Wie tief ist das Wasser (Susan Hill)

Donnerstag, 21.05.2020

“Er hatte schnell gemerkt, dass ein Waffenstillstand zwischen ihnen nicht möglich war. Sie hatten einander gemieden, hatten sich eingeschlossen. Aber das Abwarten war erst der Anfang, es konnte so nicht bleiben. Wenn es in der Schule passiert wäre, wäre es vielleicht besser abgelaufen, sie wären in der Menge geschützt gewesen. Aber hier nicht.”

Textzitat Susan Hill Wie tief ist das Wasser

Stille Wasser gründen tief. Das weiß schon der Volksmund. Nicht selten sind oder waren es die Unscheinbaren, die Unvorstellbares, Unfassbares angerichtet haben. Über viele Attentäter hört man, werden am Ende die befragt, die sie kannten, sie seien so “normal” so “unauffällig” gewesen, bevor sie sich bewaffnet und z.B. eine Schule gestürmt haben. Um zwei Jungs geht es in dieser Gesichte, um zwei, die zu Intimfeinden werden und mir scheint, nicht nur einer von beiden ist ein stilles Wasser.

Schon gleich zu Beginn baut sich ein ungutes Gefühl in mir auf, etwa so, als kräusele sich Wasser an der Oberfläche. Noch kann ich nicht sehen, was durch die Wasserblasen hindurch nach oben aufsteigen wird. Noch nicht …

Wie tief ist das Wasser von Susan Hill

Das rote Zimmer war tabu, aber wer sollte ihn aufhalten in dieser mondhellen Nacht? Er war allein mit dem Vater im Haus und der Vater schlief. Tief und fest, und Edmund wusste wo der Schlüssel war. Kostbar war die Sammlung des Großvaters, die hier in Schubladen und Schaukästen verwahrt wurde. Die Bodendielen knarrten etwas als er eintrat um die zahlreichen Nachtfalter und Insekten in Ruhe und aus der Nähe zu betrachten …

Eulenrufe in der Nacht, das Heulen eines Fuchses, oder konnte das ein Wolf sein? Es raschelt und zischt unablässig im Unterholz und es ist kalt und nass. Der Hunger nagte an ihm. Dieser Fisch, den sie am Stock gebraten hatten war fast noch roh gewesen und die paar Kekse, viel waren nicht mehr übrig, mussten morgen noch für das Frühstück reichen. Was, wenn niemand nach ihnen suchte? Was, wenn man sie nicht finden wollte? Was, was, was …?

Er lag mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein! Nur kurz war er weg gewesen, hatte sie hier raus bringen wollen, es doch gut gemeint. Dünne rote Fäden zogen um den im Bach liegenden Kopf und trieben mit der Strömung davon. Er drehte ihn zu sich um. Auf den Rücken. Prüfte ob er noch atmete, die Beule an seinem Kopf war groß und sein Brustkorb hob sich nicht …

Susan Hill, geboren am 05. Februar 1942 in Scarborough, britische Autorin, wird vom Sunday Telegraph mit Golding und seinem Herrn der Fliegen verglichen, für die Stimmungen, die sie zu erzeugen versteht. Für mich hat sie eine große Begabung: Sie kann wie keine zweite Dinge zwischen den Zeilen stehen lassen. Sie hält unterschwellig eine Spannung aufrecht, die einen Seite um Seite schneller umblättern lässt, in Erwartung dessen, was hier wohl als nächstes passieren wird.

Ihr Roman spielt überwiegend in Warings, dem zu Hause der Hoopers, einem alten Herrenhaus. Hier wohnt eine Dunkelheit, die durch die hohen Hecken, die es umgeben noch verstärkt wird. Unzugänglich am Rande eines Dorfes gelegen, seit Jahren im Familienbesitz. Seine Bewohner etwas sonderlich, etwas abgehoben, immer wohlhabend. Mich fröstelt, schon bei der Ankunft, genauso wie Charles, genauso wie zuvor Edmund, das sich meine Nackenhaare aufstellen hat aber nicht alleine nur mit diesem Gemäuer zu tun. 

“Heute kommt Besuch. Nun wirst Du einen Freund haben.”

Textzitat Susan Hill Wie tief ist das Wasser

Dieser Satz ist der Anfang. Der Anfang vom Ende. Leise, intensiv und eindringlich hat Hill sie geschrieben, diese ihre Geschichte. In der die Bosheit wohnt. Kinder können grausam sein, sagt man. Besonders untereinander. Hier stimmt das. Und zwar auf’s Wort.

