Xerox (Fien Veldman)

Gibt man in einer Internetsuchmaschine das Stichwort “Xerox” ein, stößt man auf ein 1906 gegründetes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen für Dokumentenmanagement, dessen Firmenname sich von Xerografie ableitet. Einer Technologie für Drucke, die der Physiker und Patentanwalt Chester F. Carlson in den Dreißiger Jahren erfunden hat. Drucker der Marke “Xerox” sind auch heute noch erhältlich, genau um einen solchen geht es in dieser literarischen Neuerscheinung und um eine zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alte Niederländerin, die als Ich-Erzählerin agiert und die von sich sagt, wenn sie angesprochen wird, geschieht das mit “mein Name”. Sie selbst verwendet dahere erzählend auch keinerlei Namen, der Chef ist der Chef. Der Kollege aus dem Marketing ist eben “Marketing”. Punkt.

Nach Verlagsangaben finden wir hier eine tragikomische Abrechnung mit der Leere unserer Arbeitswelt. Die Heldin sei schrullig und dieses Arbeitsgerät könne mehr als man denkt. Figuren mit Ecken und Kanten sind ja mein Ding, wahrscheinlich bin ich deshalb am Klappentext dieser Geschichte hängengeblieben, die mich in ein Start-Up Unternehmen nach Amsterdam mitnimmt. Obwohl ich ja sagen würde, wer sein siebenjähriges Firmenbestehen feiert, darf sich den Begriff Start-Up eigentlich nicht mehr an die Tür heften. Oder?

Xerox von Fien Veldman

Alles beginnt mit einem gehetzten Vormittag. Unsere Heldin ist auf der Suche nach einem Paket, einem ultrawichtigen, dass sie für den Job braucht und dessen Zustellung sie offenbar verpasst hat. Oder das Paket hat sie verfehlt. Wie auch immer. Sie hat es nicht. Aber alle brauchen es. Sie braucht es. Was drin ist. Sein soll. Keine Ahnung. Wir erfahren es nicht. Der Stress setzt ihr zu. Sie klappt am Bürgersteig zusammen. Wird rasch umstellt von einer Gruppe Touristen.

Ein Rettungswagen sammelt sie auf. Sie kann weder sprechen noch atmen. Ihr Zustand ist kritisch. Die Diagnose: Ein anaphylaktischer Schock. Ein Allergologe stellt fest: Sie ist allergisch gegen Stress. Ein Adrenalin-Injektor wird zu ihrem ständigen Begleiter und seine Empfehlung: Es ruhig angehen lassen. Das tut sie. In ihrer Besenkammer im Job. Umgeben lediglich von einem Ventilator und einem Drucker. Von keinem Kollegen, keiner Kollegin.

Gefühlt ist sie zu allen und allem auf Abstand, das obwohl sie Empathie reklamiert und vermisst, auch die, die man Tieren, Pflanzen und ja, auch Dingen entgegenbringen sollte. Sie denkt sie tut das, ich sehe das anders, ausser man betrachtet, wie sie sich ihrem Drucker gegenüber verhält. Ihn kennt sie besser als der Techniker, ihn nimmt sie wahr, jedes Seufzen und Schleifen, jedes noch so kleine querstehende Fitzelchen Papier. Ihn mag sie nicht nur. Er ist ihr Ein und Alles.

Ein Zugehörigkeitsgefühl kennt sie nicht. Die, die in diesem Start Up arbeiten und sich zur gehobenen Mittelschicht rechnen, zu denen gehört sie nicht. Sie hat sich aus einem eher sozialbenachteiligten Viertel hochgearbeitet, hat hier wohl den schlecht bezahltesten Job. Für den Kunden-Support, Beschwerden und für all die Arbeiten, die sonst keiner übernehmen will ist sie zuständig. Dafür oder deshalb schaut man auf sie herab. So empfindet sie das.

Fien Veldman, geboren 1990 in Leeuwarden (Friesland), studierte Literaturwissenschaft und arbeitete als Journalistin und Theaterkritikerin. Ausgezeichnet für ihre Essays, legt sie mit Xerox ihr Romandebüt vor. Eines, das für die, die lieber hören mögen, aktuell noch in der ARD Audiothek verfügbar ist. Es liest die deutsche Schauspielerin Maria Wördemann. Das ganz wunderbar einfühlsam, in rund 6 Stunden und 30 Minuten.

Schöne neue Arbeitswelt. Das Fien Veldman mit ihrem gesamten Personal namenlos verbleibt, unterstreicht die Gesichtslosigkeit, die sie hier der Zusammenarbeit und ihrer Idee einer Arbeitswirklichkeit verpasst. Aber ist das wirklich die unsere? Ich hoffe für viele, auch Einsteiger:innen in den Beruf, doch bitte nicht und das bei Euch, Ihnen, der Mensch noch als solcher zählen darf. 

