Das Alphabet des Feuers (Wolfgang Schiffer liest Gedichte aus Island)

Island. Eine Straße führt um das ganze Land, es hat Fensterwetter, Sonne um Mitternacht oder 24 Stunden Dunkelheit. Die Pferde sind hier etwas kleiner, die Vulkane noch aktiv, die Erde so jung, das man ihre Hitze unter den Sohlen spürt. Wasserfälle hat es, beeindruckend und schier ohne Zahl, Trolle vielleicht, Strände in schwarz, auf denen Gletscher eisig-diamantene Spuren hinterlassen. Mein Herz ist vor Jahren dort geblieben. In dem Land, das aus Mythen gemacht ist, aus Eis und aus Feuer und sie lehren mich jetzt ihr Alphabet …

Das Alphabet  des  Feuers – Wolfgang Schiffer liest Gedichte aus Island, eine Lesung erschienen im Elif Verlag. 

Übertragen ins Deutsche haben Jón Thor Gísslason, Sigrùn Valbergsdóttir, sowie Wolfgang Schiffer, teils unter Verwendung der Übersetzungen von Magnús Didrik Baldursson und Wolf Kühnelt.

Der Gedichtband Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können,
Gedichte und Lieder, von Ragnar Helgi Ólafsson,
eröffnet den Reigen. Mitten aus dem Leben Ólafsson seine Verse gegriffen, kaum geschliffen zeigen sie noch ihre Kanten, wirken sehr modern, verweilen zwischen Gegenwart und Zukunft, stellen fest, sind ganz pragmatisch oder auch philosphisch:

Arroganz und Demut

Wenn es glückt, misslingt es
Wenn es missglückt, gelingt es

Er schickt zwischen den Zeilen seine Freundin nach Buthan, mit allem Erspartem, um eine Hütte zu kaufen. Mit Blechdach. Formulert Träume von Ferne. Von Aufbruch. Mittels Spiegeln wendet er sich nach innen, lehnt Vergleiche ab, es ist wie es ist. Punkt.

Ragnar Helgi Ólafsson, geboren 1971, lebt und arbeitet in Reykjavík als Grafikdesigner, bildender Künstler, Musiker, Verleger und Schriftsteller. Zwei seiner Gedichtbände sind im Elif Verlag erschienen <Handbuch des Erinnerns und Vergessens> (2020) und Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können (2017). Letztgenanntes wurde mit dem Tómas-Gudmundsson-Poesie-Preis ausgezeichnet und wird auf CD 1/5 dieser Gedichtesammlung vorgelesen. Ragnar Helgi Olafsons <Handbuch des Erinnerns und Vergessens> will jetzt noch von mir gelesen werden, es liegt schon bereit und ich freue mich auf seine Dichtersprache, darauf wieder ohne Schatten unterwegs zu sein, für mich ist er der philosophischste der fünf hier vorgestellten isländischen Lyriker. Ich zitiere mal zwei meiner Favoriten:

Dichtersprache

Ich möchte mit dir in einer Dichtersprache sprechen,
ohne die Stille zu durchbrechen.
Es ist nicht so schwierig, wie es klingen mag.
Es ist nur so,
als zöge man ein Kristallglas
an einem Wollfaden
über einen steinübersäten Strand.
Der richtige Name

Erwähne das Wort nicht
Spüre die Spannung in den Muskeln
Der Argwohn ist groß
Sag das Wort nicht laut
Es gibt kein Zurück
Und das was es bedeutet das wird

Alles lässt sich ändern
Nichts ist unabänderlich
Bis es bei seinem richtigen Namen genannt worden ist

Frída Ísberg, geboren 19.12.1992, hat einen Roman veröffentlicht, den ich eben zuende gelesen habe. Mit <Die Markierung> wagt sie einen Blick in eine mögliche Zukunft Islands. Dazu an anderer Stelle mehr. Lederjackenwetter heißt der Gedichtband, um den es hier gehen soll und indem sie u.a. über isländisches Fensterwetter, (wieder was gelernt, Dankeschön für die redaktionelle Anmerkung Herr Schiffer, ich verrate nicht was es meint, Ihr habt aber sicher sofort ein Bild), über Augen- und Angstmass, Schatten und das Licht im Juni schreibt, dass als platzfreches Kind das ganze Bett für sich einnimmt. Davon, dass die Haut nichts vergisst, die ein Dokument ist, das die Merkmale eines Lebenslaufs zusammenfasst. Es sind diese Bilder, die ihre Lyrik ausmachen, die auf ein strenges Versmaß verzichtet, dafür raumgreifend ist. Auch was Alltagsbeobachtungen angeht und das was ihr so über den Weg läuft, gleich ob es ein Obdachloser ist, den sie täglich bewusst übersieht, oder die Laune des Vaters, der sie anweist sich nichts einzubilden. Zwei meiner Lieblingsgedichte von ihr kommen hier:

Wachstum

Der Mensch wächst nicht wie ein Baum,
sondern wie eine Wiese.
Mir wuchs ein Wortschatz, Zuneigung, Fingernägel, Haare, Zweifel
Selbstvertrauen und Verzweiflung bildeten zusammen einen Spiegel
und der Spiegel wuchs wie ein silbrig schuppiger Fisch am Rücken,
Wie eine Mauer um ein Reich
Oder Stacheldraht um eine Weide
Jakobsmuschel

Ich spürte es am Psst, das Empfindsamkeit eine Schwäche ist, etwas das man versteckt,
So versteckte ich sie, nicht wie Süßigkeiten um sie später zu essen,
Sondern wie eine blassbleiche aderblaue Jakobsmuschel, die nicht zerbrechen darf

Linda Vilhjálmsdóttir, geboren am 1. Juni 1958 in Reykjavik, hat lange in der Krankenpflege gearbeitet und zunächst in Literaturzeitschriften veröffentlicht, wurde später in ihrer Heimat insbesondere für ihre Gedichte mehrfach preisausgezeichnet. Freiheit heißt der in dieser Sammlung enthaltene Band von ihr.

Freiheit (Auszug)

Zwischen Himmel und Erde ist alles wie es geschrieben steht
Zwischen Anfang und Ende ist das Leben,
das Fleisch und das Blut zwischen der Geburt und dem Tod

Die Freiheit zwischen Finsternis und Licht,
zwischen Himmel und Erde, das Wasser und das Feuer

Bei Vilhjálmsdóttir geht es um die harten Fakten, um nichts Geringeres als die Freiheit, um Glauben, Religion, eine Reise nach Bethlehem, um Wurzeln, um Trennmauern, richtige und falsche Seiten, um Fronten im täglichen Leben, registrierte Seelen, um Nachhaltigkeit, Klimawandel, Fleischkonsum, Diätwahn, Muskelaufbau, Müll, Entsorgung und Korruption. Sie faßt all das in kleine fließende, nachdenklich machende Texte. Sie ist politisch, wach, bleibt klar in der Sprache ebenso wie inhaltlich.
Ihre Lyrik hat nichts Zartes, es geht um Risse und Bruchkanten. Sie wirkt sehr plastisch und ungeschönt auf mich, nichts wird geglättet, nichts aufgehübscht.

Sigurður Pálsson geboren am 30. Juli 1948, verstorben am 19. September 2017, Dichter, Autor und Übersetzer, war für seine engen Verbindungen nach einem Studium in Frankreich bekannt. Seine Gedichte klingen vielleicht auch deshalb weicher, runder und melodischer als die seiner Dichterkolleg:innen. Der hier enthaltene Band entstand kurz vor seinem Tod und trägt den Titel Gedichte erinnern eine Stimme (Elif Verlag 2019).

Das titelgebende Gedicht, Das Alphabet des Feuers, stammt von ihm und erzählt von einer unerwarteten Begegnung, davon was im Feuer geschrieben steht, was im Feuer entsteht. Island entsteht fortwährend im Feuer neu, die Nächte werden hier zu Tagen und die Tage zu Nächten, das Wasser wird von Hitze aus der Tiefe aufgeschreckt, seine Worte bringen das atmosphärisch auf den Punkt:

Das Alphabet des Feuers (Auszug)

Irgendwer hatte Licht und Schatten zusammengemischt 
und sie über die Stadt gegossen.
Einen nebligen Schimmer, der alle Grenzen verwischte.
Alle Wege standen offen.

Er weckt mit seinen Stimmen in der Luft (11) genau die stillen Wasser, die bekanntlich tief gründen:

Hüte dich vor einem schlafenden Wasser

Es kann unerwartet aufwachen, vorwärts stürmen und alles aus dem Weg räumen
Verkalkte Krampfadern der Gewohnheit und Tradition

Wir sind blind aber nicht ohne Augenlicht
Unsere Augen sind in gutem Zustand aber sie nützen uns nichts

Wir sind Gewohnheitstiere kratzen dem, der neben uns steht den Kopf.

Gedankenqualen und Gemütsbeben, Erdbeben, Volksbeben, all diese Beben und Wandel sie werfen uns um, und werfen uns nochmal um, und schließlich ist nichts mehr da das man umwerfen kann.

Hüte dich vor einem schlafenden Wasser.

Auf der letzten CD begegnet man dann noch einem weiteren Dichter, der so wie Pálsson leider ebenfalls nicht mehr unter uns weilt.

Jón úr Vör, wurde am 21. Januar 1917 auf dem Hof Vatneyri, geboren und verstarb am 4. März 2000. Er war Herausgeber, Bibliothekar, Dichter und Mitbegründer des Isländischen Schriftstellerverbandes, in seinem Namen wird noch immer jährlich in Kópavogur ein Lyrikwettbewerb abgehalten, mit seinen Veröffentlichungen löste er 1946 eine literarische Diskussion aus, als er begann auf ein strenges Versmaß und Reime zu verzichten. Rückblickend kann das als Start in die Moderne begriffen werden und sein Gedichtband Das Dorf fügt sich so wunderbar zwischen die seiner jungen Kolleg:innen, als wäre er aus der Zeit gefallen, so zeitlos schön sind diese Zeilen:

Ein Pferd

Die Beine kurz und stämmig
Der Hufbart zerfranst wie der Flaum eines alten Mannes
und dreckverklumpte Lenden.

