bernadino Bellapianta auf seinem Heimweg einen jungen Mann schwer verletzt in einem Haufen mit Gemüseabfällen.

Eine laue Nacht war es, der Haufen müffelte, als Bellapianta vom Pferd stieg. Eine Hand ragte aus dem Gemüse heraus und ein paar Hunde hatte begonnen an ihr zu zerren. Niemand half, als der Kaufmann beherzt mit parfümiert behandschuhten Händen dem hochgereckten Arm den Puls fühlte, in den Haufen griff und den Rest des Körpers herauszog, der an diesem Arm hing, und dabei war das diesseitige Leben zu verlassen. Als immer noch niemand half, packte er den Körper, hob ihn auf sein Pferd und nahm ihn mit. Ein anschließend eilends herbei gerufener Chirurg war ratlos, denn hier gab es nichts zu schneiden, man konnte nur beten und hoffen, dass der Patient überlebe …

Pandolfo, so nennen sie “das Opfer”, schafft es und als er aufwacht, kann er zeichnen und wie. Das macht sich stehenden Fußes sein Mentor zunutze. Er lässt sich von ihm Stoffmuster entwerfen, die er in seinen Webereien verarbeitet. Er hat einen wachen Geist und eine gute Beobachtungsgabe dieser Pandolfo, die das was er sieht wie von selbst in seine Hände, auf den Stoff, auf das Papier übertrug. Leofanten und Elepaten zeichnet er. Überbordend ist seine Fantasie. War dieses sein Talent schon immer da? Oder hatte es ihm etwa der Schlag auf den Kopf beschert?

Michael Römling, geboren 1973 in Soest, studierte Geschichte. Pandolfo ist sein vierter historischer Roman, seine drei Vorgänger sind alle All-Age-Geschichten, also für Jugendliche und Erwachsene lesbar. Römling begleitet zudem ein eigenes Verlagsprojekt, welches Städtegeschichten verlegt, klingt ebenfalls spannend und zeigt wie vielseitig dieser Autor unterwegs ist.

Er findet für seinen Pandolfo, den jungen Mann mit den Gedächtnislücken, einen tollen Erzählton und nutzt ihn als humorvollen Führer, der uns durch dieses Abenteuer begleitet. Nicht immer gehen seine Wege geradeaus. Wir begleiten ihn auf seinem beschwerlichen Genesungsweg ebenso (eine Hirnverletzung in diesen Zeiten war genauso wenig ein Spaziergang wie sie es heute ist), wie auf seinen Entdeckungen des Bellapianta-Imperiums. Wenn ich jetzt sage, diese Verletzung sollte nicht seine letzte bleiben, lüge ich nicht …

Wer ist dieser Pandolfo und wer und warum trachtet ihm nach dem Leben? Wie heißt er wirklich und wo kommt er her? Gerüchte kommen auf, das er nicht immer schon in bester Gesellschaft unterwegs gewesen sei. Eine Spurensuche beginnt, unterwegs ist Pandolfo und will zurück in die eigene Vergangenheit. Leider muss er alsbald schon erkennen, das nicht jeder hier mit offenen Karten spielt und der ist, der er zu sein scheint.

Unterdessen darf ich eine Opulenz im Palast seines Mentors erleben, die mich schwärmen lässt. Dieser Mann ist mächtig, das ist gleich zu spüren. Allein wie und für wen er diese Macht verwenden wird ist noch fraglich. 

Dieser Bernadino Bellapianta ist Erbe, Vollblutkaufmann, aus dem Nichts gekommen, Palastbesitzer, Gönner. Ein noch unerfahrener aber begnadeter Baumeiser gestaltet sein Refugium. Diesen Palast, der zum Verlaufen schön ist, stellt Römling mitten ins Stadtherz von Mailand und damit ruft er gleich mal Missgünstlinge und Brunnenvergifter auf den Plan.

Gesegnet ist Bernadino mit einem Bruder, der sich zwar nicht wirklich für die Familien-Geschäfte interessiert, aber ein Meister der Mechanik ist, für das Feuerwerk und für die großen Feste, die Staunen geboten, war er zuständig. Er konstruierte auch Maschinen, die das Seidengarn spannen, welches sein Bruder aus eigenen Maulbeerbaum-Plantagen gewann, so trug er dann doch, durch seinen Ideenreichtum, seinen Teil zur Mehrung des gemeinsamen Vermögens bei.

Während Venedig sich ruinierte, Genua sich wegduckte und seine Schiffe von türkischen Piraten geentert wurden, blickte Berufsoptimist Bernadino Bellapianta weiter nach vorne. Zum Waffenhändler eines Sultans aufsteigen? Warum nicht auch das?

Kunst, Experimente mit Sprengstoff, Erbsen und Seide. Ein Abenteuer, ein Roman wie ein Überraschungs-Ei, wendungsreich und bunt. Es duftet hier nach Zimt, Sandelholz und wir berühren Hermelin und kostbare Stoffe, wir müssen nur die Hand danach ausstrecken. Kanonendonner, Visionen von riesigen mit Luft gefüllten Seidenballons, die aufsteigen und Menschen transportieren können.

Unbekannte Küsten, das Unterholz voller Augen, edle Hölzer, Vögel mit bunten Federn, ein Mann namens Christofero Colombo sticht in See und eröffnet neue Wege und Ufer für die handelnden Männer des Geldes. Schmiergeld ist von Nöten und Geschenke sind es auch, besonders und ausgefallen müssen sie sein, will man als Händler Zugang erhalten zu den Höfen von Herrschern und anderen Machtmenschen.

