Dr. Siri und der explodierende Drache (Colin Cotterill)

Es war Zeit für mich. Zeit aufzubrechen. Kultautor Colin Cotterill holte mich wieder nach Hause, obwohl ich noch nie in Laos und in Vientiane gewesen bin. Trotzdem scheint es mir, als kenne ich hier jede Palme und wenn das Moped von Inspektor Phosy eilig ums Eck kommt weiß ich, da brennt der Busch und das ruft immer auch ihn auf den Plan: Dr. Siri Paibun, seines Zeichens Leichenbeschauer, der erste amtliche hier und der wäre ohne seine blitzgescheite Assistentin Schwester Dtui und das sonnige Gemüt von Herrn Geung am Ärmel. Ohne sie und die weltbeste Nudelsuppe seiner Lebensgefährting Madame Daeng würde Siri wohl auch keinen einzigen Fall knacken. Überhaupt und sowieso prägt Cotterills Personal seine Geschichten maßgeblich. Es wächst einem rasch ans Herz. Ehrlich.

Auch zu diesem Band gibt es wieder eine empfehlenswerte Hörbuchfassung, die diesmal sehr lebendig und einnehmend gelesen wird von Fabian Hinrichs. Übersetzt hat, auch das ist eine Erwähnung wert, Thomas Mohr, der gekonnt dafür sorgt, dass der Ton dieser Buchreihe, die zu den wenigen gehört, denen ich treu bin, im Deutschen nicht verrutscht. Band 8 von aktuell 13 halte ich hier in Händen:

Dr. Siri und der explodierende Drache von Colin Cotterill

Wenn es Dr. Siri Paibun die Sprache verschlägt, will das etwas heißen. Der Tote, der grell geschminkt am Türknauf hing, der Geruch im Raum, so etwas hatte der Pathologe und erfahrene Feldarzt, der so einigen Kummer gewöhnt war, noch nicht gesehen.

Wir befinden uns in Laos, Ende der 1970er Jahre, fünf Wochen vor diesem Leichenfund hatte Dr. Siri eine Nachricht erreicht, die er nicht bereit gewesen war zu ignorieren und die ihn genau hierher geführt hatte. Wenn man Madame Daeng, seiner Lebensgefährtin glauben wollte, hatte Siris Reaktion, respektive Nichtreaktion, auf diese Nachricht den Stein eigentlich erst ins Rollen gebracht. Sie sprach ihm gar daran die Schuld zu. Woran genau, will ich nicht verraten, ihr sollt schließlich noch etwas zu ermitteln haben.

Einfach wird das nicht. Ein Taifun versenkt ganze Reisfelder. Eine große Fluchtbewegung über den Mekong nach Thailand hält weiter an und die Roten Khmer sind der Meinung die kommunistische laotische  Regierung unterstütze, indem sie für Flüchtlinge einen Korridor offen hält, die falsche Seite. Nach dem Sturz der Monarchie vor einigen Jahren durch die kommunistische Volkspartei gab es nicht weniger Verwickeltes und verzwickt Diplomatisches als zuvor und auch irgendwie keine tiefgreifenden Verbesserungen, die in der Bevölkerung ankamen.

Besteckduelle und Suppenküchen, Hubschrauber und Bären. Die Zeugenaussage einer erblindeten Frau, die einen explodierenden Drachen gesehen haben will, da ist sie sich sicher. Es ist das letzte Bild, das sie bewahrt hat, bevor sie das Augenlicht verlor. Wieder passt alles und nichts. Hat es Rätsel, die klassisch gelöst werden wollen, was in diesem Setting aber nicht geht. Denn Dr. Siri und sein Team steht für Überraschungen und das Übersinnliche auch. Schon.

Der Tod wird ihm versprochen, von einem fragwürdigen Medium zwar, aber negieren kann Siri das auch nicht. Zu viel weiß Tante Bpoo, die/der Hellsichtige über ihn und seine eigenen jenseitigen Verbindungen. In den nächsten fünf Tagen soll es sein. Nur wie und wo ist unklar.

Brenzlig wird es als Siris zuständiger Minister, ein Ex-General meint, die Amerikaner hätten explizit ihn für eine Mission angefordert. Sie kennen seine Fälle und ihre Suche nach einem vor zehn Jahren abgestürzten Hubschrauber der Air America, einer von der CIA betriebenen Fluglinie für Hilfsgüter, war bislang erfolglos geblieben. Offenbar suchte man nach ganz bestimmten Überbleibseln und nach den knöchernen Überresten des Piloten, der eines Senatoren Sohn war. Okay, also ich stimme zu: Wer könnte hilfreicher sein, als ein dschungelerfahrener Pathologe dem sie den siebten Sinn zuschrieben?

Dr. Siri folgt dann auch zähneknirschend, aber wer ihn kennt ahnt schon, nicht bedingungslos. Nicht ohne sein Team. Was zunächst wie ein Familienausflug ins Abenteuerland aussieht täuscht, denn die Region im Norden von Laos ist bis heute übersät mit Streubomben und ein einziger Fehltritt kann entweder ein Körperteil kosten oder gleich das Leben.

