Sir Edward Coke, ein cleverer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, gilt als Urheber das englischen Sprichwortes <my home is my castle>. Coke, der sich seinerzeit auch gerne mal mit seinem König angelegt haben soll und daraufhin für ein paar Monate im Tower weggesperrt wurde, brachte ein Gesetz auf den Weg, das dem Staat ohne triftigen Grund den Zutritt zu Eigentum versagte. Bis heute gilt diese Rechtsvorschrift als Vorläufer des Hausdurchsuchungsbefehls und sorgt mit dafür, dass ein Haus ein Schutzraum für seine Bewohner ist. Wer sein Haus hingegen verlässt, seinen Füßen folgt Schritt um Schritt, dem mag so manches Abenteuer begegnen, das wussten auch die häuslichen Hobbits, die J.R.R. Tolkien aus der Feder geschlüpft sind und denen so einiges blühte, wie wir wissen. Ein Haus sammelt, nicht nur Worte, die hier gesprochen, Streitgespräche die ausgetragen werden, Gegenstände die man in ihm hinterlässt, sondern auch die Energie seiner Bewohner. Wenn es davon erzählen könnte …
“Ein Haus muss man lesen können. Was liest man denn?
Textzitat Jacqueline Kornmüller
Alle möglichen Versuche, am Leben gewesen zu sein.“
In Kornmüllers Erzählung geht es um ein kleines Haus aus Feldsteinen, auf dem Land, das seine Besitzerin und Bewohnerin nach rund zehn Jahren zu verkaufen plant. Da scheint sie allerdings die Rechnung ohne ihr Haus gemacht zu haben, denn kaum treffen die ersten potentiellen Käufer zur Besichtigung ein, begehrt es auf …
Das Bad im Keller wird zum Stein des Anstoßes. Für den Fragenden, die Prokuristin, den Blutdiamantenhändler aus der Schweiz. Sie alle fallen durch. Beim Haus.
Die Geister scheiden sich in der Grube. Die der Stillen, der Desinteressierten, der Fans, sie wandern durch seine Räume, sitzen auf Bänken im Garten und das Haus? Schaut sie mit großen Augen an. Schweigt sie an. Spricht nur zur Ihr. Seiner Bewohnerin.
Immobilientouristen geben sich weiter die Klinke in die Hand, ein Waldberg liegt dem Haus gegenüber, ihn hört man nur in der Nacht. Im Garten überschlagen sich Blüten und Gehölze. Es ist September.
Kat Menschik, geboren 1968 in Luckenwalde, gelernte Schaufenstergestalterin studierte Kommunikationsdesign und arbeitet heute vorwiegend als Comiczeichnerin und Illustratorin, auch für verschiedenste Magazine und Zeitungen. Beim Verlag Galiani Berlin, einem Imprint von Kiepenheuer & Witsch, sind mit diesem Schmuckstück hier, mittlerweile insgesamt 17 Bände einer Reihe erschienen, die “Lieblingsbücher” heißt. (Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für das Besprechungsexemplar.) Jacqueline Kornmüller hat mit ihrer Geschichte eine Erinnerung in Kat Menschik an ein eigenes kleines Haus geweckt und sie hat sie nicht nur illustriert, sondern sie wurde von ihr wahrhaftig verzaubert. Eine kleine Kostprobe aus diesem Kleinod füge ich an dieser Stelle ein, schaut mal, wie gut sich unsere Rose und ihr Bewohner, ein Rosenkäfer, eingefangen letzten Sommer, mit den Zeichnungen verträgt:
Jacqueline Kornmüller, geboren 1961 in Garmisch-Partenkirchen, studierte Geschichte und Kunstgeschichte in München, lebt heute in Wien. Die Autorin und Regisseurin, inszenierte zuletzt 2022 am Wiener Odeon Theater “Die unheimliche Bibliothek” von Haruki Murakami und brachte die Illustrationen von Kat Menschik daraus auf die Bühne.
Allein die Doppeldeutigkeit ihres Titels “Das Haus verlassen” hat es mir schon angetan. Es könnte darum gehen, das Haus zu verlassen für einen Spaziergang. Oder aber man lässt sein Haus zurück. Was immer, derjenige der uns nachfolgt dann in ihm bewirken mag. Wir gehen Bindungen ein, ein Leben lang. Mit Menschen, Haustieren, aber auch mit Dingen. Warum sonst geben wir unserem Auto einen Namen, also ich. Meines heißt Hildegard und verkaufen konnte ich noch keines bislang gut. Was sentimental ist, vielleicht. Vielleicht auch einfach nur spleenig. In jedem Fall mochte ich wohl deshalb auch diese Erzählung so gern. Weil ich mein Herz auch an Dinge hängen kann. Räume zu mir sprechen. Manchmal. Wenn ich mich frage, welche Farbe ihnen wohl steht.
Kornmüllers Ton, der plaudernd ist, vertraut und freundlich, den mochte ich auch. So wie dieses Haus ein im Grunde freundliches ist, was man nicht von einem jeden sagen kann. Also, von jedem Haus meine ich, manche lassen uns erschauern, lassen uns in kühlen Dielen stehen, knarrende Stufen nehmen, unter hohen Decken frieren, Nachts nicht schlafen, weil es laut und ganz unheimlich knackt. Im Gebälk. Oder anderswo.
Ach Mensch, ich bin schwer verliebt, am liebsten würde ich selbst hier einziehen, denn geht es eindeutig nicht um ein Haus, es geht um ein Zuhause. Um vier Wände in denen man sich aufgehoben fühlt. Beschützt.
Verschossen bin ich. Regelrecht. In die Lichtbrechung der kupferfarbenen Buchstaben auf diesem Cover, drehe das Büchlein immer wieder in den Händen. Es funkelt, zwinkert mich an, beinahe verschwörerisch. Ganz in dschungelgrün gehalten, mit ebenfalls kupferglänzendem Seitenschnitt, ist es das wohl Hübscheste, dass ich seit langem in der Hand gehalten habe.
Seine Geschichte betreten wir durch die grüne Tür eines Hauses, in dem sich seine Bewohnerin liebevoll eingerichtet hat. Die es, nebst seinem Garten, aus einer Art Dornröschenschlaf geweckt hat. Als es schon dem Verfall preisgegeben war, hatte sie erkannt, was in ihm steckt. Seine inneren Werte gespürt. Humorvoll, mit ein bis zwei Augenzwinkern, hat Kornmüller ihren Text gestaltet. Ganz zauberhaft greift Menschik diesen Ton Kornmüllers mit Farbe und Formen auf. Text und Zeichnungen verwachsen symbiotisch miteinander und man muss acht geben, sein Herz nicht zwischen diesen Seiten zu verlieren. Man braucht es doch noch, um sich für die Lieblingsbücher zu begeistern, die Kat Menschik noch gestalten wird.
“Manchmal bleiben wir rätselhaft” schreibt Kat Menschik in ihrem Nachwort, in dem sie erzählt, wie beeindruckt sie gewesen sei von der Inszenierung ihrer Illustration zu Murakamis “Bibliothek”, die ihre Bilder hat entstehen lassen ohne Bühnenbild und Farbe. Da ist er, der Raum für unsere Fantasie, als Leser:innen, als Betrachter:innen. Dem ist nichts hinzuzufügen! Außer: Dankesehr dafür, uns diesen Raum zu öffnen!
Schreibe den ersten Kommentar