Einen Huf gegen das Eis gestellt, scharrt es mit traurigen Augen.
Beißt die Torfbrocken durch bis zur Wurzel,
auf dem Vorplatz der Trockenbude,
wo im Sommer die Halme wuchsen zwischen Schottersteinen.

Die Kinder der kurzen Tage
schauen mit Hungertropfen an der Nase aus dem kleinen Küchenfenster dem Winterpferd zu.
Auf der Wäscheleine flattert ein einsamer Lappen,
wie eine Flagge auf Halbmast.

Úr Vör erinnert uns an karge Zeiten, an eine Bretterbude, die windschief auf Schulden hochgezogen, den Regen hereinlassend trotzdem eine Obhut gewesen ist. An Gewerkschafter, Schuhe aus Fischhaut, an einen Schuster, der alle Schuhe eines Dorfes kannte. An Väter, die mit geschulterten Seesäcken verschwanden, aufbrachen zu fremden Häfen, an karierte Schürzen und den Tod.

Unfassbar bildhaft hatte ich all das vor Augen, so real, als könnte ich mit Händen danach greifen. Nach dem Blechbecher, den man eintaucht in einen Eimer mit Wasser, auf dem eine Eishaut schwimmt, an einem Wintermorgen derweil der Tag wartet am Horizont. Die Erde ist weich und fruchtbar in den Händen von Sonne und Regen -, was für ein Pionier, welch wunderbar zeitloser Poet wurde hier für uns ans Licht geholt ❣

Vielleicht ist er mir doch der Liebste gewesen in dieser Runde, dieser Jón úr Vör. Schon auch wegen diesen beiden:

Zwei alte Menschen

Sonderbar ist das Herz.
Auf einem welken Herbstblatt segelt es auf dem Meer des Todes.

Auf einem Rappen bist du vom Hofplatz geritten, schön und jung, während ich ankam, mit meinem Sieg, in dir zu überreichen.

All unsere Jahre sind wir denselben Weg gegangen ohne uns jemals zu begegnen.
Bei meinem Leichenzug warst Du die einzige die Tränen vergoss.
Jetzt weiß ich, dass man Liebe nicht kaufen kann mit einem Sieg.
Nur geben und empfangen in Demut.

Dies zu erkennen lernte ich als das bleiche Herbstblatt auf meinen Sarg fiel.

Last but not least muss es jetzt aber auch noch um sie gehen. Als Fangirl halte ich an dieser Stelle stolz eine signierte Hörbuch-Ausgabe von Das Alphabet des Feuers hoch, die der Lyriker, Herausgeber und Verleger des Elif Verlages Dinçer Güçyeter freundlicher Weise für mich organisiert hat. Ihn und Wolfgang Schiffer verbindet mittlerweile mehr als die Lyrik, so konnte in freundschaftlicher Verbundenheit auch diese wunderbare Lesung auf fünf silberne Scheiben gebannt werden, vor der ich mich verneige.

Wolfgang Schiffer, geboren am 5. Mai 1946, Schriftsteller und Übersetzer isländischer Literatur, für sein Wirken ausgezeichnet mit dem Ritterkreuz des isländischen Falkenordens, brilliert mit diesem Vortrag. Er weiß alle Verse zu nehmen, weiß genau wo es Pausen braucht, damit Worte nachhallen können. Wohltönend wärmt seine Stimme, niemand anderen würde ich mir wünschen um diese Gedichte vorzulesen. Er kennt sie. Liebt sie. Das spürt man. An jeder Silbe. Sicher war es dort, wo er live gelesen hat seinerzeit mäuschenstill. Wie schön, dass wir uns mit dieser CD Sammlung dieses Erlebnis ins eigene Wohnzimmer holen können. Meine Gedanken hat er mitgenommen, auf den Flügeln dieser Worte, ich spürte sie wieder diese Weite und den für Island so typischen unverstellten Horizont.

Die hier aufgesammelten Verse beweisen mir einmal mehr, Verse und Reime muss man nicht messen damit sie wirken können. Damit sie bewirken was sie hier tun. Nachdenklich machen, oder berühren, oder beides. Rund zweihundertvierzig genussvolle Minuten durfte ich zwischen diesen Zeilen verweilen, Poet:innen nachklingen lassen, die sich von jeglichem Maß befreit haben. Von der Tradition bis hin zur Moderne, spiegeln sie die grandiosen Landschaften dieser Insel ebenso wie das Lebensgefühl ihrer Bewohner. Lasst Euch beschenken von Klang und Gefühl.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert