Wie sterben geht (Andreas Pflüger)

Die Glienicker Brücke, benannt nach dem nahegelegenen Glienicker Schloss, überspannt mit der B1 die Havel zwischen Berlin und Potsdam. Die 1907 eröffnete Eisen-Fachwerkbrücke trägt heute zwei unterschiedliche Grüntöne und lässt so die Grenze zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg erkennen, wo einst die Grenze zwischen amerikanischem und russischem Sektor verlief. Hier startet an einem Tag, an dem man den Schnee schon riechen kann, zu einer Zeit, von der man heute sagt, sie sei der Höhepunkt des Kalten Krieges gewesen, der neue Kriminalroman des diesjährigen Gewinners des Deutschen Krimipreises Andreas Pflüger. Hier soll ein Agentenaustausch stattfinden. Es wird ein Spektakel werden und der Showdown einer Geschichte, in die er uns Schritt für Schritt zurückführt:

Wer mit dem Tod tanzt, sollte wissen wie man führt.

Textzitat Andreas Pflüger Wie sterben geht

Wie sterben geht von Andreas Pflüger

Drohungen, Erpressung, Unterschlagung von brisanten Informationen, elektrische Zäune und Todesstreifen.

Nina Winter alias Dr. Elsa Opel, wird angeworben, “getippt” und im Auftrag des BND als Verbindungsführerin eines Agenten nach Moskau entsandt. Ihr Kontakt: Ein russischer Informant, Rem Adrianovic Kukura, KGB Oberst, Deckname “Pilger”, der ganz offensichtlich ihren Namen für diesen Einsatz ins Spiel gebracht hatte. Den Namen einer im Aussendienst unerfahrenen Schreibtisch-Analystin. Warum? Weil sie gut Russisch kann, Slavistik studiert hat? Weil ihr Vater beim BKA, der Chef der Spionageabwehr ist? Man hörte sie ab, weiß um ihr kompliziertes Verhältnis zu ihrem Vater. Man legt ihre eine geeignete Wahrheit vor, stellt sie vor eine Wahl, die keine ist und schon ist sie mittendrin. Im Spiel der Mächte um Informationen, darum, immer den einen Schritt voraus zu sein.

Ihre Ausbildung startet genau jetzt und soll in zwei Monaten das bewirken, wofür man anderen sonst Jahre zugestand. Technik, tote Briefkästen, Geheimschriften, Minikameras, jeden Morgen zehn Kilometer laufen, drei Stunden Schlaf. Müssen reichen. Sie lernt Schaden zu verursachen, Autos zu knacken, Gesetze zu brechen. Emotionale Distanz, bläut man ihr ein, die gelte es zu wahren. Jederzeit. Was einfach klingt, sollte am Ende das Schwierigste werden …

Andreas Pflüger, geboren 1957 in Thüringen, aufgewachsen in meinem Nachbarbundesland, dem Saarland, lebt und arbeitet heute in Berlin als Autor von Theaterstücken, Hörspielen und preisgekrönten Kriminalromanen. Zahlreiche Drehbücher für das Erfolgs-Fernsehformat Tatort stammen aus seiner Feder und sind teils auch aus einer Schreibpartnerschaft entstanden. Pflüger, der mit Ritchie Girl, erschienen bei Suhrkamp, einen vielbeachteten Roman über die deutsche Nachkriegsgeschichte vorgelegt und eine neue Heldin die Erzähl-Bühne hat betreten lassen, sagt von sich, er sei ein regelrechter Recherche-Junkie.

Was man auch seiner aktuellen Geschichte anmerkt, die durchdrungen ist von seinem Kenntnisreichtum über Gesetze und innere Strukturen internationaler Geheimdienste. Hans-Ludwig Zachert, ehemaliger Chef der Spionageabwehr des BKA bescheinigt ihm auch, kaum ein Autor könne so brilliant darüber schreiben wie er. Oha.

Nach einem fulminanten Auftakt geht es im weiteren Verlauf in die Tiefe. In die der Figuren und man auf darf auf höchster Geheimhaltungsstufe Mäuschen spielen. Ist auf Augenhöhe mit dem Geschehen und das Räderwerk der Geheimdienste habe ich so noch nie betrachtet. Interna werden zu Externa. Spielregeln erläutert.

Kollateralschäden. Dünnes Eis in einer arktisch kalten Stadt. Nina spielt nach den Regeln die sie gelernt hat. Diese Geschichte hat richtig Wumms! Das Feuilleton sagt <actiongeladen und sprachgewaltig>. Für mich sind Andreas Pflügers Dialoge direkt, seine Sprache trifft mitten auf die Zwölf und immer den Kern der Sache. Zimperlich ist was für die anderen, nicht für seine Held:innen. Alles sitzt, alles passt in seinem jetzt sechstem Roman. Seine Situations- und Szeneriebeschreibungen sind gleichermaßen literarisch und bildhaft, was seinen anspruchsvollen Krimi eben auch unterhaltsam macht.

Seine Nina, hat Herz, Verstand und den Mut, alles auf eine Karte zu setzen. Bis zum <rien ne vas plus>.

Inmitten der Welle. Markiert mit <Spy Dust>. <Maskirowka> meint Täuschungsmanöver.

Das Schicksal würfelt nicht. Lernt Nina Winter schnell und Geduld. Die sie haben muss. Denn ihr Kontakt lässt auf sich warten. Ihre toten Briefkästen bleiben leer. Zunächst.

