Denen man vergibt (Lawrence Osborne)

Die Wüste – uns gilt sie als Meer aus Sand. Die Dünen sind ihre Wellen und auf ihrem Grund, in ihren Felsen, ruhen bis heute die versteinerten Zeuge der Zeit, in der hier noch Wasser war. Bizarre versteinerte Gliederfüßer, Trilobiten, Ammoniten oder die Zähne eines Riesenhaies, des Megalodons fördert man bis heute in Marokko zu tage. 2017 titelte gar Der Spiegel “War Adam Marokkaner?” Ein Team von Forschern des Max-Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Nationalen Instituts für Archäologie und kulturelles Erbe in Rabat (Marokko) hatte da gerade fossile Funde aus Afrika analysiert und die Entstehung unser Spezies auf vor rund 300.000 Jahre, nicht wie bislang auf vor 200.000 Jahre vordatiert. Galt bislang als gewiss der Homo sapiens stamme aus Ostafrika, verortete man jetzt seine Herkunft in Marokko. Den Exemplaren der Gattung Mensch, der man in diesem Roman in Marokko begegnen kann, würde ich ja nur zu gerne absprechen wollen, das wir ein und derselben Spezies angehören … 

Denen man vergibt von Lawrence Osborne

Eine Einladung. Eine Fahrt durch die Wüste. Durch die Nacht. Ein Ehepaar. Ein Streit. Mit Folgen. Mit Todesfolge.

Zwei Briten, er Arzt, sie Kinderbuchautorin, erscheinen zu einer Party in der Wüste Marokkos mit einer Leiche im Gepäck. Respektive auf dem Rücksitz. Die Umstände seien “ungeklärt”. Erstattet ein langjähriger Angestellter dem Gastgeber bei ihrem Eintreffen Bericht. Sie hätten den Mann angefahren. Auf dem Weg hierher. Er sei wohl ein Fossilienhändler, einfach und plötzlich auf der Straße gestanden und jetzt tot. Tiefe Bestürzung. Unglauben. Der Leichnam wird in der Garage aufgebahrt und die Polizei verständigt. “Man” kläre das, meint der Gastgeber, es kommt Geld ins Spiel. Damit sichergestellt ist, das Fragen ausbleiben. Zumal der Fahrer gerne einen trinkt. Alle scheinen es zu wissen. Schweigen dazu.

Es fliegen Steine. Sie lagen auf der Lauer. Der Todesfahrer hat jetzt eine Platzwunde an der Stirn und gibt sich hochempört.

Dekadenz. Ignoranz. Eine Kasbah. Inmitten eines Nirgendwos, das für Einheimische mehr ist als Kulisse. Für die Reichen, die sich hier niedergelassen haben aber genau das zu sein scheint. Man sucht Freunde damit zu beeindrucken, feiert rauschende Feste, lädt Gäste aus aller Welt dazu ein. Aber das hier ist kein Disneyland. Ganz im Gegenteil.

Sie waren gekommen um den Leichnam mitzunehmen und das galt auch für ihn. Den Mörder. In ihr Dorf. Zur Beerdigung sollte er mitkommen. Richard zögert. Er wäre dort völlig auf sich gestellt und offenbar war das auch nicht alles was diese Männer, dieser Vater, von ihm erwarteten …

Lawrence Osborne, britischer Schriftsteller, Journalist, Reporter, geboren 1959, taucht mein Kopfkino in Sepiatöne. Für seinen Roman “The Forgiven” – Denen man vergibt“, begab sich der Cosmopolit auf Spurensuche in die Berge von Marokko. Sein Setting fällt aus dem Rahmen und wie er die Schere zwischen Reich und Arm aufzieht könnte sie nicht weiter auseinanderklaffen. Auf eine Art und Weise, die geradezu groteske Züge annimmt, stellt der eine Teil seiner Protagonisten seinen Reichtum mit breiter Brust zur Schau, lässt das Geld sprechen wo immer Menschen zu korrumpieren sind. Auf der anderen Seite des Zauns stehen die, die hier leben. Ein Vater dem ein Unglück widerfährt, dem sein Sohn totgefahren wird. Eine Tatsache, die man wie einen lästigen Verwaltungsakt wortwörtlich zu beerdigen zu sucht. Ohne Respekt, ohne Empathie. Es schaudert mich. Nicht wegen der Schilderung, sondern weil ich mir viel zu gut vorstellen kann, das es sich so oder so ähnlich irgendwo abgespielt haben könnte.

