Nebel (Ragnar Jónasson)

Meine Augen brennen. Schwefelgeruch hüllt mich ein und ich huste. Von jetzt auf gleich sehe ich nichts mehr, bin eingehüllt von Dunst. Tastend strecke ich die Arme aus. Dieses Solfatarenfeld voller blubbernder Quellen hat es mir angetan. Zielstrebig war ich auf einen dampfenden Steinhügel zugelaufen, wollte ihm nahe kommen. Dann stieß er mich weg wie ein Drache der heißen Schwefeldampf durch seine Nüstern bläst und ich stand da, wie angewurzelt und festgenagelt, und warte bis der Nebel sich um hierum wieder lichtete und ich liebte es , obwohl ich danach mindestens genauso faulig roch wie dieser Dampf. Mensch, Island. Du fehlst mir! Du und die Nebelbänke, die in Deinen Fjorden vor Anker gegangen sind, die es zu durchdringen gilt um auf Deine grandiosen Küsten stoßen zu können …

Nebel von Ragnar Jónasson

Zu Weihnachten gab es immer ein Buchgeschenk und dann wollte Erla nur noch bis in die Puppen lesen, mit Pralinen und einem Malzbier, still in der Ecke sitzen, am liebsten mit einer Geschichte von Halldór Laxness. Das war das Größte. Diese Weihnachten hatte es starken Schneefall und dichten Nebel, wieder einmal waren sie um diese Zeit auf ihrem Bauernhof eingeschneit und allein, ihr Mann Einar und sie, die Nachbarn viel zu weit von ihnen entfernt für einen Besuch bei diesem Wetter. Vor ihrer Tür stand nun ein Fremder. Verirrt, auf der Schneehuhnjagd habe er sich und sei getrennt worden von seinen Jagdgefährten. Halb erfroren habe er sich mit letzter Kraft noch bis zu ihnen schleppen können.  

Ihr Mann schien ganz begeistert zu sein von diesem unverhofften Weihnachtsbesuch, aber für sie brachte dieser Mann eine Vorahnung mit, keine gute und wo war eigentlich ihre Tochter? Sie hätte längst hier sein müssen. Selbst wenn es stark geschneit hatte, konnte man den Weg zwischen ihrer beider Häuser noch zu Fuß überwinden. Ruhelos wanderte sie von Fenster zu Fenster, aus welcher Richtung war dieser Fremde, der sich als Leo vorstellt gekommen? Er machte ihr Angst, die Widersprüche in die er sich im Gespräch verstrickte und dann fiel der Strom aus …

Eine Auszeit nehmen um ein Buch zu schreiben. Island war perfekt dafür. Trampen klang nach einer guten Idee, was sie ihren Eltern aber besser nicht verriet, weil Busfahren so viel sicherer klingt und sie es ihr eh nie erlaubt hätten. Also Daumen raus und tatsächlich hielt recht schnell ein Auto an. Es war ein alter, weißer BMW, so einer wie ihn auch ihre Eltern früher gefahren hatten. Jetzt, ab jetzt, würde sie unabhängig sein, sich abnabeln von ihrem privilegierten Zuhause. Sie musste nur noch einsteigen, in diesen Wagen und in ihr neues Leben …

Ragnar Jónasson,  geboren 1976 in Reykjavík ist im Hauptberuf Rechtsanwalt, lehrt Urheberrecht an der Uni Reykjavík. Als Fan von Agatha Christie begann er im Alter von siebzehn ihre Bücher ins Isländische zu übersetzen, mittlerweile hat er vierzehn Roman seines Idols in seine Muttersprache übersetzt.

Mit Nebel ist also jetzt seine Hulda-Trilogie komplett, deren erster Teil Dunkel von der Times als einer der besten 100 Krimis seit 1945 ausgezeichnet worden ist. Kurz vor Weihnachten 1987 steige ich wieder mit Jónasson und in seinen Teil drei der Hulda-Trilogie ein. 

Wie schon gewohnt begegne ich Hulda Hermannsdóttir von der Kripo Reykjavík, im zweiten Handlungsstrang der Geschichte und in diesem dritten Teil spielt Ragnar Jónasson diesmal nicht nur mit der isländischen Landschaft als Stilmittel, mit den Wetterkapriolen die hier herrschen können, besonders im Winter, er macht seinen Schauplatz samt Wetterunbillen zum Hauptdarsteller der eigene Opfer fordert. Einsamkeit, ein abgelegener Hof und eine klaustrophobische Enge, in einer für das Auge eigentlich weiten Landschaft, herrschen hier wenn man einschneit. Am Ende der Welt in einem lichtarmen Winter. Diese Stimmung gräbt sich tief ein, gibt der Handlung nicht nur Halt und einen Rahmen, sondern sie beginnt auch wie eine Romanfigur zu agieren. Nur hier, im Verborgenen, kann geschehen was geschieht. Die Kälte erfasst einen rasch, Bilder steigen in mir auf. Ich assoziiere Stephen Kings Shinning. Alles nur in meinem Kopf?