Ihre Tarnung, – aufgeflogen! Ihre Courage,- noch intakt. Drei Männer sind auf sie angesetzt, man hält sie keineswegs für eine Randfigur. 

Ein wahrer Figurenreigen wird hier aufgeboten und man muss erstmal sortieren, um den Durchblick zu behalten. Wer ist Freund, wer ist Feind? Wer kann zum Feind werden? Vorsicht ist geboten und zu vertrauen gefährlich. Lebensgefährlich. 

Wie schmal dieser Grat ist zwischen Vertrauen und Verrat. Wie wenig der Einzelne in diesem Räderwerk der Mächte erkennen kann ob er nur instrumentalisiert wird. Der Glaube man könne den Lauf der Dinge günstig beeinflussen platzt wie eine Seifenblase.

Parks, endlose Alleen, Metrostationen und Paläste unter der Erde. Andreas Pflüger führt mich durch Moskau, als wäre er hier zu Hause. Raumverschwendung, Gold und Kristall, eine Bibliothek wie eine Stadt in der Stadt. Mit schlafwandlerischer Sicherheit schüttelt Nina hier ihr Verfolger ab. Wachsam. Auf der Hut.

Rasch wird für uns Leser deutlich, wie bedeutsam im Gleichgewicht der Welt Informationen sind. Welche stillen Kämpfe geführt werden. Hinter den Kulissen die wir zu kennen glauben. Was es mit den Menschen macht, die sich diesen Jobs verschreiben, voller Idealismus, das Richtige zu tun. Die Machtlosigkeit erleben und Verrat.

Eiskalt. So erlebe ich Nina und doch vermag sie auch zu lieben. Wo die Liebe hinfällt, darauf hat sie keinen Einfluss. Darauf, dass sie schützen möchte wen sie liebt aber vielleicht schon. Hoffe ich.

Ein Angreifer wird getötet. Ein Verfolger nicht. Ein Ausweg wird abgewählt. Ein Fehler? Spannend hält mich Andreas Pflüger am Text. Das versteht er vortrefflich. Sein Detailreichtum ist bemerkenswert, er fordert seine Leser:innen. Konzentration bitte, es gilt seine Verwicklungen zu entwirren.

Minus vierzig Grad, platzende Autoscheiben, leere Straßen, Licht aus Eis. Moskau im Winter. Ein halber Rubel wird zum Schlüssel. Aber diese Tür, ist eine Falltür …

Die Verwandlung, die seine Nina nimmt ist beeindruckend und zu erleben wie sie agiert, als die Hölle losbricht, packt einen so richtig. Ihr Weg hierher war weit und nicht nur drei Jahre lang. Viel hat sie gelernt, auch wie sterben geht.

Pflüger beweist auch, was ich in einem Thriller mitnichten so erwartet habe, ein Gespür für Kunst und Lyrik und lässt als Bindeglied zwischen dem KGB Oberst Kukura und seinem BND Kontakt Nina Winter deren Verehrung für die vielleicht bedeutendste russische Poetin Anna Achmatowa zu. Dieses Gedicht von ihr scheint mir sehr passend und ich möchte es gerne ergänzen, haftet Pflügers Helden doch auch ein Hauch Gewissenlosigkeit an. Irgendwie.

Die einen scherzen in der Nacht und küssen,
Die andern trinken, bis der Tag anbricht.
Mit mir verhandelt nächtens mein Gewissen,
Das klar und unerbittlich zu mir spricht.

Ich sag zu ihm: Wie lang soll ich noch tragen
Die Last von dem, was längst Vergangenheit?
Doch es erwidert: So darfst du nicht fragen,
Denn weder Raum gibt es für mich noch Zeit.

Britta Steffenhagen, geboren 1976 in Berlin, wo sie heute auch lebt, studierte Politikwissenschaften in Berlin und Dublin, arbeitet als Redakteurin und Radiojournalistin für radioeins. Als Hörbuchsprecherin hatte ich sie vor Jahren in Paula Hawkins Girl on the Train im Ohr. Für mich also ein Wiederhören in einem Krimi und was für eines. Sie gibt der Nina in der Hörbuch- Fassung von Pflügers packender Geschichte Körper und Gestalt, satte 15 Stunden lang, lauscht man ihr gebannt. Lebendig und eng an der Hauptfigur führt sie uns mit sicherer Hand, sortiert Informationen und greift stimmlich zur Waffe, wenn es notwendig ist. Ich bedanke mich herzlich für das Besprechungsexemplar bei Random House Audio.

Pflügers Plott dreht und wendet sich bis zum Schluß, ist clever konstruiert ist und versteht zu überraschen. Steffenhagen folgt man nicht minder atemlos, bangt, trauert und friert mit ihr. Bis zu einem Ende, das für mich die Garnitur aus Zuckerguss nicht braucht, die es doch hat. Das Agieren des KGB in jener Zeit hat mehr mit der unseren heute gemein als uns lieb sein dürfte und steht für sich. Sei es drum, vielleicht wollte sich Andreas Pflüger einfach auch nur die Tür zu einer Fortsetzung offen lassen. Was nicht das Schlechteste wäre!

Andreas hat ebenfalls inzwischen das “Pflüger-Fieber” gepackt, er hat eben einen Vorgänger-Roman von ihm beendet und hier in der Apotheke besprochen. Dort ist er beim BND einem Mann begegnet, der auch mir untergekommen ist und der auch weiß, wie sterben geht. Andis Leseeindruck findet ihr nach einem Klick auf das Cover von “Operation Rubikon“:

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