Gedungene Mörder, politische Ränke, Verhaftungen und Pläne für Befreiungsaktionen, die spektakulär und wagemutig sind. Gleichgesinnte, Seelenverwandte und Visionäre treffen auf ungläubige Realisten. Ein weiterer Erzähler wechselt sich mit Pandolfo der als Ich-Erzähler agiert ab, unterbricht ihn gar bisweilen. Dadurch gelingt es, das man praktisch zweimal auf die Geschichte blickt, von außen und von innen. Ein Kniff des Autors, der mir sehr gefallen hat. Für seine Zeitsprünge setzt er ebenfalls diese beiden Erzählstimmen im Wechsel ein, so sind diese gut unterscheidbar.

Faden um Faden wickelt Römling, dieser famose Geschichten-Erzähler, von seinem bunten Erzählknäuel ab. Damit wir denselben nicht verlieren fasst er immer wieder auch kurz zusammen. Seine dichterische Freiheit schöpft er aus um einen Giftmischer und ein Gift zu erfinden, zu dem Historiker sagen würden, das es ein solches um 1500 nicht gegeben haben kann. Dies ermöglicht es ihm aber, eine Intrige zu spannen, die uns Hörern und den Figuren herrlich Rätsel aufgibt. Also sei’s drum!

Ehrfurchtgebietende Maschinengebilde die an Da Vinci erinnern sind phantastisch eingebettet in den Plott. Der Meister Da Vinci indes werkelt bei Römling tatsächlich am Hofe des Herzogs, sorgt für Erstaunen und Erschrecken. Tierkadaver und die Leichen von Hingerichteten werden für ihn bei Nacht und Nebel herbei geschafft. Ich lausche fasziniert. Üppig ist diese Geschichte ausgestattet, filmreif sind ihre Szenen, besonders was diese rauschenden Feste anbelangt. Diese Kleider, die mit Quecksilber gepuderten Gesichter!

Man empfängt hier Botschafter, scheut weder Kosten noch Mühen, zwängt ein ganzes Schiff in einen Bankettsaal, lässt es schweben auf einem Meer aus blauer Seide. Unternimmt beschwerliche Reisen zu märchenhaften Zielen. Händlerseele was willst du mehr? Das goldene Horn und Gebetsrufe, ein Sultan mit vierhundert Frauen im diesseitigen Leben, hier kommt selbst der weit gereiste Bellapianta aus dem Staunen nicht mehr heraus. 

Konstantinopel, die Nabe des Weltrades. Der Dolch Asiens im Rücken Europas. Die riesige Stadt lag ausgebreitet vor ihnen, gespickt mit Türmen und Kuppeln, die aus einer schuppigen Haut von Dächern in den Morgenhimmel aufragten.”

Textzitat Michael Römling Pandolfo

Römlings Sätze erscheinen mir, als könne er sie einfach so aus dem Ärmel schütteln, so unbeschwert wirkt sein Stil. Er versteht es mit einem Augenzwinkern zu erzählen, und jede seiner Formulierungen sitzt. Sein Detailreichtum ist wie ein Füllhorn, vollgepackt mit übersprudelnden Ideen und sein Text wird so wunderbar zum Leben erweckt von:

Frank Stöckle, Vollprofi im Hörbuch, Schauspieler, Musiker, noch so ein Vielseitiger! Für seine Lesung der gekürzten Fassung von Pandolfo, wurde er vom Bücher-Magazin mit dem Stempel “Grandios” geehrt. Seine Lesung von Fernando Aramburus Langsame Jahre landete im vergangenen September auf Platz 5 der hr2-Hörbuch-Bestenliste. Hilary Mantels Wölfe und Falken hat er viel beachtet eingelesen. Was kann ich da noch sagen, wo das Superlativ oder sagt man der Superlativ “grandios” schon besetzt ist? Der Schalk sitzt seinem genialen Vortrag im Nacken, eine jede der 851 Minuten ist so ein Genuss. Er ist derjenige, der hier das Leben in die Bude bringt, immer den richtigen Ton trifft, gleich ob ironisch, wohlwollend oder geistreich.

Er verstellt sich nicht, er lässt die Geschichte wirken. Gibt ihr Raum, den Handelnden Kontur. Er spottet und lästert, zetert und hadert, wird sanft und nachsichtig, bleibt mit jeder Silbe glaubwürdig. Das ist großes historisches Kino für die Ohren! Fürwahr und Bravo!

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    26. Januar 2020

    Liebe Dorothee, so viel mehr als Du schaffe ich gar nicht, wenn überhaupt. Bei mir ist es halt umgekehrt. Für ein Buch brauche ich, je nach Seitenumfang, einen Monat und je Woche lausche ich ein Hörbuch ab. Es sei denn es hat zwanzig Stunden Hörzeit auf dem Tacho. Und ja, Pandolfo lohnt sich auf jeden Fall und ganz sicher als Hörbuch! LG von Petra

  2. Dorothee
    25. Januar 2020

    Klingt AUCH wieder interessant…
    Aber WIE schaffst Du nur so viele Bücher in so kurzer Zeit? Ich lese ungefähr eines pro Woche und für ein Hörbuch brauche ICH einen Monat!
    Liebe Grüße-Dorothee

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