Wilde Erbsen (Mariken Heitman)

Alles außer flach dies war in diesem Jahr das Motto der Leipziger Buchmesse und Gastland waren die Niederlande und Flandern. Auch wenn ich diese Messe stets nur aus der Ferne verfolge, genieße ich das erweiterte Angebot, dass ich auf dem Buchmarkt immer dann bietet wenn ein Gastland sich auf einer Buchmesse präsentiert. Die Niederländer setzten in Leipzig nicht auf die großen bekannten Namen ihrer schriftstellerischen Garde, wie etwa Marten ten Haart, sie entsandten eine neue Generation junger Autor:innen in die Messestadt. Darunter Vien Feldmann, ihren Roman Xerox habe ich schon vorgestellt, Gea Schoeters <Trophae> liegt schon auf meinem Stapel. Die Entdeckung dieser spannenden Autorin, Mariken Heitman, verdanke ich ebenfalls der Entscheidung der niederländischen Kuratoren und dem Team von Klett-Cotta (Dankeschön für das Besprechungsexemplar!), die den Roman von Christiane Burkhardt ganz und gar wunderbar aus dem Niederländischen ins Deutsche haben übertragen lassen.

Mariken Heitman, geboren 1983, studierte Biologie in Utrecht und arbeitete mehrere Jahre in der ökologischen Landwirtschaft. Sie debütierte literarisch 2019. 2022 folgte ein weiterer Roman, der ebenfalls preisausgezeichnet wurde. Der Klappentext der Wilden Erbsen hat mir viel versprochen, eine Figur, die in keine Schublade passt, aber genau weiß, dass alles immer zum Licht wächst. Das hörte sich für mich nach Hoffnung an und wenn es eins in diesen Zeiten braucht, dann ist es Literatur die Hoffnung schenken kann und damit gehört Heitman ganz unbedingt in meine Bücher-Apotheke.

Wilde Erbsen von Mariken Heitman

Eigentlich hätten es Kürbisse werden sollen. Genauer gesagt eine Neuzüchtung. Sieben Jahre Entwicklung steckten in diesem Saatgutprojekt, in einem Wettrennen um eine neue Kürbissorte. Dann hatte die Konkurrenz allerdings die ihre früher auf den Markt gebracht und das Züchterrecht sah vor, das keine die gleichartig war auf den Markt durfte. Elke und ihr Team waren raus. Ihr Herzblut, ihre Energie alles war vergebens. Als ein Kollege jetzt die Idee mit den Erbsen auf den Tisch packte, also eine oder vielleicht die Ur-Erbsenart nachzuzüchten, hörte sie weg und tat es als unwirtschaftlich ab. Zunächst. Dann kündigte sie. Was sich wie ein Kurzschluss anfühlt, löste in Wahrheit einen Initialfunken aus …

Neue Natur, schwammiges Totholz, Bären und Tümpel. Willkommen im Naturschutzgebiet der Oostvaardersplassen nahe Amsterdam, das hinter Zäunen auf sechsundfünfzig Quadratkilometer, die größtenteils nicht zugänglich sind, ein Inseldasein führt. Der Seeadler ist hier der König, seine Untertanen Biber, Füchse, Wasserrallen und Eisvögel.

Werner ist mit ihr hier, er ist Ökologe, der nicht mehr Cello spielt, mit dem ganzen Körper, er hat jetzt Familie und ist noch mit Elke befreundet. Seit ihrer gemeinsamen Zeit im Schulorchester. Da hatte sie ihn an einem verschwitzten Abend abgewiesen. Um ihre Freundschaft zu retten. Wie sie sagt. Wie auch immer. Jetzt rannte sie mit ihm über die sorgfältig angelegten Wanderwege und war nicht seiner Meinung. Nicht nur wegen der Heckrinder, sondern wegen dieser erzwungenen, geschützten Ordnung, die man hier offenbar für Wildnis hielt und die ihn so begeisterte. Elke sah das anders. So wie einiges andere auch.

