Stell Dir vor es ist Buchmesse – und keiner darf hin …

Donnerstag, 15.10. – Sonntag 18.10.2020 – (M)ein digitales Messetagebuch

Pünktlich zwei Wochen vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse wurde die Stadt Frankfurt zum “Risikogebiet” erklärt. Gleiches gilt seit Freitag auch für meinen Heimatkreis. Privaten Feiern und Kneipen-Partys sei Dank liegt die Corona-Inzidenz bei > 50 auf 100.000 Einwohner. Wieder gelten verschärfte Auflagen. Wieder Verunsicherung.

Jetzt muss sich also zeigen, ob die Rechnung der Frankfurter Buchmesse in diesen Zeiten eine digitale Messe auf die Beine zu stellen aufgehen wird. Mein freies Wochenende Mitte Oktober, dass seit vier Jahren fest dieser Messe gehört, was fange ich jetzt damit an? Ich sag’s Euch, ich habe den Messeblues, doch ich will nicht jammern, sondern das Beste auch aus dieser Situation machen. Ich klicke mich durch den Online-Auftritt der FBM und schaue auf die Uhr, es ist jetzt Mittwoch gegen 23.30 Uhr und mein kleines Programm für die kommenden Tage steht.

Jeden Tag Druckfrisch mit Denis Scheck, am Messe-Samstag habe ich virtuell mit ihm gefrühstückt, ganz ohne Gedränge und jetzt hab ich so viele Tipps eingesammelt, zum Glück liegen einige schon hier und andere sind schon gelesen oder von mir gehört worden, das ich nicht mehr weiß woher noch Lesezeit nehmen.

Interviews satt – mit Judith Zander, Iris Wolff, Anne Weber, Nell Zink, Christoph Peters, Jan Weiler, Hallgrímur Helgason und wie gewohnt hole ich mir bei Scheck auch Lyrik Empfehlungen die meine Sprachseele streicheln. Er ist übrigens für mich der Einzige, der mit Stil knallrote Socken zum dunklen Anzug tragen kann … Jan Weiler hat im Übrigen selbst eine Corona-Infektion überstanden, erfahre ich, kann immer noch nichts riechen und warnt eindringlich vor einer Verharmlosung dieser Krankheit, sieht sein Schreiben aufgrund seiner Erfahrungen ernster werden. Extrem kurzweilig kann dieser Mann erzählen, was Abwechslung in die sonst doch eher ernsten Interviews bringt, z.B. auch davon das eine seiner Kolumnen in der er davon schrieb, das Frodo etwas mit Hermine aus Harry Potter habe, abgelehnt worden sei. Scheck kann da mithalten, als Gesprächspartner ist er nicht nur stets sehr gut vorbereitet, sondern auch extremst schlagfertig. Das war eindeutig mein Lieblings-Frühstücks-Programm. Soviel steht schon mal fest.

Schwenk zurück auf Donnerstag und auf  Thilo Krause und seinen Roman Elbwärts, von dem ich so einiges über Felsen, über Aussichten die sich weiten, Fluchtbewegungen, Fremdenfeindlichkeit, Elbhochwasser fehlende Kommunikation, Traumata, Verschweigen, Angst und Scham erfahre. Krause der im Brotjob Elektriker ist, scheint mir auch als Romanautor einiges auf der Pfanne zu haben. Ich freu mich drauf seine Geschichte zu entdecken. Das Hörbuch liegt hier bereit.

Ach, hab ich übrigens schon erwähnt, das ich dieses Gespräch und auch das mit dem herrlich erfrischend eloquenten Kristof Magnusson in meiner Autowerkstatt mit erlebt habe? Nein? Zwischen Bilderstürmen und der Idee davon, was Kunst soll tauchte ich ab und einer guten WLAN Verbindung sei dank, war die Wartezeit beim Reifenwechsel noch nie so kurz! Buchmesse mal anders eben … Kein Grund zu unken. Auf dem Heimweg im Auto lausche ich dann der syrischen Lyrikerin Linah Atfah, die mit ihrem Mann mittlerweile in Deutschland lebt und in diesem Jahr mit dem LiBeraturpreis für ihr Buch von der fehlenden Ankunft ausgezeichnet wurde (liegt auch hier bei mir!) und ich freu mich drauf. Danke, Jasmin für’s Beschaffen dieses Schatzes.