Colin Cotterill, geboren am 02.Oktober 1952 in London, studierte Pädagogik, startete nach dem Studium eine Weltreise, arbeitete als Lehrer u.a. in Israel, Australien, den USA war Hochschuldozent in Japan, blieb am Ende in Asien. Wurde Kolumnist der Bangkok Post und schreibt seit 2001 Bücher. Auch als Cartoonist ist er gefragt. Mit seiner Siri Reihe gelingen ihm regelmäßig literarische Krimis mit Kultstatus, die er mit einer kräftigen Prise britisch anmutendem Humor und asiatischer Alltagsphilosophie als Geheimzutaten würzt. Der in Thailand lebende Cotterill weiß immer wieder zu überraschen, seine Plots schlagen Haken wie die Hasen und feiern Themen wie Freundschaft, Toleranz und Diversität. Seine Dialoge wirken wie treffsichere Ballwechsel, hier ist niemand um eine Antwort verlegen.

Seine Romane sind zwar eher unblutig, aber kein klassischer Cosy Crime. Dafür sind Cotterills Blick auf politische Ränke im Laos der Siebziger Jahre und seine Seitenhiebe auf Linientreue zu ausgeprägt, das exotische Setting seiner Romane und sein Personal sind für mich das Salz in der Suppe und suchen ihresesgleichen in der Welt zwischen zwei Buchdeckeln. Man fühlt sich einfach wohl hier, wo es statt Tee, eine dampfende Nudelsuppe gibt, gern auch schon zum Frühstück und die gegen gefühlt alles zu helfen scheint.

Cotterills Dr. Siri kündigt seit nunmehr drei Jahren allmonatlich, was der ihm vorgesetzte Richter Haeng jedoch geflissentlich zu ignorieren weiß. Solange liegt seine späte Zwangsverpflichtung, zum staatlichen Leichenbeschauer, die ihn im Alter von einundsiebzig erreilte jetzt zurück. Was bin ich froh, dass der Richter so stur ist, so muss Siri ja einfach weiter ermitteln und mal ehrlich, raushalten könnte er sich doch eh nicht. Wer da an Agatha Christies Miss Marple denkt liegt gar nicht so daneben. Zumindest was die Schrullen und das helle Köpfchen anbelangt, haben die beiden so einiges gemeinsam.

Freunde und Kenner der Serie wissen das natürlich. Einsteiger in seine Reihe holt Cotterill mit der Erwähnung dieser Berufungs- und Kündigungsumstände regelmäßig ab. Ach ja, zu erwähnen wäre da auch noch, dass im Körper von Siri der Geist von Yeh Minh, ein alter Schamane wohnt. Was schräg klingt, für ihn und uns Leser:innen bisweilen irritierend ist, manchmal aber auch überaus hilfreich. Ihr werdet schon sehen.

Wie gewohnt führt ein Prolog in einen Nebenhandlungsstrang, der zumeist auch den Titel des Buches erklärt. Angewandeten Methoden sind mindestens so unorthodox wie erfolgsversprechend. Helfen auch gegen Baumottern und Dynamit, denn diese Dschungelmission ist hochexplosiv. Der Tod eines US-Majors mit fragwürdigen Leidenschaften fordert das Team um Siri heraus. Plötzlich ist jeder verdächtig. Der Doktor eingeschlossen.

Endlich gefunden stellt die Suchmannschaft fest: Der abgestürzte Militärhubschrauber hatte einen Krater hinterlassen, der sich mittlerweile mit Wasser gefüllt hat das dunkel und dick war. Man konnte ihm nicht bis auf den Grund sehen, was mutige Taucher erforderlich machte, die auch alsbald schon ein großes Teil heraufzogen, aber auf dem Grund keinerlei menschliche Spuren entdecken konnten.

Da weiß doch einer mehr! Ein Wahrheitsserum musste her. Mdme Daeng macht’s möglich. Mit Marihuanatee zum Erfolg? Die Dosis allerdings, ist halt ihr erster Ansatz dieser Art. Will sagen, na ja, das Ganze läuft ein wenig aus dem Ruder. Also schon. Ein bisschen viel eigentlich …

Cotterill brennt diesmal kein Feuerwerk ab, sondern einen ganz speziellen Napalm und zündet damit auch seine sozialkritische Fackel an. Mir hat dieser Ausflug nach Laos wieder ausgesprochen gut getan. Weil ich mag den kauzigen Siri einfach. Seine Wehrhaftigkeit, und auch das er keiner Parteilinie treu ist und so herrlich lakonisch. Wie schön, wenn es in der Literatur Geschichten und Figuren gibt, zu denen wir auf diese Weise zurückkehren können. Die dort auf uns zu warten und uns wie alte Bekannte, mit offenen Armen empfangen. Zu immer neuen Abenteuern. Bis bald, also Siri!

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