Osborne versteht es, sich ganz leise anzuschleichen, Spannung aufzubauen und eine Grundspannung zu halten, die es in sich hat. Seine Figuren, sind bedauernswert, hassenswert und ihre Facetten funkeln.

Vergebung. Das ist es was er sucht. Dieser Richard. Alkoholiker, Zyniker, Arzt und Ehemann. Wenn es die anderen tun, wird er selbst es je schaffen? Sich zu vergeben?

Sie lassen ihn fahren. Schicken ihn buchstäblich in die Wüste. Nehmen in Kauf, dass er dort sterben könnte. Was hinterhältig ist und so sehr zu dieser dekadenten, voyeuristen Gesellschaft passt, dass mir der Mund offen steht. Zu diesem Partyvolk, dass mit nichts weniger als Champagner zu Gurgeln scheint.

Ein Wasserfall in der Wüste. Gefrorene Erdbeeren auf Schlagsahne. Ein Kunstfehler. Schuldgefühle. Zufälle oder die Verkettung unglücklicher Umstände? Ein Ehepaar am Abgrund seiner Beziehung. Koks und eine Affäre, als könne das helfen.

Die Kargheit, der Staub, eine Beerdigung, das Wehklagen, markerschütternd.

Im englischen Original 2012 und 2017 in der deutschen Übersetzung von Reiner Pfleiderer im Verlag Klaus Wagenbach erschienen, wurde Osbornes Crash der Kulturen in der marokkanischen Wüste 2022 mit Ralph Fiennes und Jessica Chastain in den Hauptrollen für das Kino verfilmt.

Osborne inszeniert sein Roman- und Ehedrama inklusive unfallbedingtem Todesfall auf gleich drei Handlungsebenen und verhandelt sowohl die Auswirkungen des Kolonialismus als auch religiöse Gegensätze in drastischen Bildern. Sprachlich und auch einiger Längen wegen vermochte er mich nicht hundertprozentig zu überzeugen, enthält sein Text doch schon auch seltsam anmutende Formulierungen, die es so nicht gebraucht hätte. Etwa dann, wenn davon die Rede ist, das sich ein Auge lockert wie eine alte Glühbirne oder Libellenflügel lasterhafte Geräusche erzeugen, die jemand gefallen. What?

Auch wer nach Figuren Ausschau hält, die er mögen kann, wird hier keine finden. Was schon eine Kunst ist. Also, so viele Unsympathen auf einem Haufen zu versammeln. Die Konstruktion der Geschichte fand ich indes gelungen, besonders die drei gewählten Handlungsstränge, einer davon führt in die Vergangenheit und charakterisiert das Unfallopfer. Wir haben es hier nicht mit einem sozial benachteiligten Unschuldslamm zu tun, was seinen Tod allerdings nicht weniger tragisch macht und auch nicht entschuldigt, wie man danach verfährt. Die beiden anderen Erzählstränge spielen in der Gegenwart und passieren parallel als die Geschichte sich dadurch teilt, dass Richard, der Unfallverursacher seine Gastgeber, seine Frau, verlässt um dem Vater des Toten zu folgen. Unfreiwillig wohlgemerkt. Indes geht die Party weiter und das Vergnügungsprogramm wird fortgesetzt.

Feuerschlucker und Wasserpfeifen. Zuviel Koks und ein Empfangskomitee mit Sekt. Der Morgen danach am Tag davor. Am Tag vor ihrer Abreise. Sorgt für Erwachen und innere Einkehr.

Bis zum bitteren Ende und einem Schluss, den Osborne offen hält, bin ich dran geblieben. Wer über sprachliche Holperer und Methapern hinweglesen kann, die bisweilen seltsam anmuten, wer es verzeiht, wenn eine erotische Liebesszene den Kitsch nicht nur schrammt, Gedanken beiseite schieben kann, die die weibliche Hauptfigur bisweilen umtreiben, der findet auch eine Geschichte, die Fragen nach einem menschlichen Umgang mit sozialen Unterschieden, Schuld und Vergebung aufwirft. Die Szenerie des Ammonitenabbaus in Marokko ist bedrückend und anschaulich beschrieben und entführt in eine Welt, die fremd und faszinierend ist, die es es denen, die hier hart arbeiten jedoch nicht ermöglicht die Früchte dieser Arbeit selbst zu ernten.

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