Die Wirklichkeit von der Rückseite betrachten, das tut Heinrich Steinfest gern nach eigener Aussage. Diesmal hat er von einer Rettung, von Liebesleid und dem Wandel eines Mannes vom Chauffeur zum Hotelier geschrieben, der sich den Traum von der perfekten Herberge erfüllt und eine eröffnet. Steinfests Hommage an Manns Zauberberg und jede Menge Kunst ist gewagt, ein echter Steinfest halt. Diesen Titel aus seinem Kosmos, den er mir/uns am Messe-Freitag früh auf der ARD Bühne vorstellt, muss ich auch lesen. Faszinierend und sehr sympathisch ist auch dieser Autor. 

Christian Berkel hat einen neuen Roman geschrieben und mitgebracht, er erzählt mit am Nachmittag von seiner Ada und was soll ich sagen, mein Stapel wächst und wächst, es ist nicht mehr zu verhindern und ich beginne zu hoffen, dass sich die kommenden Tage vielleicht etwas moderater auf meinen Geldbeutel auswirken werden …

Am Abend genieße ich dann mit Beinen hoch die ARD Buchmessen-Nacht, hochkarätige Autoren/Autorinnen geben sich die Klinke bzw. den Stream in die Hand, zwischendurch immer wieder Text-und Leseeinwürfe von Jan Weiler (genial!) und ich stelle mir die Frage, warum sowas nicht auch außerhalb von Messezeiten geht, Kultur ins Programm und in die Wohnzimmer holen. Die ARD Messebühne und das Blaue Sofa machen es jetzt vor, es braucht nicht viel um neugierig auf eine gute Geschichte zu machen, keinen epischen Experten – Disput, lasst bitte mehr Autoren zu Wort kommen. Von mir aus auch im Live-Stream, wenn das Fernsehprogramm es nicht verträgt. Zeitungen wie Die Zeit sind auch ein exzellentes Beispiel für alternative Formate und ich erlebe, wie entspannt man mit gleich vier Autoren und einer Moderatorin vom Küchentisch aus plaudern kann. Online-Ticket reservieren und los geht es mit:

Wencke Tzanakakis, die für Die Zeit die Rubrik “Wir lesen – Freunde der Zeit” betreut und uns alle sehr einfühlsam und professionell durch diese Online-Veranstaltung lotst. Es beginnt Lukas Maisel, er liest aus dem ersten Kapitel seines aktuellen Romans und nimmt uns mit nach Papua Neuginea. Wer jetzt tropisches Dschungelfeeling erwartet der wird staunen, so wie ich. Mit trockenem Humor und Schweizer Akzent liest Maisel von der Vorliebe seines Helden für Deutsche Wasserklosetts und ich will das gar nicht weiter vertiefen, von unterschiedlichen “Kot-Skalen”. Als Fan guter Abenteuergeschichten habe ich mir Das Buch der geträumten Inseln gleich im Anschluss bestellt. Nicht zuletzt auch wegen der exzentrisch gezeichneten Figuren die offenbar ganz im Gegensatz zu diesem ausgeglichenen jungen Autoren stehen. Entspannt einkaufen geht auch lokal, online vom Küchenstuhl aus noch spät am Abend. Das lob ich mir, Tüten schleppen auf der Buchmesse war gestern!

Volker Jarck, selbst Lektor, übernimmt das Staffelholz von Maisel, seine Sieben Richtigen habe ich Euch ja schon vorgestellt und gemocht. Schön jetzt von Jarck so persönlich zu treffen, quasi in seinem Wohnzimmer und auch mal seine Stimme zu hören. Eine bitter-süße Passage hat er sich für seinen Leseauszug ausgesucht. Einfach nur schön!

Mercedes Spannagel, arbeitet gerade an ihrer Diplomarbeit über Biomechanik, hat ihren Roman Das Palais muss brennen teils auf dem Handy! in der transsibirischen Eisenbahn geschrieben. So schreibt man offenbar heute … Er handelt von den Töchtern einer rechtskonservativen Regentin, von jeder Menge Elite und sie wird für ihren Wortwitz gefeiert, oder für ihre Provokation abgelehnt. Wie auch immer, schreibend wirkt diese Jung-Autorin sehr eloquent, und wie eine “Pointen-Testerin” die mit studentischen Humor gesegnet, im Interview seltsam schüchtern wirkt. Was für ein Kontrast zu ihrem Text. 

