Der Retter (Mathijs Deen)

Was habe ich mich auf dieses Wiederlesen gefreut! Darauf, zurückzukehren an die Küste, ins Watt, aufs offene Meer. Wind in den Haaren, den Geschmack von Salz im Mund. Ihn dort treffen. Auf einen Tee. Liewe Cupido, den Holländer, wie ihn alle in den Geschichten von Mathijs Deen nennen. Wortkarg, aber weit entfernt von gefühlskalt, ist er mir gleich mit Band eins seiner mittlerweile dreibändigen Reihe, der so heißt wie er, Der Holländer, so ans Herz gewachsen, dass ich nach Band zwei und seinen Tauchabenteuern unbedingt in Band drei nachschauen musste, wie es ihm geht, und es geht ihm nicht gut. Mehr denn je vielleicht hat er mit seinen Dämonen zu kämpfen.

Der dritte Fall heißt jetzt also Der Retter, ist seit heute erhältlich, und wer den Mare Verlag kennt und mag so wie ich (vielen lieben Dank für das Besprechungsexemplar!), der weiß, auf diesen Büchern steht nicht nur Mare drauf, sondern es steckt auch immer Meer drin. Mehr von mir zu den Vorgänger-Titeln erfährt wer mag nach einem Klick auf die eingefügten Cover:

Wo Meer drin steckt, gibt es immer auch Horizonte und das ist bei Mathijs Deen ganz besonders so. Sofort nach dem Einstieg holte mich sein Erzählen auch diesmal wieder ab. Leicht herb und schon im Prolog baut sich eine Szenerie vor mir auf, die ich förmlich betreten kann. So mag ich das. Sein Holländer verliert nicht viele Worte und wenn, dann sitzen sie. Deen lässt ihn einfach agieren, denn es gibt auch diesmal wieder jede Menge zu klären, ganz klassische und auch forensiche Ermittlungsarbeit:

Der Retter von Mathijs Deen

Prolog 1995. Sturm, Grundsee in der Emsmündung und Funkstille.

Michael Waagmann ist der Vormann, er und sein Team des alten Seenotkreuzers Otto Schülke, der kurz vor seiner Ausserdienststellung steht, laufen in einer stürmischen Märznacht zu einem Einsatz aus. Einem großen deutschen Seeschlepper, der Pollux, hat ein Sturm ein Schwimmdock das er schleppte, inklusive dreier Männer darauf, vom Haken gerissen und es war soeben in der aufgewühlten See mit ihm kollidiert. Es war bereits der zweite Notruf der Pollux in dieser Nacht, die Männer der Otto Schülke machten sich als zweites Rettungsteam auf den Weg und angesichts der sich auftürmenden Wellen auf alles gefasst, denn der Schlepper drohte laut letztem Funkspruch leckgeschlagen zu sinken …

Ferien in Nordthumberland, auf dem Kalender steht das Jahr 2016. Ein Spaziergang an der Küste. Ein Spiel im Sand fördert ein halb erhaltenes männliches Skelett zutage. Es trägt noch eine Rettungsweste mit Aufdruck. Lesen kann man noch deutlich: Pollux und die Forensik stellt fest: In einer Schulter stecken die Reste eines Projektils …

Mathijs Deen, geboren 1962 in Hengelo, niederländischer Journalist und Autor gehört zu meinen liebsten Schriftstellern. Nicht nur im Genre Krimi, denn da kommt er gar nicht her, sondern aus dem Genre Roman. Seinen Schiffskoch fand ich ganz und gar wunderbar. Seine leichte Lakonie, die Melancholie in Kombination mit der nordischen Klarheit seiner Texte und seine Figurenzeichnung mag ich schlicht sehr. Mit viel Empathie und einer sehr genauen Beobachtungsgabe begleitet er sein Personal, leuchtet in ihre dunkelsten Ecken und erreicht damit, dass ich meine sie gleich auf der Straße treffen zu können. Nicht allen will ich begegnen, ihm aber schon: Liewe Cupido.

Diesmal soll er einen neuen Kollegen und Partner bekommen, sein Chef will es so. Der Einzelgänger Liewe will es nicht. Es bewirbt sich Xander Rimbach, Winzersohn aus BaWü, der will unbedingt mit ihm arbeiten. Weil Gegensätze ergänzen sich doch perfekt, findet der. 

Eine die dem Holländer hingegen sehr ähnlich ist, ist die Niederländerin Geeske Dobbenga, die ihr Chef kurz vor der Pension zum Postenkommandeur in Delfzijl-Eemshaven befördert und mit einer heiklen Angelegenheit betraut. Ein Kollege, der suspendiert war, kommt zurück und soll die Auflösung ihres Postens übernehmen, der wird geschlossen und sie hat die Aufsicht. Diskret und im Hintergrund als Bindeglied und Informatin für ihren Chef. Damit sie nicht auffällt und etwas zu tun hat, übergibt er ihr einen Coldcase. Es geht um einen Skelettfund an der Küste Nordthumberlands. Über diesen Fall hat sie wieder Kontakt zu Cupido, beide sind sich in Band eins bereits begegnet.