Freistellung. Kollegen hatten sie belauscht, gepetzt, sie würde ständig telefonieren. Gehört hatten sie in Wirklichkeit ihre Gespräche mit Ihrem Drucker. Dafür wird sie abgestraft und auch zu Hause lässt man sie plötzlich nicht mehr in Ruhe. Ein blauer Zettel mit einer Botschaft, der wie eine Drohung klingt, klebt in ihrer Tür. Sie fühlt sich beobachtet. 

Ein Coaching gegen Burnout. Nur wenn sie mitwirkt wird weiter Gehalt gezahlt. So die Bedingung. Sie folgt. Wird belächelt. Wo soll bitte bei ihr eine Überlastung hergekommen sein? Dem Coach kann sie nicht die Wahrheit sagen. Gespräche mit einem Drucker? Also bitte. Sie sucht nach dem was er hören will, damit sie zurück kann. Zu ihrem Drucker. Denn was sie am härtesten getroffen hat, ist die Trennung von ihm. Er ist der einzige Grund warum sie sich an ihren Arbeitsplatz zurück sehnt. Ihr fehlt das Kümmern und das Umsorgen Ihres Gerätes. Die Verbindung zu ihm, die jetzt zu Hause in ihrer Innenwelt abgerissen ist.

Mobbing hat viele Gesichter. Man erkennt es nicht immer auf den ersten Blick und auch den Grund dafür nicht. Sich dagegen zu schützen ist schwierig. Die Frage wem glauben und wem nicht, stellt sich für die, die jetzt handeln müssen.

Hier ist offenbar jemand ganz anders als diese hippe neue Gesellschaft, die modisch allen Trends folgt, ernährungstechnisch vegan unterwegs, die erfolgsverwöhnt und in deren Familien und Lohntüten viel Geld ist, mehr als in der eigenen. Wie nach ihren Regeln spielen, wenn man sie nicht kennt?

Sich als Teil des Ganzen zu Fühlen. Danach verlangt es uns alle. Auf eine bisweilen skurile Art beschreibt Fien Veldman das genau das eben nicht immer gelingt. Das muss man mögen, ich bin da etwas zwiegespalten, weil ich zunächst nicht wirklich ran gekommen bin an ihre Protagonistin. Was aber genau auch die Absicht gewesen sein kann. Niemand kommt ihr schließlich in dieser Geschichte wirklich nahe. Niemand außer ihrem Drucker und als der sich sogar ebenfalls zu Wort meldet, wird es richtig schräg. Ich staune nicht schlecht, denn die Beobachtungen, die er macht und gemacht hat, geben der Geschichte Tiefe. Veldman baut die Sicht der Maschine stilistisch so ein, das alles sich wie selbstverständlich fügt. Ich höre auf darüber nachzudenken, ob das so sein kann und höre ihm zu. Er erzählt von verpassten Chancen, von Schlaflosigkeit, von Dingen, die in dieser Bürowelt sonst niemand gesehen oder gespürt hat. Erzählt davon, wie Menschen im Beruf zu ersetzbaren Marionetten werden. Von Intrigen und Absicht.

Ein stiller Aufruf für Toleranz und Empathie verbirgt sich in diesem modernen Plot, der dem Lebensgefühl der Generation, der die Autorin selbst angehört den Spiegel vorhält. Gegenwartsliteratur einmal anders. Mal wollte ich abbrechen, dann wieder zog es mich weiter, weil kluge Gedanken eingeworfen werden, wie Handgranaten. Dann schreckte ich auf und war ganz Ohr. Wie und wo soll das, wird das alles für sie enden?

“Niemand ist heute noch so wie er früher war … “Ängstlicher möchte ich nicht werden, realistischer schon.”

Textzitat Fien Veldman – Xerox

Gesichtslosigkeit, Gefühlskälte, Wegdrehen, Wegsehen und eine Vergangenheit, deren langer Arm bis in die Gegenwart reicht, reichlich dumme Sprüche, Lakonie und eine klare Sprache. Das alles darf man hier erwarten. Manchmal kleinteilig, manchmal mit dem Blick auf’s Ganze, mal trockenhumorig, mal traurig aber stets richtiggehend durchleuchtend und gegenwärtig, so erzählt Fien Veldmann und am Ende denke ich, diese Erzählstimme muss ich mir doch merken. Auch wenn ihr Thema, kein angenehmes ist. Nein, genau deshalb und weil sie so erzählt wie sie es eben tut und bei genauerem Hinsehen ist die Sache mit dem sprechenden Drucker gar nicht so schräg, sondern ein wirklich cleverer stilistischer Schachzug. Alle Achtung.

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