Glas (Verena Prantl)

Glas ist zumeist klar und durchsichtig. Gasdicht. Geruchs- und geschmacksneutral. Glas besteht aus Quarzsand, Kalk und Soda, die zusammen geschmolzen und wieder abgekühlt werden. Der Begriff “Glas” stammt es aus dem Germanischen, wo “glasa”, das Glänzende oder auch das Schimmernde meinte.

Zu Weihnachten schmücken wir traditionell unsere Tannenbäume mit Glaskugeln. Bestaunen ihre Zartheit. Die Kunstfertigkeit derer, die sie fertigen können. Ihre zerbrechliche Schönheit.

Die Antwort auf die Frage nach dem halbvollen oder halbleeren Glas, kennen wir auch alle, sie trennt im Alltag die Optimisten von den Pessimisten. Verena Prantl stellt mir in ihrem Roman diese Frage auch. Zu welcher Fraktion gehört die Hauptfigur ihrer Geschichte? Eine Geschichte, die maßgeblich von den Innenansichten eben dieser Protagonistin, einem unruhigen, unsteten Ton und von jeder Menge Unsicherheit geprägt ist. Und von einem Erzähltstil, der Eva, so heißt sie, transparent macht. Wie Glas. Wenn der Titel also meint, wir schauen durch Eva hindurch und in sie hinein, dann ist er passend gewählt. Warum ziert dann aber ein zerfressener Apfel das Cover? Mich hat es fraglos angelockt, ich finde es sehr cool. Will es mir sagen in Evas Leben ist der Wurm drin? Let’s see …

Glas von Verena Prantl 

Mirjam hat alles. Wie es scheint. Selbstbewußtsein. Schönheit. Erfolg. Eva, Anfang zwanzig, hat nichts. Von alldem. Als wäre das nicht genug, fühlt sie sich verfolgt. Bedroht. Daran kann auch er nichts ändern. Aaron. Den sie mag. Der versucht, sie zu beschützen. Ihr zu vermitteln, dass sie einen Wert hat. Auch wenn andere anderes behaupten. Wer ist diese Eva?

Ein Angriff. Ein Messer. Es stößt auf Widerstand. Dringt dann tief ein. In einen Brustkorb. Blut. An ihren Händen. Ihr eigenes. Seins. Wohin jetzt? Weg. Abstand. Vergessen. Aufatmen. Dürfen. Endlich. Oder Sterben. Vielleicht auch das.

Das Spiel mit der Wahrheit ist hier ein Tanz auf dem Seil. Tastend und vorsichtig sind wir unterwegs. Immer nah am Abgrund. Ein Wort zuviel kann den Absturz bedeuten. Ein Wort zuwenig auch. Eva sucht. Nach sich. Danach wie das geht, selbstbestimmt zu sein. Sucht nach ein bisschen Glück.

Verena Prantl, geboren 1996 in Hall Tirol, lebt in Wien. <Glas> ist ihr in diesem Jahr im Septime Verlag erschiener Debütroman. Ich durfte Verena auf der Frankfurter Buchmesse am Stand ihres Verlages kennenlernen und in ihren Roman hinlesen. Der ungeheuerlich startet. Stark. Mit einem Angriff auf eine junge Frau, die sich zur Wehr setzt. Mit aller Konsequenz. Das muss ich lesen! War mein erster Impuls und so zückte ich mein Portemonnaie und <Glas> ist, inklusive Signatur mit mir mit gekommen.

Ein Besuch bei einer Freundin. Ein Kirmesbesuch. Alkohol. Zuviel davon. Ein Übergriff. Ein geliehenes Auto. Ein Baum im Weg. Ein Unfall.