Eine Bischofskonferenz am Comer See. Als Gast eingeladen, Michael Waagmann, ehemaliger Seenotretter. Eine Vergiftung, ein zerschlagener Spiegel, eine DNA Probe, viel Kummer, viel Vergangenheit, reichlich alte Geschichten. Diese hier hat einiges zu bieten. Untiefen, Strudel, Schuld und Scham.

Retter sind da für die Lebenden, nicht für die Toten. Ein Denkmal wird abgewählt. Dann doch gebaut. Die Helden von damals sind die Verlorenen von heute. Ermittlungen sind Sisyphusarbeit. Besonders dann, wenn die, die Schuld haben, mit aller Macht ihr Tun und Handeln zu verbergen suchen. Hier gibt es einiges zu klären und mehr Fragen, mehr Schweigen, als Antworten.

Was Leben retten mit denen macht, die es schaffen und was es eben auch macht, wenn es fehlschlägt. Dem kommt man hier ganz nah. Einfühlsam kenne ich schon von Mathijs Deen in Der Retter stellt er diese seine Qualität einmal mehr unter Beweis, derweil seine Helden nach Beweisen suchen.

Perfekt übersetzt hat für Deen und Mare auch diesmal Andreas Ecke. Für den 2016 mit dem Europäischen Übersetzerpreis ausgezeichneten Ecke gehören nicht nur nautische Fachbegriffe zum Grundvokabular, ihm verdanken wir auch diesen einmaligen Erzählton der Deen-Krimis im Deutschen und schon die Titel bringen die Handlung jeweils auf den Punkt.

Apropos nautische Fachbegriffe, als Landei musste ich erst einmal googeln was “Grundsee” bedeutet und lerne, dass man damit Wellen meint, die bei starkem Seegang in relativ flachen Küstengewässern steiler und höher werden. Das liebe ich ja, wenn mich eine Geschichte tiefer führt und ich Wissen sammeln kann, das ich mir selbst nie gesucht hätte. Auch deshalb lese ich und das gerne. Deen macht das meisterhaft, Splitter einstreuen, wegen derer ich mich gedanklich verzweige, aber kommen wir zurück zu seiner Geschichte:

Die Besatzung mit der Liewes Vater an dessen Todestag unterwegs gewesen war mauert auch. Heute immer noch. “Retter reden gern, sagen aber nix“. Andere verbleiben mit einer Andeutung. So auch Liewes ehemaliger Französischlehrer. Der wird in diesem Band beerdigt, warum wirft ausgerechnet das unseren Holländer so aus der Bahn? Oder ist da noch mehr? Ich eile vorwärts.

Mathijs Deen knüpft an dieser Stelle an Band zwei an. Im Vorgängerband wurden wir als Leser:innen erstmals mit jener Textpassage konfrontiert, die der Literatur entnommen und nur um ein Wort durch den Lehrer verändert worden war. Liewe sollte kurz nach dem Tod seines Vaters, diese Sätze aus dem Französischen als Hausarbeit übersetzen. Wie sehr es diese Wortspielerei tatsächlich in sich hat, geht ihm erst Jahrzehnte danach auf …

Krimis zu rezensieren ist für mich immer besonders schwierig. Permanent muss ich mir die Tasten verbieten um nicht zu viel zu verraten. Zum Glück ist das bei Mathijs Deen auch leichter, weil er gerne bei seinen Figuren verweilt. Beziehungen auslotet und Grenzen. Nebenhandlungsstränge öffnet, die ausgebaut gut auch für sich alleine stehen könnten. Schaut auf Belastbarkeit und auch auf die Verletzlichkeit seiner Helden. Er schiebt die leisen Töne nach vorne und lässt das Geschrei und die Action einfach mal beiseite. Was einfach nur Klasse ist und Fälle zaubert, die so auch passiert sein könnten.

Meuterei, Aberglaube und Seemannsgarn. Eine nächtliche Totenwache.

Wem vertrauen, wenn so viele schweigen? Keinen einzigen Satz wollte ich überlesen, denn in jedem der folgt, kann ein entscheidender Hinweis stecken.

Sich selbst zu vergeben ist wohl am Schwersten. Darum geht es hier auch und um Schuld, um Verlorenheit. Wahrheiten schwinden. Gewissheit entsteht. Ein Nachwort und ein wahrhaftiges Verhörduell, Gemeinheiten inklusive, klären auf. Es gibt einen Kern der Geschichte, der auf wahren Begebenheiten beruht. Ich beginne zu verstehen. Auch wie Worte verletzen können.  Mehr als jeder Faustschlag und diese Wunden, vielleicht im Streit geschlagen, verheilen selten ganz.

Er ermittelt für die Ertrunkenen, damit sie nicht allein sind. In der Dunkelheit unter Wasser. Sagt Liewe und ich schlucke.

Allen, die nicht gerne Krimis lesen, empfehle ich genau wegen dieser Zwischentöne die von Mathijs Deen, denn sie auf ihren jeweiligen Ermittlungsfall zu reduzieren, wäre viel zu kurz gesprungen. Ja, man kann die drei Bände auch unabhängig voneinander lesen, sollte man aber nicht, wenn ihr mich fragt. Denn ihr würdet verpassen, wie sich die Hauptfigur entwickelt und das wäre ein Jammer.

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