Herbarium – Giftgrün (Gert Ueding)

Die Schönheit des Augenblicks einfrieren. Eine Blüte konservieren, die voll geöffnet ist, ihr Strahlen eingefangen und festhalten. Sie hinter Glas aufbewahren, damit das Licht ihr nichts anhaben kann. Ihre Zerbrechlichkeit schützen.

Lange ist es her, dass ich meine liebsten Wiesenblumen gepresst und als Lesezeichen zwischen den Buchseiten aufbewahrt habe. Vielleicht war es diese nostalgische Erinnerung, ja ganz bestimmt sogar, die mich in diesen Roman gelockt hat. Was hat ein Herbarium mit dem Tod einer Studentin zu tun, dem offenbar keiner auf den Grund gehen will? Giftgrün heißt der Untertitel und er lässt mich vermuten, dass es hier auch um Essenzen geht, die nicht unbedingt gesund sind oder haben wir es hier nur mit einer Metapher zu tun?

Herbarium – Giftgrün von Gert Ueding

Sie hatten auf ihn gewartet. Ihm aufgelauert. Als er aus dem Auto ausstieg, stellten sie ihn. Schlugen ihn, stießen ihn um, dann traten sie nach ihm. Einmal, zweimal, dann hörte er auf zu zählen. Der Maler, Herr Kersting.

Seine Einladung an die Uni, die diesem Angriff heute vorausgegangen war, hatte ihm einen Zettel mit einem kryptischen Hinweis beschert, den noch ungeklärten Tod einer Studentin betreffend. Vielleicht war die Notiz von ihr. Sehr wahrscheinlich sogar. Gab einen Hinweis auf den Täter? Jedenfallss schien jemanden gewaltig zu stören, das er sie jetzt hatte, gehabt hatte, denn nach dem Übergriff war sie weg …

Tags darauf fliegt ein Pflasterstein durch ein unteres Fenster seiner Wohnung. Jetzt wird es aber Zeit. Zeit, tiefer zu graben, statt aufzugeben. Zeit, den “Zettelaushändiger” erneut aufzusuchen. Wer hatte gesehen und gewusst, dass die besagte Notiz zwischen ihnen beiden den Besitzer gewechselt hatte und was war an ihr so besonders? Wen kompromittierte sie?

Entfremdung, ein tödlicher Unfall im Urlaub. Der Freundin oder der Geliebten? Eine junge Frau verfällt dem Schweigen und wird wenig später tot aufgefunden. Keine Gewalteinwirkung sichtbar, kein Gift nachweisbar. Offenbar war einfach ihr Herz stehen geblieben. Aber der Fundort der Leiche wirft Fragen auf. Eine tote Professorin, ihr hat man den Schädel eingeschlagen, in einem Parkhaus. Kurz nach dem Überfall wegen des Zettels.

Zufall oder Zusammenhang? Das Rätselraten übernehmen jetzt die Presse und zahlreiche Freizeit-Spekulanten. Während unser Maler Herr Kersting sich immer mehr als Hobbyermittler verstrickt.

Als ich mich frage, wo bleibt da eigentlich die Polizei? Tritt sie auf den Plan in Gestalt von Kommissar Neunzling, der gegen Kerstings Rumfragerei offenbar nichts einzuwenden hat. Na dann. Als eindimensional und nicht wirklich nachvollziehbar, hatte ich diesen Fall schon abgetan,  dann kommt diese These auf:

Fake-News. Fake-Press. Wie bitte? Das was offenbar im Wissenschaftsbetrieb an Raum gewinnt und von reiner Profitgier getrieben ist, ist mehr als empörend. Wie kann man da bei Veröffentlichungen noch sicher sein? Wem oder was auf seinen Wahrheitsgehalt hin noch vertrauen? Auf diesen Gedankenansatz muste ich mich erst einmal einlassen um dann vor Wut die Faust auszupacken. Millionenschwere Unternehmer beherrschen als Sponsoren die Forschung und die Universitäten. Geben den Ton an bei der Entscheidung in welche Richtung geforscht wird. Insbesondere im Bereich der Medizin und Pharmacie, dann aber auch zunehmend im Bereich der Geisteswissenschaften. Es gründen sich Verlage die alles andere als fundierte Beitrage bringen, lediglich an namhaften, auflagensteigernden Namen sind sie interessiert. Ködern mit Spitzenhonoraren.

