Die Geisterseher und Die Winterprinzessin (Kai Meyer)

Schiller wird ermordet, Goethe wird verdächtigt und die Gebrüder Grimm ermitteln, klingt verlockend. Findet Ihr nicht auch? Eine Geschichte von Illuminaten, Alchemisten und dem Stein der Weisen erst recht, oder? Was daraus alles werden kann? Hört mal genauer hin, denn in dieser Hörspiel-Fassung erwachen große Dichter zum Leben und agieren Hand in Hand mit zwei berühmten Märchensammlern, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, dies einzig zu unserem Vergnügen, zu unserem Schaudern, zu unserer Unterhaltung. Vorhang auf für zwei Teile einer besonderen Fassung nach den Roman-Vorlagen von Kai Meyer:

Mit einem Fläschchen Medizin waren sie gekommen, mit einem Manuskript verließen sie Schiller wieder. Mit einem Manuskript, so groß wie eine Kirchen-Bibel, eingepackt in braunes Papier, das er ihnen anvertraute. Und die beiden gingen. 

Gingen hinaus in eine eiskalte Nacht, in der der Mond die Stadt in sein kühles Licht tauchte. Kaum das sie aber über Schillers Türschwelle getreten waren, überwältigte sie ein Schatten, eine Gestalt, eingehüllt in einen schwarzen, samtenen Umhang und eh sie sich versahen, hatte er ihnen das Päckchen entwunden, sie umgestoßen und war auf eine heranratternde Kutsche aufgesprungen, die von vier schweren, edlen Pferden gezogen wurde. Mit donnernder, rumpelnder Fahrt entkam der Dieb in die Nacht und nur mit knapper Not und beherztem Griff, konnte Jakob seinen Bruder davor bewahren, buchstäblich unter die Räder zu kommen …

Die Geisterseher. 1805, Weimar. Friedrich von Schiller liegt im Fieber, er redet wirr und von dem Genie, das den Tell und den Wallenstein ersonnen hat, ist nicht mehr viel übrig. Seine beiden Besucher, weiß er nicht einmal mehr mit ihren Namen zu benennen. Es sind die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, die Geheimrat von Goethe zu ihm geschickt hatte. So waren sie denn auch erschrocken, die beiden Brüder, als Schiller in diesem Zustand gewahr wurden.

Zwischen Hufgetrappel und flüsternden Schatten erfahren wir, dass der große Schiller tot ist, kurz nach dem Besuch unserer Brüder und der Einnahme der Tinktur, die ihm Jakob noch verabreicht hatte …

Logen, Okkultisten, Spiritisten und Goldmacher. Eine geheimnisvolle Gräfin, die die Grimms in der Folge in einen Auftrag zwingt, Gegenwehr zwecklos.

Uralte Friedhöfe, unheimliche Friedhofswärter. Tore, die sich in der Nacht quietschend öffnen. Todbringende Symptome, die sich bei den Opfern gleichen, auf ein seltenes Gift hindeuten. Gefahr für Leib und Leben, eine Flucht, Hals über Kopf, über Stock und Stein. Nächte in rumpelnden Kutschen.

Weimar – Warschau. Theatervolk und Krambambuli. Wer steht auf welcher Seite? Und welche ist die richtige?

Ein unvollendeter Roman. Attentate und eine Mordserie, den Täter nennen sie “Den Sandmann”, denn er verwendet Wüstensand, um ihn den Toten buchstäblich in die Augen zu streuen. 

Stumme Diener, verliebte Märchensammler, verzaubert und blind vor Begeisterung. Eine Frau zwischen den Brüdern wird zur Prüfung für die beiden. 

Willensbeeinflussung oder Zauberei? Ein Hauch von Schicksal, eine Prise Romantik treffen auf Geheimnisse und gespenstisches Treiben. Erst neunzehn und zwanzig Jahre alt waren die Gebrüder Grimm als sie hier Schillers geheimnisvolles Päckchen entgegen nahmen.

Um Die Geisterseher geht es, ein Stück im Original von Friedrich von Schiller und um Mord, um mehr als einen. Die Grimms stolpern in diese Szenerie und sind plötzlich mittendrin statt nur dabei …

Kai Meyer, geboren am 23.7.1969 in Lübeck, Schriftsteller und Drehbuchautor, trifft den Ton dieser Zeit, in beiden Geschichten ganz wunderbar. Man fühlt sich an einen Klassiker erinnert und ist doch leichtfüßig unterhalten. Ein Hörvergnügen, spannend bis zur letzten Sekunde inszeniert, sehr gut besetzt bis in die Nebenfiguren. Es erwarten Euch Grabesstimmen und zarte Frauenstimmen, Gebrüll und Gewisper, vor allem hier, an einem Ort, wo sich hinter dicken Mauern Wortdiebe ein Stelldichein geben. In diesen Hörspiel-Fassungen aus dem Jahr 2009, die u.a. auch mit klassischer Musik die Kapitelübergänge gestalteten, wartet jeweils auch ein Chor von Stimmen auf Euch, unter ihnen Matthias Habich, Andreas Fröhlich, und Marius Clarén. Mich hat ja besonders Gerlach Fiedler als Baron Zbigniew umgehauen. Wer hätte bei dieser gruseligen Stimmlage gedacht, das er schon “Krümel” aus der Sesamstraße synchronisiert hat? Also ich nicht! Der Vielstimmigkeit dieser Regiearbeit steht die Heerschar historischer Figuren, denen uns Kai Meyer begegnen lässt, in nichts nach. Als da wäre eine Riege prominenter Dichter und Poeten, unter ihnen E.T.A Hoffmann, sowie Goethe und Schiller, die beiden allerdings nicht ganz so traut vereint, wie mit diesem Denkmal dargestellt:

Goethe/Schiller Denkmal Weimar

Die Winterprinzessin treffen wir im Jahr 1813, und diesmal sind es nicht die Grimms, die sich als Lauscher an der Wand versuchen, sondern eine Angestellte von Geheimrat Goethe. Dies als ein kleiner Mann, mit französischem Akzent bei Herrn Goethe Einlass begehrt und vor gibt, der Kaiser von Frankreich zu sein. Goethes Faktotum Dorothea versucht mit dem Ohr an der Tür, dem Begehr dieses Besuchers und dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage auf den Grund zu gehen, kommt aber nicht weit. Von fremden Mächten und ein einem Kind ist die Rede, soviel schnappt sie zumindest auf, bevor der Franzose eilig das Haus verlässt. Dann jagen Pferde davon, sie werden geritten von unheimlichen Männern, auf den Köpfen Federn statt Haare. Stimmen, Schreie, Flucht und Dorothea im Schock …

Nach einer Zwangsrast in einem Gasthof, ein Kutschrad war gebrochen, dann in Karlsruhe ein Treffen mit Runhild der Märchenfrau, die auch den Menschen die Zukunft zu deuten vermag. Das macht sie zur idealen Quelle für unsere beiden Märchensammler, einem blanken Taler scheint sie auch nicht abgeneigt, wenn das keine profitablen Allianz verspricht. Dumm nur, dass sie so eigen ist und undurchsichtig und unheimlich auch irgendwie …

Hütet Euch vor den fünf großen Fragen, die die Menschheit regieren, warnt sie kryptisch und seltsame Parallelen drängen sich den beiden Grimms auf, die gestrige Begegnung diese aus dem Nichts aufgetauschte Prinzessin betreffend. Etwas ging hier ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu, da brauchte es kein Orakel!

Tiermenschen, Entführungen und gedungene Mörder. Das Kind des Großherzogs verstorben, das noch bevor Wilhelm seine neue Stellung als Hauslehrer antreten konnte. Dann windet sich auch noch der zuständige Minister ausredenhaft aus der Affäre, es ging ja schliesslich um nicht weniger als um den Prinz von Baden, den rechtmäßigen Thronfolger Frankreichs. Ein rätselhafter Arzt betritt die Bühne und eine fremdländische Macht mischt sich ein …

Hochmut kommt vor dem Fall und die Fallhöhe kann enorm sein. Für unangreifbar, für unantastbar hält sich ein geheimer Bund und man versucht geschickt einen Keil zwischen die Gebr. Grimm zu treiben. 

Folter und Verrat. Fakire und Säbelduelle, englische Lords fechten um Leben und Tod. Kaminglut und Kapuzengestalten, Postsäcke die Feuer fangen, Schankräume vom Rauch erfüllt. Eine indische Prinzessin mitten in Deutschland und man macht den Grimms ein Angebot, dass nicht mit Anstand abgelehnt werden kann.

Exotik trifft auf deutsche Handwerkskunst, in diesem Fall auf die von Uhrmachern. Nicht nur diese Mischung, auch die deutsche Synchronstimme von Ben Kingsley, die musikalische Begleitung und Untermalung der Winterprinzessin haben mir noch einen Hauch besser gefallen als bei den Geistersehern. Diese Klänge tragen meine Gedanken fort nach Indien, in den Palast eines Maharadschas. Dann erklingt wohltönend und voll ein klassisches Orchester und ich bin wieder zurück im Winterwald in Baden. Stimmungsvoll ist das und märchenhaft. So müssen gute Erzählungen sein.

Schauerromane sind es, Kriminalromane, historische Romane, fantasievolle Geschichten im Geiste und in der Tradition eines “Bundesromans”, wie man seinerzeit Romane nannte, die sich echter und fiktiver Geheimbünde annahmen. Geschichte von Verschwörungen, eingerahmt von Dichtern und Denkern, Adel und Mägden, so szenisch und lebendig als Hörspiele aufbereitet, dass man sich in die Goethezeit versetzt sieht.

Lehnt Euch also zurück, macht es Euch gemütlich, fragt Euch mit mir, was Kasper Hauser mit all dem zu tun hat. Diese Hörspiele sind der ideale Stoff für Winternächte, Schneetage und prasselndes Kaminfeuer. Kerzen nicht vergessen und besser zuvor die Türe gut abschließen, denn “‘a weng unheimlich” geht es in beiden Geschichten zu …

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