Klara und die Sonne (Kazuo Ishiguro)

Schaut man auf ihr Äußeres sind sie kaum noch von uns unterscheidbar. Außer man zieht ihnen den sprichtwörtlichen Stecker. Was, wenn sie sich gar von der Sonne ernähren könnten, gar keine Steckdose mehr bräuchten. Die Rede ist von Robotern mit künstlicher Intelligenz, die zu Empathie fähig sind und “ihrem” Besitzer zu mehr als einem Alltagsbegleiter werden. Freund, Partner oder Beschützer, was immer gewünscht ist, ist möglich. Man fängt bei den Kindern an, als Spielzeug ist eine KI doch auch besser geeignet als ein Haustier, man braucht sie ja nicht einmal zu füttern. Traum oder Albtraum? Hier dürft ihr alles erwarten, aber keinen SiFi Roman, denn hier ist ein Meister am Werk. Einer, der Grenzen verwischen kann und der Gefühle mit seinen Geschichten erzeugt, wie es für mich nur wenige vermögen.

Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro

Ein Platz im Schaufenster war heiß begehrt und eine besondere Ehre. Wer hier ausgestellt wurde, konnte nicht nur in der nährenden Sonne baden, sondern durfte auch den Laden repräsentieren, und wurde ganz gewiss auch eher als die anderen von einem Kind ausgesucht.

Klara genoss die Aussicht aus dem Fenster auf die Welt davor und auf die Kinder, die sich Nase und Hände daran plattdrückten. Kinder, deren Eltern sich eine KF als Spielgefährten für sie leisten konnten mit leuchtenden Augen, und die anderen, die mit den traurigen Augen. Klara war eine solche KF, eine künstliche Freundin, und an dem Tag, an dem Josie vor dem Schaufenster stand wusste Klara , es konnte für sie nur einen Besitzer geben. Sie gehörte zu Josie, die das offenbar genauso so sah, nur ihre Mutter war da anderer Meinung. Für ihre Tochter sollte es das neueste Modell sein und Klara gehörte noch zu einer alten KI-Baureihe. Allerdings zu einer, so versicherte die beflissene Ladenmanagerin, die noch Empathie so “gelernt” hätte, wie keine andere Serie danach, was sie zur perfekten Gefährtin mache …

Sir Kazuo Ishiguro, geboren am 08. November 1954 in Nagasaki, britischer Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger von 2017 hat es wieder getan. Mich begeistert. Nach “Was vom Tage übrig blieb” (ausgezeichnet mit dem Booker Prize, ganz großartig verfilmt mit Anthony Hopkins und Emma Thomson) und “Alles, was wir geben mussten” (ebenfalls verfilmt u.a. mit Keira Knightly) wagt er sich mit “Klara und die Sonne” an ein aktuelles Thema, die künstliche Intelligenz. Übersetzt hat seine Klara für uns ganz wunderbar Barbara Schaden, die mit Ishiguros Ton und Texten bestens vertraut ist.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“. Dieser Liedtext kam mir sofort in den Sinn, als ich von Ishiguro erfuhr, wie hier genetische Vorauswahl und Stand über Förderung und Bildung entscheiden. Die “gehobenen Kinden” einer linien- und systemtreuen Gesellschaft in der nahen Zukunft lernen hier mittels regelmäßiger Interaktionsmeeting, die vor dem Collegebesuch Pflicht sind, und durch ihre KFs Toleranz und Respekt, oder eben auch nicht.

Das, was man von Ishiguro kennt, einen nachdenklichen, melancholischen Grundton und das Entdecken von jeder Menge Zwischentönen, das Aufwerfen von Fragen Moral und Ethik betreffend, das darf man auch hier erwarten. Beinahe ehrfürchtig verneige ich mich davor, wie es ihm gelingt seine KI Klara so zu zeichnen, dass man sie tatsächlich wie einen Menschen ins Herz schließt. Ähnlich wie schon seinen alternden Butler in “Was vom Tage übrig blieb“, lässt er sie hier auf ihr Umfeld schauen. Wir stehen dabei ganz dicht bei ihr. Sie erzählt und ja, empfindet auch. Dabei wird genauestens beobachtet und die Frage, wie nah uns eine künstliche Intelligenz kommen, uns, unser Verhalten verändern kann wird beleuchtet.

Sie kann keine Mutter ersetzen, auch keinen lebendigen Freund, aber die Grenzen, nicht nur die des Möglichen und Machbaren, sondern auch die zwischen Mensch und Maschine beginnen hier mehr und mehr zu verschwimmen. Ob der Klugheit und ja, Empathie, die Ishiguro seiner künstlichen Freundin hier mitgibt reibe ich mir verblüfft die Augen. Lässt sich mit einem solchen Gefährten Sozialkompentenz besser lernen? Kann man sich an seiner KF ausprobieren ohne Schaden zu hinterlassen? Oder lernt eine KI nicht auch aus einem solchen Umgang und entwickelt sich dann in eine andere Richtung?

