Die Zeit der Gaben (Patrick Leigh Fermor)

So einige Reisen habe ich zuletzt in Gedanken unternommen. Habe blühende Landschaften bewundert, war im Winter im Himalaya auf der Spur von Schneeleoparden, habe dort gelernt mich zu gedulden, bin in den Untergrund hinabgestiegen, habe mit angespannten Nerven in der Lichtlosigkeit ausgeharrt. Jetzt also gehe ich zu Fuß von London, will nach Konstantinopel und die Langsamkeit schenkt mir Eindrücke, die mir bei rasender Fahrt entgangen wären …

Die Zeit der Gaben von Patrick Leigh Fermor

Zu Fuß nach Konstantinopel: Von Hoek van Holland an die mittlere Donau, der Reise erster Teil

Es geht um den Sohn eines Vaters, der seinen Vater, Geograph für die Royal Society in Indien war, im Grunde nicht kannte. Der es mit der Mathematik überhaupt gar nicht hatte, viel lieber waren ihm Geschichten. Rund um die Uhr gebar er Verse wie am Fließband, in lebenden und toten Sprachen. Mit knapp sechzehn Jahren, kam es für ihn ganz Dicke. Lehrer und Mitschüler hielten den Eigenbrötler und Exentriker nicht mehr aus. Es hagelte Strafen gemäß britischer Strenge, eine Verhaltensänderung jedoch war nicht wirklich wahrnehmbar, und noch bevor er den Abschluss nicht schaffen konnte, erhielt er einen Schulverweis. Wegen Händchenhaltens. In Flagranti erwischt. Mit einem Empfehlungsschreiben für Sandhurst, die Kadettenanstalt, lobten sie ihn weg.

Als Kadett im Wartestatus paukte er für die bevorstehende Aufnahmeprüfung, der Vater finanzierte einen Hauslehrer. Durch ihn geriet er in die Gesellschaft von Schriftstellern und eine Idee, so verwegen wie faszinierend, reifte zu einem Plan. Warum nicht selbst eine Laufbahn in der schreibenden Zunft einschlagen? Wie wäre es mit Europa, einer Wanderung über diesen Kontinent, er wollte etwas erleben worüber man schreiben konnte, und plötzlich war ein Aufbruch mit Stock, Hut und Bündel ganz und gar zwangsläufig. Einen Pass brauchte es noch und bei Beruf stand da frech “Student”, was sich in der Folge als echter Türöffner erweisen sollte. Kostenfreie Übernachtungen in Gefängniszellen, Kaffee und Brot inklusive, machten der Eintrag ihm möglich.

Auf seiner ersten Etappe ist es noch Winter. Der Wind pfiff durch jede seiner Kleiderfalten, Schlittschuhläufer drehten Pirouetten, schreckliche Ohrschützer täten drücken, würde “Mann” sie denn tragen, Windmühlen verzauberten eine flache Landschaft. In Holland. Unser Held trägt Manchester-Hosen und ich schmunzle, denk’ an meinen Opa Wilhelm, der seine immer “Chestermanns” nannte. Er trug sie auch, Sommer wie Winter, denn was gut war gegen die Hitze, war nämlich auch gut gegen die Kälte …

Die Niederlande verlässt unser Wanderer mit Liebe im Herzen für ihr Licht, das schon so viele Maler angezogen hatte. Vater Rhein führt ihn nach Deutschland, wo ihn in Westfalen wehende Hakenkreuzfahnen und Dunkelheit empfangen. Das Straßenbild hier bestimmen nicht Licht, sondern Stiefel und Uniformen. Aber trotz den Hymnen des Hasses,  die man hier singt, empfängt man ihn in den Wirtshäusern mit einer Gastfreundlichkeit, die man allgemein und traditionell denen entgegenbringt die auf der Walz sind.

Fünf Tage vor Weihnachten 1933 erreicht Fermor den Kölner Dom, kehrt zum Jahreswechsel 1934 im Gasthaus zum Roten Ochsen ein und ich lerne mit ihm die gastliche Familie Spengel kennen, die die im Land herrschende, vergiftete Stimmung Lügen straft. In fünf Wochen würde unser Student 19 Jahre alt werden. Zwei Fräuleins gabeln ihn auf und man tanzt zu “A Sentimental Journey” …

Sir Patrick Leigh Fermor, *11. Februar 1915 in London, † 10. Juni 2011 in Worcestershire, war britischer Schriftsteller und Agent einer Sondereinsatzgruppe, die 1940 unter Winston Churchill und dem Decknamen Special Operations Executive, oder auch The Baker Street Irregulars gegründet wurde. Churchill wollte mit ihnen “Europa in Brand stecken”, durch geheime nicht direkt militärische Aktionen gezielt hinter den feindlichen Linien sabotieren, und die Versorgung von Widerstandsgruppen in den von Deutschen besetzten Ländern organisieren. So landete Major Fermor im Untergrund, auf Kreta, wo er zur Schlüsselfigur bei der Entführung Heinrich Kreipes, einem deutschen Generalmajor und Befehlshaber wurde. Was ihm den Ehrenbürger von Iraklio, zwei Orden und eine Verfilmung dieser Tat unter dem Titel “I’ll Met by Moonlight” eintrug. Nach dem Krieg zog es Fermor in die Karibik,  wo er seinen einzigen Roman schrieb,  der 1953 erschien, “Die Violinen von Saint- Jacques“. Mit seiner Frau Joan Mansell, die Fotografin war, ließ er sich auf den Peleponnes nieder. 2004 erhob man ihn in den britischen Adelsstand und er gehört als einer der großen Stilisten der englischen Sprache zu den zehn „Companions of Literature“, die die Royal Society auf Lebenszeit ernennt (Quelle Wikipedia).

