Country Place (Ann Petry)

Kleinstädte folgen ihren eigenen Regeln. Heute wie damals. Im Jahr 1947. Dem Jahr des “Marshallplans”, der einen entscheidenden Anteil am Wiederaufbau Westdeutschlands hatte, und mit dem griffig das historisch bedeutsamste Wirtschaftsförderungsprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg, das European Recovery Programm (ERP), nach seinem Initiator dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall benannt wurde. Marshall wurde dafür 1953 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

1947 erlangte Indien seine Unabhängigkeit und die ideologischen Unterschiede zwischen dem Ostblock und der westlichen Welt traten immer deutlicher zutage, es begann das was wir heute als den “Kalten Krieg” kennen und das den US-Präsidenten Harry S. Truman in diesem Jahr die “Truman Doktrin” verkünden ließ. Die das Ende der amerikanischen Kriegskoalition mit der Sowjetunion bedeutete, die Expansion der Sowjets begrenzen und Regierungen in ihrem Widerstand gegen den Kommunismus unterstützen sollte.

In diesem Jahr siedelt auch die us-amerikanische Bestsellerautoren Ann Petry ihren zweiten Roman an. Kommt, folgen wir ihr in eine Kleinstadt in Connecticut, sie hat uns einiges zu erzählen …

Country Place von Ann Petry

Es ist Ende September in Lennox/ Connecticut, viele Hotels, zumindest die guten liegen zum offenen Meer hin, bieten französische Küche und Erholung für Großstädter. Jetzt aber ist der Sommer vorbei und seine Gäste sind längst wieder zu Hause in New York und anders wo.

Ein Apotheker, 65 Jahre alt, der einzige im Ort, verfolgt mit wachem Blick was in diesem Spätsommer geschieht und beginnt zu erzählen … 

Er kennt sie alle. Seine Kunden, die Bewohner, jeden Klatsch, jeden Tratsch. Schon lange und immer schon. Freimütig und unumwunden gibt er zu, selbst mit allem was weiblich ist zu hadern. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und uns an die Hand als kundiger Führer. Wir blicken mit ihm auf das Jahr 1946, indem ist Johnnie wieder da. Zurück in Lennox. Vier Jahre war er fort gewesen, im Zweiten Weltkrieg hat er gedient, von seiner Heimatstadt geträumt und sich auf seine Heimkehr und auf seine Gloria gefreut. Geheiratet hatten sie einander ein Jahr bevor er zum Militär gegangen war. Damals schon hatte er weg gewollt aus Lennox, aber sie nicht. Und jetzt wollte sie ihn offenbar auch nicht mehr, vielleicht hatte sie ihn ja nie gewollt?

Sie stieß ihn weg. Er drängte sich ihr auf. Es kommt zum Eklat. Er würgt sie. Wer ist sie, dass sie ihn abweist, sie ist seine Frau!

Sie spottet ihn. Ein Maler wollte er jetzt werden und schon wieder schwärmt er von New York, dort wollte er studieren und wer sollte das bezahlen? Sie würde ihn nicht aushalten. Ein eigenes Leben wollte sie, ein selbstbestimmtes. Das hatte gut geklappt all die Jahre. Ohne ihn.

Letzter Versuch, aber auch ein rosa Victory-Nachthemd kann die Entfremdung zwischen ihnen nicht überbrücken, denn dort steht längst ein anderer …

Ein geschmähtes Ego, Ehebruch, ausgerechnet mit dem stadtbekannten Wüstling. Berechnung, unverhoffte Erbschaften, ein Kirchhof mit tanzenden Grabsteinen, jeder kennt jeden und jedes Vorurteil. Wer fremd und anders ist aber, der wird hier mit anderen Augen betrachtet. Mit Argwohn. Besonders wenn die Hautfarbe nicht weiß, die Religionszugehörigkeit nicht passend, die Abstammung fragwürdig ist.

“Das Wiesel” fährt hier das Stadttaxi und nährt jedes Gerücht. Er hat eine diebische Freude daran andere zu beschmutzen und zu diskreditieren, weidet sich an ihrem Leid und sonnt sich in seinem Wissen um die “Umstände”. Man hört ihm gerne zu. Nur allzu gerne. Besonders spannend ist das, was er jetzt über Gloria, Johnnie und Ed zu berichten hat.

Einzig die alte Mrs. Gramby, die graue Eminenz und offenbar reichste Frau im Ort, ein Schwergewicht, was wörtlich zu nehmen ist, übt sich in Toleranz. Von ihr hätte ich das am allerwenigsten erwartet. Sie versammelt ein illusteres Völkchen an Bediensteten in ihrem Hausstand, als da wären ein portugiesischer Gärtner, ein slawischer Koch und ein afroamerikanisches Dienstmädchen. Sie vertraut ausgerechnet einem jüdischen Anwalt und auch mit Zurechtweisungen hält sie sich nicht zurück und handelt einer, den sie beim Verunglimpfen erwischt gegen ihren Wertekatalog, dann wird sie auch schon mal komisch.