Lasst but not least Andreas Wagner. Er liest aus Jahresringe, aus dem Teil drei seines Generationenromans, der in einem Dorf am Hambacher Forst spielt, das umgesiedelt werden soll, des Braunkohle-Tagesbaus wegen. Barrikaden aus Totholz versperren einen Weg zu einer Lichtung auf der mächtige Buchen Baumhäuser, ja eine ganze Wohnstatt beherbergen. Aktivisten, die auf ihre Art versuchen dem Wald noch zu helfen … Es geht Wagner um so viele Großthemen, eine Flucht aus Ostpreußen, den Klimawandel, das ich staune welchen Kreislauf er mir da in Aussicht stellt. Es lebe der Wald, und oh Schreck, dieses Buch ist auch was für mich! Wann soll sich das alles lesen! Bleibt gespannt wie ich das managen werde.

Alle vier Autoren geben den Teilnehmern noch einen Blick darauf, was ihre nächsten Projekte sind, wie sich ihre Schreibwelt in die Zeit vor und nach Corona geteilt hat, wie sich dieser Virus auf ihr Schreiben auswirkt und/oder auf die Entstehung des vorgestellten Romans ausgewirkt hat und ich hoffe nicht, das wir im nächsten Jahr nur noch Corona-Geschichten haben werden, weil alle sich das jetzt von der Seele schreiben wollen und müssen. Mein erstes ZOOM Buchmesse Webinar hat mir eine großartige Titelmischung beschert, eine interessante Erfahrung und einen gelungen Auftakt dieser digitalen Messetage. Auch und besonders der Fragen-Chat hat mir sehr gefallen, da war eine wirklich belesene Zuhörerschaft mit am Start! 

Eine weitere Runde genieße ich ebenfalls sehr, diesmal auf dem berühmten Blauen Sofa des ZDF. Hier nehmen vier nominierte des Schweizer Buchpreises Platz,  Dorothee Elminger (Aus der Zuckerfabrik), Anna Stern (Das alles hier, jetzt), Tom Kummer (Von schlechten Eltern) und Charles Lewinsky (Der Halbbart), der ebenso wie Elminger auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Deniz Ohde wird auch durch die Sofa-Belegschaft der Aspekte-Literaturpreis 2020 für ihren Roman Streulicht überreicht, der auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Ganz schön prominent diese Autoren-Prominenz, oder? Da kann man/Leserin echt nicht meckern …

Mein Fazit: Ich war wider Erwarten ganz schön gebucht und das zu Hause, zwischen Haus- und Gartenarbeit. Herrlich bunt war es. Der Sonntag bleibt auch in diesem Jahr für mich messefrei, mit dieser Regel breche ich nicht, oder doch, vielleicht ein bisschen, denn morgen früh gibt es noch ein Gespräch mit Iris Wolff, mit ihr könnte ich doch frühstücken … ?

Also, auch wenn diese Messe nicht 1:1 mit einer Präsenz-Veranstaltung konkurrieren kann, es hat mir als Alternative Spaß gemacht dabei zu sein. Sie läuft außer Konkurrenz für mich und ich bedanke mich für die vielen Autoren-Sichten, die ich habe erfahren dürfen. Diese Mischung war es auch, die einen ganz besonderen Reiz für mich ausgemacht hat, genau das was ich auch an einer klassischen Messe schätze und was es mir möglich macht mit meiner eigenen Auswahl von Beiträgen immer auch meine eigene Messe zu erleben.

Gefehlt haben mir die Menschen aus Fleisch aus Blut, Blogger-Kollegen treffen und live kennen lernen, die man nur aus Chats kennt, das Herzklopfen das man hat/ ich habe, wenn man/ich an einem Signiertisch ansteht weil man der Autorin, dem Autoren endlich persönlich gegenüberstehen kann, den man so schätzt. Das Gedränge, das ich sonst verfluche, habe ich tatsächlich auch vermisst, weil es eins ganz deutlich zeigt: Das Buch lebt! Und seine Fans sind immer noch an Deck und wir sind zahlreich. Denn ist man auch beim Lesen allein, hier teilt man die Freude und die Begeisterung.

Das Anfassen hat mir gefehlt, das Blättern mit Baumwollhandschuhen in kostbaren Bildbänden, Ausflüge in antiquarische Welten und zu den kleinen Verlagen, die man sonst nicht sieht, die Haptik eines handwerklich gut gebundenen, schön ausgestatteten Buches. Vielleicht war auch deshalb der Himmel über Frankfurt in diesen Tagen häufig grau und es fiel nicht nur ein Tropfen … Ich, wir hoffen alle auf bessere Zeiten, vielleicht auf eine normalere Messe im kommenden Herbst. Das treibt uns an und wir wollen es nicht verlieren. Dieses Gefühl, das es wieder besser wird. Bis dahin gilt: Tieftauchen in Geschichten und Gespräche via Telefon und Skype wo Umarmungen fehlen! Bleibt mir gesund, alle miteinander.

Eure Petra

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