Tief hängende graue Wolken, die an den Bergen kratzen, die sich untrennbar mit dem Horizont verbinden. Wir nehmen diesen Wolkengruß als Nebel wahr, der uns den Blick verstellt, auf gewohnte Szenerien und auf den Weg der vor uns liegt. Der uns orientierungslos und uns Angst macht. Wie im Nebel irrt Hulda durch das Trauma, das der Selbstmord ihrer Tochter in ihr ausgelöst hat.

Natürlich muss sie auch hier ermitteln, ganz klassisch und ein erster Eindruck führt Huldas Team am Tatort auf eine falsche Fährte. Absicht oder Zufall. Affekt oder geplante Tat? Auch diesmal laufen bei Jónasson zwei Handlungsebenen aufeinander zu, lässt er uns von Anfang an rätseln ob und wo seine Fäden sich berühren werden. Immer gibt es einen Cold Case aus der Vergangenheit, der sich in die Gegenwart drängt, besonders wenn es taut …

Wenn sich die Türen schließen geschieht ungeheuerliches. Dafür steht diese Trilogie, die einen leicht klagenden Ton hat und für ihre starke Heldin. Professionelle Distanz, sich abgrenzen von grausigen Szenerien ihres Berufsalltages. Hulda kämpft und genau das macht sie mir so sympathisch. Sie ist kein Übermensch, sie ist verletzlich, macht Fehler und wenn sie Stärke zeigt, dann hat sie das auch etwas gekostet. Alles hat seinen Preis und manches lernt man nur durch Verlust.

Hulda hat Dienst am ersten Weihnachtsfeiertag und ist mit ihren Gedanken nicht bei der Sache, sondern zu Hause bei ihrer Familie. Ihre Tochter hatte an Heiligabend ihr Zimmer gar nicht erst verlassen. Namenloses Unbehagen nagt an Hulda und auch wenn ich weiß was kommt, ich kenne ihr Trauma ja schon, mit ihr diese Tür zu öffnen, das ist unfassbar beklemmend und verstörend. In dieser Mittagsstunde, wird die Frau geboren, die ich in Teil 1 kennengelernt habe, die sich befreit hatte aus einer bewölkten Kindheit, die ein gutes Leben gefunden hatte, nur damit das Schicksal ihr erneut mit erhobenem Zeigefinger bedeuten konnte: Obacht, es ist Schluss jetzt mit Sonne und Familienglück. In dieser Mittagspause schlug die Erkenntnis ihr eine Wunde, die wulstig und noch nach Jahren schmerzend an ihr vernarben sollte. 

Mein Fazit am Ende dieser Mini-Serie: Starke Heldin, bärenstarkes Setting, klassisch nordischer Ermittlungs-Plot trifft auf die Inselschönheit Island. Es hat mich nicht gereut, kein bisschen, nach langem mal wieder eine Reihe, diese Reihe angefangen zu haben. In diesem dritten Teil waren Huldas Anteile an der Handlung am geringsten, weswegen ich, wenn ich die Wahl hätte und sie nicht kennen würde, die Serie von hinten nach vorne, also von Teil 3 nach Teil 1 hören würde. All dieweil, ich mir gerne immer das Beste bis zum Schluss aufhebe und das Beste an dieser Reihe ist für mich immer noch das Ende, dieser Hammer-Schluss von Teil 1. Ach ja, und so richtig und wahrhaftig rückwärts erzählt ist sie für mich nicht wirklich. Rückblendenhaft finde ich treffender, besonders zwischen Teil 2 und 3.

Katja Bürkle, über sie und ihren Vortrag habe ich schon ausgiebig in den vorhergehenden Rezensionen geschrieben und sie ist der Grund, dass ich weiter hören und nicht lesen wollte. Sie passt unsagbar gut zu dieser Heldin, sie wird auf immer Hulda für mich sein. Nochmals Dankeschön, für das an die Hand nehmen und diese sichere Reise durch das Land von Eis und Feuer, Frau Bürkle.

Mein Dank geht an Der Hörverlag für dieses Rezensionsexemplar und wer mag findet nach Klick auf das Cover mehr zu diesem Titel und nach Klick auf Dunkel und Insel meine Besprechungen dazu.

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