Zauber der Stille (Florian Illies)

Der Wanderer über dem Nebelmeer. Kreidefelsen auf Rügen. Das Eismeer. Mondaufgang am Meer. Die Lebensstufen. Frau am Fenster. Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung. Selbst wer meint diesen Maler nicht bewusst zu kennen, hat mindestens eines seiner Bilder mit hoher Wahrscheinlichkeit schon gesehen. Vielleicht nicht leibhaftig und bewußt im Museum in Dresden, Berlin, Kopenhagen oder Hamburg, wo sein Hauptwerk heute verwahrt wird, sondern als Kunstdruck, Buchcover o.ä. So wenig man ihn zu seinen Lebzeiten anerkannte, am Ende war er verarmt, so groß ist heute die Bewunderung für seine Bilder. Wer ist dieser Mann, der hinter den Landschaftsmotiven seiner häufig dunklen Bildern steckt und die Deutsche Romantik so geprägt hat? Sein Name? Caspar David Friedrich, geboren 1774 in Greifswald, verstorben und beerdigt 1840 in Dresden, würde 2024 seinen 250. Geburtstag feiern. Der Autor Florian Illies feiert ihn schon einmal vor und versucht eine Annäherung. Sehr gerne schließe ich mich an, und stelle zunächst ein paar Eindrücke seines Schaffens in Form zweier Collagen vor:

Zauber der Stille von Florian Illies – Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten

Gleich zu Beginn dieser Zeitenreise setzen wir 1818 in der Nähe von Stralsund Segel, starten mit Caspar David Friedrich in die Flitterwochen und landen damit inmitten in seiner Geschichte. Auf einem Großsegler betrachten wir die Welt durch seine Maleraugen. Bewundern das Licht seines geliebten Nordens und die Transparenz des Windes. Die er nur zu gerne genauso auf Leinwand bannen möchte.

München, 1931. Der Glaspalast brennt! Mit ihm gehen auch neun Gemälde von Caspar David Friedrich in Flammen auf. Eugen Roth, der einmal zu den meistgelesenen deutschen Lyrikern zählen wird und Fan des Malers ist, ringt um Fassung und berichtet trotzdem oder deswegen in seiner Eigenschaft als Zeitungsreporter so bewegend über dieses dramatische Ereignis. 

Neben Roth werden auch Thomas Mann und Adolf Hitler an diesem Morgen vom Lärm der Feuerwehrsirenen geweckt. 110 Gemälde einer Sonderausstellung der deutschen Romantik fallen den Flammen zum Opfer und sind unwiederbringlich verloren. Ein unfassbarer Schaden, auch eingedenk der Tatsache, dass man auf eine Feuerversicherung verzichtet hatte. Weil Glaspalast halt, Glas und Metall konnten ja nicht brennen …

Das Elternhaus von Friedrich brennt. Walt Disney lässt sein Bambi vor einem Feuer fliehen, Bücher brennen, auch das mit dem Bambi, denn sein Autor ist jüdischer Abstammung.

1815 verdunkelt ein Vulkan den Himmel und Europa kühlt so ab, dass es im Dauerregen versinkt und Missernten und Hungersnöte zu ertragen hat. Welch Hohn, dass der Himmel in diesem Jahr vielerorts so intensiv leuchtete, dass dieses Phänomen bis heute die Werke bedeutender Maler, Caspar Davids inklusive, in all seiner Farbigkeit bezeugen.

In den Bildern von Caspar David Friedrich steht die Luft selbst wenn die Wolken sich in einem nächtlichen Himmel über dem Meer Türmen, so scheint er den einen stillen und angespannten Moment eingefangen zu haben, bevor etwas passiert. Die Natur hält kurz inne wenn Friedrich sie sieht. Sie hält den Atem an für ihn.

Textzitat Florian Illies Der Zauber der Stille

Florian Illies, geboren 1974, studierte Kunstgeschichte in Bonn und Oxford. Der ehemalige Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, erschafft mit <Zauber der Stille> einen historischen Künstlerroman und lässt Caspar David Friedrich vor unseren Augen, oder wer das ungekürzte Hörbuch (grandios gelesen von Stephan Schad) lieber mag, vor unseren Ohren auferstehen. Man meint den Maler leibhaftig vor sich zu haben, so lebendig und liebenswert wird erzählt. Man hüpft hin und her und kreuz und quer durch die Jahrhunderte, was eine wahre Freude ist und mir eine helle Freude war. Mit einem leichten Augenzwinkern schaut Illies warmherzig auf die Marotten des großen Künstlers, nimmt sie auf’s Korn.

Auf einen Mann, der als verschroben und eigenwillig galt, der allen Aufforderungen seiner Malerkollegen, doch einmal gen Italien zu reisen, denn nur wer dieses Licht gesehen habe könne wahrhaft malen, widerstand und in Dresden wohnhaft blieb. An der Elbe, dort weiter seinen Norden und seine geliebte Ostsee malte. Der ein Fan langer Abendspaziergänge blieb, für den es wie Gottesdienst war, die Luft zu malen, den Himmel zu fassen. Was er in seinem mit Brettern vernagelten Atelier tat. Fenster brauchte und wollte er nicht, weil er das, was er malte nur mit seinem inneren Auge sehen wollte. Der passionierte Kanarienvogelzüchter, der er auch war. Für einen Brief brauchte er gut und gerne schon einmal mehrere Tage, weil das Schreiben für ihn so war, wie durch einen Sumpf zu waten.