Den begehrtesten Junggesellen von ganzen Connecticut, ihren Sohn, den Gramby-Erben hat sich Glorias Mum geangelt und geheiratet, aber ihre Ruhe hat sie damit nicht. Sie, das klassische Biest in der Geschichte, sorgt für die notwendige Würze in Sachen Bosheit. Wie eine Spinne im Netz wartet sie auf den Tod der verhassten Schwiegermutter. Diese aber scheint trotz gewaltigem Übergewicht und Diabetes förmlich am Leben zu kleben und sie trägt es ihr doch tatsächlich nach, dass sie zu alt ist um noch Kinder zu bekommen, das deswegen und wegen ihr die Linie und der Name Gramby jetzt aussterben würden. Die Stimmung ist aufgeheizt und sie entlädt sich mit Pauken und Trompeten, oder soll ich besser sagen mit Sturm und Sturzbächen von Regen …

Ann Petry, geboren 1908 in Conneticut, behütete Tochter eines Apothekers. Als Journalistin ging sie 1938 nach New York, arbeitete in Harlem, wo sie aus erster Hand damit konfrontiert wurde, wie Armut, Gewalt und Ausbeutung zur Zeit der Großen Depression regierten.

Dies ist Petrys zweiter Roman, der der ersten afroamerikanischen Bestsellerautorin. Nach “The Street” erschien “Country Place” erstmals 1947. In das kleinstädtische Habitat Lennox dringt sie tief ein und ihre Übersetzerin Pieke Biermann trifft einen so unterhaltsamen Ton, das man die Bösartigkeit die hier lauert erst auf den zweiten Blick wahrnimmt.

Dies hier ist bei aller Kurzweil beileibe kein reiner Unterhaltungstext und der Sturm der sich zusammenbraut hat es in sich. So wie ein Treppensturz. Mit verblüffenden Folgen, steuert er mich in Petrys Finale, nachdem sie schon reichlich Bäume ausgerissen und Dächer abgedeckt hat.

Was für eine begnadete Erzählerin sie ist, wie genau sie beobachtet. Wie geschickt sie das Stilmittel “Sturm” nutzt um ein fulminantes Finale zu gestalten. Eines in dem es so richtig kracht. Nicht nur Bäume, ganze Leben hebt sie aus den Angeln. Geheimnisse hütend lässt sie hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Die Blicke der wenigen Wohlmeinenden sind bei ihr voller Kummer.

Bei ihr wird nicht durch die Blume erzählt. Treffsicher lässt sie ihre Figuren auch Tiefschläge landen. Jedes Vorurteil sitzt, jede rassistische Äußerung findet ihr Ziel wie ein Pfeil. Dabei ist sie nie rau in ihrer Erzählart, wie eine Grande Dame schmeichelt sie erzählerisch meinem Leserherz. In satten Farben mal sie ihre Sätze. Erschafft einen Bilderbogen aus Worten. Garniert mit lebensklugen Einwürfen. Sie macht Mitwisser zu Mittätern. Na immerhin, denke ich zähneknirschend, hat hier wenigstens mal einer sowas wie ein Gewissen.

Der Schmerz des Sterbens schwebt immer über dem Leben und jenseits davon.”

Textzitat Ann Petry Country Place

Willkommen inmitten von Sehnsüchten, Leidenschaft, Eifersucht, Neid und Missgunst. Willkommen, im Herzen des Sturms. Hier ist es ganz still und man schaut mit weit aufgerissenen Augen auf das wirbelnde Chaos das einen umgibt. Dreht sich um die eigene Achse, um nur ja nichts zu verpassen. Willkommen! Willkommen in Lennox. In der Hörbuch-Fassung begrüßt mich eine Ideal-Besetzung:

Ulrich Noethen, einer der renommiertesten deutschen Schauspieler, ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller (das war 1998 für seine Rolle in Vilsmaiers “Comedian Harmonists”), hat sich diesmal ihrem Text als Vorleser angenommen. Wie könnte das schief gehen? Kann es nicht. Es ist großartig geworden! Ihren Roman “The Street” hatte ich mir von Bettina Hope vorlesen lassen und sie hat mich so in das Petry-Universum mitgenommen, das ich unbedingt auch ihren Nachfolger habe hören wollen und die Entscheidung war goldrichtig!

Noethen legt jede Rolle in diesem Figuren-Reigen, jeden Blickwinkel so selbstverständlich und passgenau an, dass ich mich wie auf einen Klangteppich habe fallen und von seiner Stimme davontragen lassen. Nach Lennox, und dort durfte ich mit ihm und durch ihn Mäuschen spielen. War ganz nah dran. Jeden einzelnen Charakterzug arbeitet er stimmlich heraus ohne sich zu verstellen. Liest mit einer unaufdringlichen Zurückhaltung, die die Geschichte wie von innen heraus leuchten lässt. Die handelnden Personen erhalten so mehr als Kontur, sie bekommen eine Tiefe, für die Ann Petry textlich meisterhaft sorgt. Herausgekommen ist eine untrennbare Kombination aus Vortrag und Geschichte. Das ist Hörkino at it’s best!

Mein Dank geht an den Verlag speak low für dieses Rezensionsexemplar.

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