Auf dieser seiner Wanderung klärte sich für ihn nicht nur räumlich für wo er hin wollte, sondern auch wo er stand im Leben, welchen Weg er beruflich wählen wollte, welcher Seite er politisch zugetan war. Er stellte sich Fragen, auf die es eine Antwort brauchte, bevor er auf seinem Lebensweg abbog. Dies war sein Jakobsweg. Auf diesen ersten rund 750 Meilen, war er 62 Tage lang unterwegs. Begegnete Schmugglern in spe, verdingte sich als Zeichner, war im Karneval in Gesellschaft von Wiener Bohemians, gewann und verlor Freunde und Einsichten, ließ mich an ihnen teilhaben. 

Im Herzen des Sturms muss man sein um zu verstehen. Dort Einkehren, wo Pläne geschmiedet und Ideale verteidigt werden. Lag ein Museum auf dem Weg, so wollte es besucht werden. Die Winterwunderwelten von Pieter Bruegel oder meisterliches von Kranach, Dürer und Rembrandt locken ihn und mich ins Warme. Unser Studiosus gibt sich bewandert, beschlagen was Kunst und Literatur anbelangt und beschreibt uns ganz wunderbar. Wärmender Himbeergeist beflügelt dabei seine Unternehmungen kurz vor Linz und ich schmunzele. Wenn das mal kein Kater wird!

Entlang der Donau kommt er vom Hölzchen auf’s Stöckchen und ich erfahre von über sechs Meter langen Fischen, von Herrscherfamilien und in Klöstern verborgenen Schätzen. 

Diese Neugier auf die Welt, die Aufgeschlossenheit allen gegenüber, denen er begegnet hat mir sehr gefallen. Genauso wie seine ruhige und doch auch überaus präzise Erzählweise. En détail gibt er seine Empfindungen und Beobachtungen in dieser Niederschrift wieder, was mich verblüfft eingedenk der Tatsache, das er sie erst viele Jahre nach seinen Wanderungen aufgeschrieben hat. Der erste Teil seines Reisetagebuches “Zeit der Gaben” erschien 1977 und der zweite “Zwischen Wäldern und Wasser” 1986. Alles schrieb er mit der Hand, erst mit über neunzig Jahren setzte er sich erstmals an die Schreibmaschine um einen dritten Teil seiner Reiseerlebnisse zu beginnen.

Es muss ein reines Vergnügen sein, seine Schriften im Original zu lesen. Damit wir sie im Deutschen genießen können hat Manfred Allié den Text für uns übersetzt. Er findet einen klaren Ton und lässt so diesen besonderen Reisebericht hell strahlen.

Sprachlich hat mich Fermor schwer begeistert, sein Schwelgen ist höchst ansteckend, so geschliffen, so fulminant und auch so herrlich unangestrengt, es lässt Bilder entstehen in die man sich ganz und gar ergibt. Allein wie er den Verlauf gotischer Bögen in einem Gewölbe beschreibt, hat mich ganz und gar verzaubert.

“Wanderful” titelte Der Stern und ich will auf jeden Fall noch weiter wandern, will ankommen mit ihm, auch weil dieser Schluss noch nicht das Ende ist, und da es Teil zwei nicht als Hörbuch gibt, ich aber unbedingt in Konstantinopel ankommen will, werde ich wohl lesen müssen.

Was ich tatsächlich, das obwohl ich gerne lese, in diesem konkreten Fall bedaure. Vielleicht, lassen sich ja der Verlag und Thomas Sarbacher überreden auch den Folgeband noch zu vertonen? So großartig, so kurzweilig, ist dieser erste Teil im Hörbuch, unter der Regie von Franz Wassmer geworden. Deshalb möchte ich dieses ganz besondere Hörstück hoch und ans Licht halten. Meinem wund geschlagenen Reiseherz, dass sich mit dem zu Hause bleiben doch so langsam schwer tut, hat es so gut getan. Es hat mir ein Europa gezeigt, dass man nur kurze Zeit nach dieser Wanderung in Trümmer gelegt hat und das danach nie mehr das Gleiche war. Ein kostbares Zeitdokument ist es, eines das in so viele schöne Sätze gefasst ist, ohne dabei seine Klarheit oder Verständlichkeit zu verlieren.

Thomas Sarbacher, geboren am 25. Januar 1961 in Hamburg, deutscher Schauspieler, lebt mit seiner Familie in Zürich und ist im Hörbuch eher selten anzutreffen was eine echte Schande ist, liest es uns vor. Er war mir 797 Minuten lang (ungekürzt) ein perfekter Reisebegleiter. Mit kundigem Ton führte er mich durch die Landschaft. Mit ihm bestaunte ich was der Wegesrand uns bot, kehrte in schmucken Kirchlein ein und freute mich auf das Meer. Träumte in der Kälte von orientalischen Düften, Klängen und exotischen Speisen. Der Weg ist das Ziel, getreu diesem Motto ist diese Geschichte unterwegs und Sarbacher hat die Ruhe, genau das auch zu betonen. Ich fühlte mich wohl bei ihm. Überaus wohl!

Mein Dank geht an den Verlag HörKultur für dieses Besprechungsexemplar. Der, wie auch schon mit “Die Surrealistin” erneut ein ganz besonderes Stück Literatur vertont hat.

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