Gert Ueding, geboren 1942 in Bunzlau, lebt in der Nähe von Heidelberg. Der Germanist, Essayist und Literaturkritiker, der u. a. für die FAZ und die Welt schreibt, gehört zahlreichen literarischen Jurys an. So ist er Mitglied der Jury zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, sowie der Jury zur Bücherbestenliste des SWR. Von 1988 bis zu seiner Pensionierung 2009, war er der Inhaber des bislang einzigen Lehrstuhls für Rhetorik in Deutschland, an der Uni Tübingen. Bis 2012 war er Gastprofessor an der Universität St. Gallen.

In und um Universitäten kennt er sich also aus und der Schauplatz dieses seines Romans, die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen, scheint mir nicht zufällig gewählt. Wo aber will dieser Autor mit mir hin?

Kennt Ihr das? So gerne wollte ich diese Geschichte mögen, ihre Idee feiern, finde aber nicht hinein. Ich hab mir schwer getan mit diesem Roman, den ich mir als Kriminalfall mit Anspruch ausgesucht und von dem ich so viel erwartet hatte. Pausen habe ich mir gegönnt, ihn zur Seite gelegt, dann einen neuen Anlauf genommen, weil manchmal passen ja einfach nur Zeitpunkt und Buch nicht zusammen.

Der Klappentext versprach mir Witz und Ironie, gehalten hat er das für mich aber nur bedingt. Uedings Humor war nicht der meine, beständig suchte ich die Pointe. Eine leichtere Hand, hätte ich mir gewünscht, stilistisch fühlte er sich für mich seltsam bemüht an. Nichts schien zudem diesen Fall zu treiben, auch Herr Ueding nicht. Es hat mir zuviel Seitwärts- statt Vorwärtsdrifft und eine Prise mehr Spannung hätte gut getan, auch wenn die Opferzahl stetig zunimmt. Dafür gibt es reichlich Jahrmarktstreiben universitärer Eitelkeiten, die umgrenzt sind von Formalismus, Konkurenzdenken und Mißgunst.

Klischees werden reichlich bedient. Das die Studentin, die hier zu Tode gekommen ist, attraktiv und intelligent gewesen ist, hatte ich schon bei der ersten Erwähnung verstanden. Das sich das für die handelnden Personen hier ausschließt auch. Die beständige Wiederholung dieses Tatbestandes strapazierte mein Nervenkostüm und das unser ermittelnder Maler natürlich auch einer gutaussehenden Studentin verfällt, hat mir gerade noch gefehlt.

Apropos gefehlt. Es fehlte mir leider nicht nur an Dynamik im Plot und an sprachlicher Anziehung, ich kam einfach nicht in Beziehung mit Uedings Figuren, die sich für mich insgesamt sehr stereotyp anfühlten. Allen voran seine Hauptfigur Herr Kersting, seines Zeichens Maler und Künstler mit Hang zum Hobbydetektiv. Er sieht gut aus (na klar!) und kommt gut bei den Damen an (Künstler halt), die ein oder andere würde ihm schon gerne auch mal Modell stehen, sitzen oder liegen (genau!). Je nachdem. Er hat gute Verbindungen, zu Presse und Ex-Kommilitonen (was auch sonst), es öffnet sich ihm jede Tür und jeder gibt ihm bereitwillig Auskunft (sowieso), während die Polizei im Dunkeln herumstochert. So ermittelt er halt, weil es erkennbar sonst keiner tut. Na dann. 

Was das jetzt alles mit einem Herbarium zu tun hat frage nicht nur ich mich. Mit der Auflösung wartet der Autor bis zum Schluß und soviel kann ich verraten, ich war mit meiner Annahme ganz schön auf dem Holzweg, was ja eine angenehme Überraschung hätte werden können. Ihr ahnt es, es kommt schon wieder ein aber. Aber, seine Auflösung hat mir auch nicht gefallen. Ich verrate nix. Fand sie aber ungemein beliebig und uninspiriert. Ein guter Krimi braucht da deutlich mehr, an Brisanz, an harten Kanten, an Kontur. Für mich. Schade.

Dieses Buch selbst, hingegen in der Hand zu halten, über seinen Leinenrücken zu streichen, die Farbgebung und herbstliche Anmutung des Einbandes, der ohne Schutzumschlag auskommt, das tut richtiggehend gut und war für mich der Grund, es nicht leichtfertig aus der Hand zu legen. Schöne Bücher kann dieser Verlag und wer so viel Liebe in Buchausstattung steckt, der verdient ihn, den zweiten Blick, und Lesen ist ja immer auch Geschmackssache. In diesem Fall traf er halt leider nicht den meinen, und meine vielleicht auch zu hoch gesteckte Erwartung wurde enttäuscht.

Mein Dank geht an den Kröner Verlag, Edition Klöpfer für dieses Besprechungsexemplar.

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