Mariken Heitman wählt zwei Erzählebenen für ihre Wilden Erbsen. Die von Elke in der Gegenwart und die von Ra, einem mythischen Wesen, das vor neuntausend Jahren in Vorderasien gelebt hat. 

Beide Erzählstränge berühren sich nicht und doch sind da viele Gemeinsamkeiten. Die etwa, als Person nicht den gängigen gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Wer sich abhebt von einer Gemeinschaft hat es gemeinhin schwer. Unangepasst sein, dazu gehört Mut oder eine gehörige Portion Verrücktheit. Elke ist anders. Lebt anders. Kleidet sich anders. Fällt auf. Das mochte ich gern. Und Ihre Zuversicht. Die auch. Ihren grünen Daumen. Ihren Blick auf die Natur, auf alles, was was wächst. Das sie Steine sammelt und an eine Seele im Herzen der Dinge glaubt. Das Zahlen, das Zählen sie beruhigt.

Heitmans Wechsel zwischen mythologischer Vergangenheit und dem Hier und Jetzt haben mir ebenfalls gefallen, das es bei ihr auch um Verbindungen geht, die wir nicht sehen, vielleicht noch spüren, die aber eben doch da sind. Die Verbindung zu dem was uns erdet.

“Ich vermisse die Erde …
Sie, die oberste Schöpferin, ist mehr als nur die Summe ihrer Teile wie Wasser, Luft, Mineralien, Sekrete, Totes, das einst gelebt hat, Totes, das nie gelebt hat, Totes, das einst
leben wird: das Leben.”

Textzitat Mariken Heitman Wilde Erbsen

Grausame Rituale in der Vergangenheit, die der Fruchtbarkeit des Bodens dienen sollen und nur ihm. Die Saat muss aufgehen. Immer. Zarte Blätter, Ranken wie dünne Ärmchen, Blüten und Früchte. Ra weiß auch was Warten bedeutet, wenn Wachstum sehnlich erwartet wird. Vertraut darauf. Das am Ende die Ernte reich wird. Aber das tut sie nicht und da ruft man laut nach einem Opfer. Sie ist in Gefahr und weiß auch das …

Vorsicht, Elke! Das Watt fällt trocken und der Boden ist noch nicht wieder fest. Sie ist unterwegs zu Onkel Filips Ferienhaus das auf einer Insel im Norden liegt. Ist unterwegs zu sich selbst. Nachgrübelnd über Zwergmenschen, Zwergelefanten, Riesenratten, Arten und Sorten die durch Isolation entstehen. Über Düngemittel und Schutzzonen, in denen Pflanzen ihre Widerstandskraft abtrainiert wird.

Hier ist Elke allein mit sich, mit der Frau, die sie nie geworden ist. Sie sind quitt. Sagt die andere. Die Frau in ihr. Elke glaubt das nicht. Andere sehen das auch so. Nennen sie androgyn. Sprechen Sie mit “Herr” an. Das aber fühlt sie genauso wenig.

Gemeinsam mit ihren Erbsen ist sie angekommen. In Onkel Filips Garten, wo ein Baum umgestürzt ist. Der Baum in dessen Äste sie als Kinder gestiegen waren. Der Baum hinter dessen Stamm sie sich hatten verstecken können. Jetzt rückte sie ihm mit der Kettensäge zu Leibe, wollte genau in dieses Loch säen. Ihre Erbsen.

Lasst Euch nicht täuschen. Die Kleinheit dieses Gemüses hat nichts zu tun mit der Bedeutsamkeit der Fragen, die Mariken Heitman stellt. Sogar die nach Binarität und ob es sie in der Natur gibt, sind dabei und wer aufmerksam ist, kann für sich eigenes herauslesen, das was anderen entgeht. Die Wilden Erbsen haben es in sich. Das Team Heitman/Burkhardt zieht nicht nur stilitisch alle Register. Ob das Etikett des Nature Writings passt? Keine Ahnung und das ist gut so. Diese Geschichte braucht kein Etikett. Sie darf und soll bitte für sich stehen. Strahlkraft hat sie genug!