Wir lernen einen Künstler kennen, der vielfach den Mond in seinen Bildern porträtierte und die Nacht. Der einmal damit angefangen, Menschen auf seinen Bildern ausschließlich von hinten zu zeichnen, nicht mehr damit aufhörte. Ein Mann, der romantisch malte und in der Liebe sachlich war, der sich pragmatisch für die Schwester seines Bleistiftverkäufers entschied, die ihm dann quasi wider Erwarten zur Gefährtin wurde und mit der er drei Kinder hatte.

Ein Maler, der Felsen, Berge, Gebäude und Bäume verlegte, sie neu arrangierte und bis heute macht es anderen Freude die Schauplätze seiner Bilder in der Natur zu suchen und zu finden. Den Felsen etwa, auf dem sein Wanderer über dem Nebelmeer steht. Sein heute vielleicht berühmtestes Gemälde, das übrigens mehr als neunzig Jahre in privater Hand verborgen und seinem Werk nicht zugerechnet worden war.

Immer wieder hatte es Brände im Laufe der Zeit, die sein Werk dezimierten. Ganz banal glomm es, nachdem im Taschenbergpalais eine brennende Kerze von einem Weihnachtsbaum auf den Teppich fiel und auch der Zweite Weltkrieg warf mit Bomben und Feuer nach diesem Mann vieler Bilder.

Nach einem Künstler, der unseren Augen mit seinen Motiven Ruhe und Zuflucht ermöglicht. Bis heute. Ein Mann, der an seinem hundertsten Todestag 1940 von den Nationalsozialisten zum nordischen Helden und Fackelträger hochstilisiert wurde.

Florian Illies findet unfassbar schöne und treffende Worte für die Gedanken und die Sehnsüchte dieses Malers, der nach einem Studium in Kopenhagen erst Mut fassen musste, um von der Bleistiftskizze zur Ölfarbe überzugehen, um seiner Sehnsucht, dem Zauber, den er in der Stille fand Ausdruck verleihen zu können.

Eine rätselhafte Melancholie steckt in seinen Bildern, eine die Goethe seinerzeit rasend gemacht haben soll, die Samuel Beckett zu “Warten auf Godot” inspirierte, Walt Disney zu Bambi und unglaublich: Friedrich Wilhelm Murnau zu Nosferatu! Da ich mir in solchen Filmen beständig die Augen zuhalten muss, war mir das nicht aufgefallen!

Diese vielen Details sind es, die Florian Illies Zeitreise so verblüffend und so unterhaltsam machen. Mir gefiel das ganz außerordentlich und ich plante im Geiste sofort einen Museumsbesuch, um nach Friedrichs Bildern Ausschau zu halten.

Nach Landschaft und immer wieder Landschaft. So wie er. Friedrich atmete Natur ein und Kunst aus, schreibt Illies und deckt auf: Caspar David arrangierte seine Erinnerungen, bediente sich dafür aus seinen Skizzenbüchern, die er auf langen Spaziergängen angelegt hatte und niemand fasste sein Wirken, das was er in seine Bilder steckte, so in Worte wie Rainer Maria Rilke.

Wie konnte man da Friedrich nach seinem Ableben vergessen? Illies schreibt die deutsche Romantik sei halt rasch muffig geworden. Vielleicht war das der Grund, vielleicht aber auch Friedrichs stille Rebellion Landschaft eben nicht einfach nur abzupausen und den Menschen auch eher etwas ungelenk in sie hineinzustellen. Das mochte man seinerzeit nicht. Also die Promis, auf die man so hörte, solche wie Johann Wolfgang. Der von Goethe.

Wie sehr Friedrich genau ihm aber gefallen wollte, also seine Bilder, sollte er doch bitte mögen. Er “stalkte” ihn regelrecht und erzürnte den guten Goethe so sehr, dass der seine Bilder am liebsten an der Tischkante zerschlagen hätte, was verbrieft ist und vielleicht hat er genau das mit einem Bild auch getan, weiß Illies zu berichten. Ich bin ganz Ohr bei all diesen Anekdoten die Florian Illies um Friedrich, dessen Schaffen und durch die Zeit aufgesammelt hat. Was für ein ausuferndes Vergnügen das ist, müsst ihr unbedingt selbst erleben! Seitenweise könnte man davon erzählen, soviel wurde reingepackt.

So viel Sehnsucht, dieses Leuchten, dieser Zauber, der der Stille, der sich beim Betrachten von Friedrichs Bildern auch über unsere Augen legt. Schöner als Illies hätte man das nicht auf den Punkt bringen können!

Die Leichtigkeit ist es, mit der er erzählt und die wie die Luft in Friedrichs Bildern ein zart flirrendes Bild dieses besonderen Künstler mit Worten zeichnet ist ganz und gar famos und großartig! Lasst Euch also entführen und betrachtet Friedrichs Bilder danach mit anderen Augen! In jedem Fall, für alle Fälle, wünsche ich eine spannende Reise! Für mich ist Zauber der Stille, nach Verlassene Orte von Cal Flyn ein Highlight meines Lesejahres, dass ich als ungemein bereichernd empfunden habe! Merci dafür, Florian Illies!

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