Macht über einen anderen zu haben ist das eine, es auszukosten sie wirken zu lassen aber ist etwas ganz anderes. Meine Herren! Oder sollte ich lieber sagen, mein lieber Junge! Dieses Kind ist böswillig und heimtückisch und gemein. Keine Ahnung, wie oft ich meine Hand zur Faust geballt habe. Gemurmelt habe, unfassbar ist das. So lange er einen anderen braucht fleht er. Tritt ihn aber in den Dreck, sobald er wieder Oberwasser hat. Mal agiert er subtil, mal lügt er, verleumdet und warum? Erziehung prägt, hier ist wohl was gründlich schief gelaufen.

Ein leicht unheimlicher Grundton liegt unter Hills Geschichte, so einer, dass man sich nie sicher sein kann, was einen um die nächste Wegbiegung erwartet. Was sich diese beiden Jungs wohl ausdenken, was sie aushecken werden um sich gegenseitig zu triezen. Sie führt zwei Fremde, Witwe und Witwer zusammen, die, so die Idee eine Patchwork-Familie gründen könnten. Das klappt schon, man (die Erwachsenen) müssen halt nur gut genug die Augen davor verschließen, was in den Köpfen ihrer beider Jungs, für die sie die Rolle “Freund” vorgesehen haben, vorgeht. Ei, wei!

Eingesperrt in einem Schuppen, in absoluter Finsternis. Huschen und Flügelschlagen in der Dunkelheit? Ob wirklich oder eingebildet spielt keine Rolle. Angst ist immer real.

Hier wohnen Urängste, deren Ursprung ich gut nachvollziehen kann. Albträume, Angstträume, der Mut der Verzweiflung und ein Fehltritt mit Folgen lassen nicht lange auf sich warten. Eine Flucht in den Wald, die alleine beginnt und die wider Willen einen Weggefährten findet. Besser man wäre alleine geblieben …

Aufgeben. So wie immer, weil ja sowieso niemand auf ihn hört. Das konnte er ruhig tun. Alles andere kostete auch einfach zuviel Kraft. Diese Sätze lassen mich fast verzweifeln. Wie ausgeliefert sich der elfjährige Charles gefühlt haben muss, als selbst seine Mutter dem fast gleichaltrigen Mitbewohner auf dem Leim geht. So muss es sich für ihn angefühlt haben und ich spüre wie trotzdem etwas in ihm aufbegehrt, sich aufzulehnen bereit ist, vielleicht hätte ich deshalb auch mit allem gerechnet, aber nicht mit diesem Ende. Es trifft mich wie ein Schlag. Wie ein Schlag in die Magengrube. Das kann sie einfach, die Susan Hill. Mich so eiskalt erwischen!

Ich muss mich schwer zusammen nehmen, denn jeder Satz mehr könnte ein Satz zuviel sein. Ein Satz, der zuviel verrät von dem, was sich zwischen diesen beiden Buchdeckeln ereignet. Drum lass ich es jetzt bei dem Gesagten bewenden, aber nicht ohne Euch diese Autorin noch einmal wärmstens zu empfehlen. Auch wenn Sie keine kunstvollen Sätze baut. Sie ist sprachlich klar, oft kurz gefasst und poetische Zeilen sucht man hier vergeblich, dafür hat es aber reichlich kleine Widerhaken, die dafür sorgen, dass man ihre Texte so schnell nicht wieder abschütteln kann. Für kommende Nebeltage habe ich mir aus der Gatsby – Reihe noch einen ausgeguckt und ich freue mich wie ein Kind, noch einen kleinen Vorrat an Hill-Geschichten zur Verfügung zu haben, den ich mir organisieren kann.

Last but not least, auch Wie tief ist das Wasser ist wieder wunderbar in Leinen gebunden. Allein diese Haptik, in die ich mich schon bei Stummes Echo verliebt hatte, ist es wert, sie alle besitzen zu wollen. Eine Zierde für jedes Bücherregal sind sie, lassen das Herz jedes Bücherwurms höher schlagen.

Verbunden mit dem Dank an den Kampa Verlag für dieses Rezensionsexemplar, verlinke ich auch noch einmal zu meiner Besprechung von Stummes Echo (Klick auf das Cover).

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