Das Kind in uns nähren, Pläne schmieden, heißt dem Unglück des Nichterkennens ein Stück weit entkommen. Denn Fantasie öffnet Türen, erschafft Möglichkeiten. Je älter wir werden, desto mehr Fragen sind beantwortet, alles scheint entdeckt und doch, diese Protagonistin beweist es uns, da geht noch was.

Elke versucht ihren Blick zu öffnen und Mariken Heitmann uns bewusst zu machen, was wir verpassen wenn wir nicht hinsehen. Wenn wir die Einzigartigkeit die uns umgibt übersehen. Dabei hat Heitman keinen Achtsamkeitsroman geschrieben, schafft es aber trotzdem, diese Glöckchen in mir zum Klingen zu bringen. Vielleicht liegt das an der Langsamkeit die unsere Geduld einfordert, bis aus einem Samenkorn eine Pflanze gewachsen ist.

“Die Trockenheit kam gleich von mehreren Seiten, von oben, aus dem Süden, aber vor allem aus der Steppe. Unterwegs saugte sie die Feuchtigkeit aus schwach belaubten Kronen, fegte sterile Baumsamen zu raschelnden Haufen zusammen, jagte den Fluss zurück in sein Haus wie eine Schnecke. Trockenes Land wartet.”

Textzitat Mariken Heitman Wilde Erbsen

Vielleicht sind es auch die vergleichenden Bilder die Heitmann webt, ihre poetischen Sätze, ihre kritischen und klugen Gedanken. Nur langsam bin ich vorangekommen. Habe exzellent formulierte Sätze gedreht und gewendet. Mich an den Naturbildern erfreut, die sie mir in den Kopf gesetzt hat. Habe das Watt, die Erde, gespürt und gerochen, den Wind und die Samenkörner wie kleine Perlen in meinen Händen.

Kastrierte Blüten, Selbstbefruchter, diskutierende Kohlmeisen und ein Kettensägeneinsatz. Ich spitze die Ohren was Elkes Experiment angeht und staune nicht schlecht. Hier lerne ich was, derweil ich lesend in der Frühlingssonne sitze und die ersten Ameisen des Jahres auf ihrem Weg zur Arbeit vorbeiwuseln.

Mariken Heitman geht ins Detail und auch mit der Landwirtschaft ins Gericht. Ihr kritischer Blick auf Schattenseiten und Folgen, den Klimawandel, den Umgang der Wissenschaft mit beidem, der Versuch ihrer Heldin, die sich im Beruf geltenden Spielregeln unterworfen hatte und jetzt nach Verwilderung strebt, sind augenöffnend und ihr Mut herzerfrischend. Mit ihr steige ich ab in einen Keller, wo Spinnen Hauthunger haben, wo Kinderängste wohnen. Bleibe bei ihr, wenn sie danach sucht wen sie lieben soll. Mann oder Frau. Wenn ihr der Bauch brennt vor Zweifel aber auch vom Sehnen.

Wie mich diese Autorin erzählerisch eingefangen hat, ihre Sätze wortgewandt und poetisch zusammensetzt, das mochte ich so sehr. Ihr Schreiben, das manchmal direkt ist, dann nur andeutend. Es lässt mir Platz. Für meine Gedanken. Dann wieder ist es beinahe lyrisch. Damit ich darin schwelgen kann und das tue ich. Mal erschauernd, mal freudig und immer gespannt auf das kommende Kapitel. Bis zum Schluss. Und dann? Klingt ihre Sprache noch in mir nach. Merci dafür und verzeiht mir, ich konnte mich nicht kurz fassen. Denn diese Geschichte ist nicht zu fassen!

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