Mirjam und Eva. Beide Frauen kümmern sich umeinander. Wobei, eigentlich ist es Mirjam die eher für Eva da ist. Beide teilen die gleiche Furcht. Können keine Nähe zu einem Partner zulassen, die könnte ja Abhängigkeit bedeuten, sie am Ende verletzlich machen. Beziehungen bedeuten auch Arbeit und eine Partnerschaft auf Augenhöhe ohne eigenen Investanteil, wird nicht funktionieren. Sehe ich auch so, Eva und Mirjam ziehen da aber lieber die Reissleine und schießen ihre Lover auf den Mond. Vorzeitig.

Eine von außen auf die Geschichte gerichtete Erzählstimme wendet sich immer wieder an uns Leser:innen. Wer sich hinter dieser Stimme bleibt für mich offen, ist es Eva selbst? Deren Persönlichkeit eine Gespaltene ist? Was von ihrem Erleben geschieht wirklich? Fügt sie sich die Wunden, die sie davon trägt etwa selbst zu? Wer ist ihr Verfolger, ihr Peiniger? Der, der ihre Angst schürt? Den sie Eden nennt.

Diese Perspektivwechsel irritieren. Das Blatt dreht und wendet sich. Geradeaus erzählen ist nichts für Verena Prantl und darauf muss man sich einlassen. Auch auf die Nabelschau dieser jungen Frau. Die sie für uns ausleuchtet.

Ihre Geschichte ist ein Katz und Maus Spiel. Sie spielt mit unserer Wahrnehmung. Sprachlich eher kühl und präzise, blumig ist was für die anderen. Wörtliche Rede wird nicht durch Satzzeichen hervorgehoben, so verschmelzen bei Prantl Text und Gedanken. Nichts liegt hier auf der Hand, vieles birgt Rätsel. Dies ist kein Wohlfühlbuch, sondern eines das zum Nachdenken anstiftet.

Darüber wieviel Fremdbestimmung gesund und wieviel Selbstbestimmung notwendig ist, um sich in der Welt zu behaupten. Wo Selbstfürsorge nottut und wo der Wunsch anderen zu gefallen enden muss.

Andere mögen sich beim Lesen andere Fragen stellen. Sehen in Eva eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und in ihren Beziehungen toxische. Für mich ist sie diejenige, die im vorauseilenden Gehorsam lieber andere verlässt, bevor ihr da jemand zuvor kommt. <Glas> lässt unterschiedliche Lesarten zu. Wer Geschichten mag, die nicht alles zu Ende erzählen, die Spieleräume lassen für eigene Gedanken, dem wird diese hier gefallen. Wer gerne Ecken und Kanten hat, wer mit Nabelschau und Sinnsuche umgehen kann, Geschichten mit sprunghaften Wechseln im Plot, wer sich mit den Fragen, die man sich am Beginn eines Lebensweges stellt identifizieren kann, der ist hier auch richtig. Ehrlich gesagt habe ich mir mit soviel Selbstoptimierungsbestrebungen schwer getan und mir sind Fragen geblieben, die ich nicht auflösen konnte. Warum stammen alle der für Prantls Personen gewählte Namen aus der Bibel? Habe ich da an einem tieferen Sinn vorbei gelesen? 

In der Kürze liegt bekanntlich die Würze. <Glas> umfasst 216 Seiten. Für mich braucht es aber immer auch die Zeit, die paar Seiten mehr, die gut tun, um Figuren einzuführen. Einen inneren Punktabzug nehme ich daher vor, weil ich es grundsätzlich gerne mag, wenn ich mitten in eine Geschichte hineingeworfen werde und weil ich ein Fan von Unvorhersehbarkeit bin, bei Verena Prantl ist das so. Ihr Personal blieb mir dadurch allerdings fremder als ich es bei einer Geschichte brauche um zu sagen: Das war ein Volltreffer.

Am Ende angekommen, im Stillen habe ich wohl die ganze Zeit über gewartet, wie sich das zum Schluß ausgehen wird, ist mein Jubel aber verhalten. Der letzte Kick fehlt mir, der letzte Klick will nicht einrasten. Schade. Aber es ist, wie es ist.

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