Heute schon versucht man alten Menschen, die alleine leben, oder auch in Pflegeheimen zur Kommunikation, gegen die Einsamkeit, und für leichte Handgriffe einen Roboter zur Seite zu stellen. Mit Erfolg. Sind wir also wirklich so weit davon entfernt, das unsere Kinder künstliche Freunde und Spielkameraden haben könnten? 

Von Herz zu Herz, Mensch zu Mensch und von Mensch zu Maschine. Freundschaft und Bindung auf dem Weg vom Kind zur Erwachsenen sind die Themen dieser Geschichte. Dabei lerne ich eine Mutter kennen, die ein Kind verloren und die die Trennung von ihrem Lebenspartner durchgemacht hat, die einen Plan fasst, der ungeheuerlich ist und die Sonne, als Hoffnungsspender und Energiequelle gibt ein Versprechen …

Teils nüchtern, teils mit viel Mitgefühl schaut Ishiguro auf “seine” KIs oder KFs wie er sie nennt. Als hätten sie eine Seele beinahe, das lässt bei mir eine Art “Westworld-Feeling” aufkommen und dann auch wieder nicht. Denn hier agieren die KIs nicht in einem abgegrenzten Raum, in einem Freizeitpark, sie sind unter den Menschen, werden wie ein selbstverständlicher Teil des Zusammenlebens akzeptiert, aber bei weitem nicht von allen geliebt.

Von der Literaturkritik wurde sein aktueller Roman nicht ausschließlich gefeiert, es gibt durchaus auch kritische Töne, meiner Freude daran tat dies keinen Abbruch. Mir hat diese Idee unglaublich gut gefallen, auch wie Ishiguro sie umsetzt. Die Perspektiven die er gestaltet, den Blickwinkel den er mich einnehmen lässt, eben durch die Augen seiner KI, die Grundspannung die er so erzeugt.

Wer glauben kann, der findet Trost. Klara glaubt an die Sonne, so wie wir an einen Gott, an eine unsichtbare allgegenwärtige, ordnende und heilende Kraft. Die Mut macht, Halt und Hoffnung gibt. Diesen Gedanken, den Ishiguro da aufnimmt, fand ich grandios. Seine künstliche Intelligenz ist kein seelenloses Ding, was seine Idee mindestens so faszinierend wie erschreckend macht.

Und ja, beim Erwachsenwerden, braucht es Unterstützung, denn zum Wachsen, ist mehr von Nöten als Nahrung und Wasser. Es braucht Gefährten, Mentoren und liebevolle Begleitung und alles hat auch seine Zeit. Die Spielzeuge unserer Kindheit verlieren irgendwann an Bedeutung, Freunde bleiben zurück, aber an sie als unsere Wegbegleiter werden wir uns immer erinnern und so macht mich diese Geschichte von Klara am Ende auch etwas traurig, und wie bei einer Ballade von Adele hänge ich dem letzten Ton noch etwas nach …

Last but not least ist diese Hörbuch-Fassung Dank einer großartigen Frau Wokalek so eindringlich geworden, das ich sie sehr gefeiert habe. Ihre Zurückhaltung und besonders die leisen Töne trifft sie so, das es für mich die reine Hör-Wonne gewesen ist:

Johanna Wokalek, geboren am 03. März 1975, in Freiburg im Breisgau, deutsche Theaterschauspielerin, übernahm u.a. auch Rollen in Musikvideos von Depeche Mode und Kameo, spielte die Hauptrolle in Sönke Wortmanns “Die Päpstin”, übernahm in der Zusammenarbeit mit Bernd Eichinger die Rolle der RAF Terroristin Gudrun Enslin. Im Hörbuch bin ich ihr zuletzt in Isabel Bogdans Roman “Laufen” begegnet und auch wegen ihrer Art zu lesen war ich, bin ich, davon nachhaltig beeindruckt. Für Ishiguros vorliegenden Text ist sie eine Idealbesetzung, sie schafft es ihn durch ihre Ruhe und ungeheuere Einfühlsamkeit zu potenzieren. Ihre Stimme kriecht förmlich in mich hinein, hallt in mir nach. Ist kühl und technisch, wenn sie Klara spricht, aber auch warmherzig und ganz leicht pointiert sie die manchmal auch vorlaute Josie. Sie ruft eine stimmlich eine darstellende Bandbreite ab, ohne sich zu verstellen, die mich stehend applaudieren lässt. Gerne bald mehr von Ihnen, liebe Frau Wokalek!

Mein Dank geht an Random House Audio für dieses Rezensionsexemplar.

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