Prima Facie (Suzie Miller)

Also Anwaltsserien, die mag ich. Eigentlich alles daran. Suits, A Good Wife, A Good Fight, Ally McBeal, ich habe ein Faible für die Integeren, die Wortgewandten, für spitzfindige Held:innen. Finde es großartig, wenn sich plötzlich Türen öffnen wo vorher Mauern waren, weil kluge Köpfe zusammenwirken. Wenn die Wahrheit zu ihrem Recht kommt, weil sie Helfer hat. Ach, diese großartige Christine Baranski, alias Diane Lockhart, die sich so leicht von niemand die Butter vom Brot nehmen lässt. Auch ihre Mandanten sind nicht alle unschuldig. Wie kommt man damit klar, jemanden zu verteidigen von dem man weiß, er ist schuldig? Diese Konflikte, die inneren Kämpfe mit der eigenen Überzeugung, faszinieren mich. Immer wieder neu.

<prima facie> meint lateinisch “dem ersten Anschein nach“. In der Rechtsprechung findet der sogenannte Prima-Facie-Beweis, der Anscheinsbeweis, hauptsächlich bei Unfällen oder Schuldzuweisungen Anwendung, wenn keine ausreichenden Beweise vorliegen und von einer Schadensursache auf einen Tatbestand geschlussfolgert werden kann. Das habe ich als Anwaltsserienfan nicht gewusst, sondern zugegebenermaßen vor dem Hören dieser Geschichte gegoogelt, weil ich wissen wollte, was ihr Titel bedeutet und eines kann ich versprechen, ohne zuviel zu verraten, hier hält so einiges dem ersten Blick nicht Stand! Für diesen Roman halte ich eine Triggerwarnung für unbedingt erforderlich, die expliziten Schilderungen einer Vergewaltigung und dessen, was sie in einer jungen Frau auslöst sind sehr erschütternd und realistisch wiedergeben. Damit greife ich ich jetzt vor, wer dran bleiben kann, dem bietet diese Autorin inkl. dem juristischen Kontext, in den sie ihre Geschichte stellt, allerdings eine ganz besondere an:

Prima Facie von Suzie Miller 

Tessa Ensler fällt auf. Auch als Strafverteidigerin. In London. Wo zumeist Jurist:innen aus Familien mit “altem Geld” den Ton angeben. Sie hat ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse. Hat sich hochgearbeitet. Befreit. Sich spezialisiert. Überwiegend verteidigt sie aktuell Männer, die aufgrund sexueller Übergriffe angeklagt wurden. Diese Fälle werden ihr vom Sekretariat ihrer Kanzlei zugewiesen, sie sucht nicht selbst nach diesen Mandaten. Bei ihr landen diese Fälle wohl, weil sie es versteht Zeug:innen im Zeugenstand so “auseinander” zu nehmen, das ihr Mandant als Sieger den Saal verlässt.

Dafür ist sie bekannt und diese ihre Handschrift hat ihr bereits viele Türen geöffnet. Sie hatte es geschafft. Könnte man meinen. Sie liebte das Gesetz, hielt sich daran fest, während andere das mit Traditionen taten und Statussymbole einer längst vergangenen Zeit einsammelten wie Trophäen. Tessa Ensler war anders. Keine von ihnen. Aber sie lernte schnell.

Suzie Miller, geboren in Melbourne, britisch-australische Dramatikerin, arbeitete als Strafverteidigerin mit besonderem Augenmerkt für Fälle von sexuellem Missbrauch. Da schreibt jemand, der weiß wovon. Der sich auskennt im inneren Kreis von Recht und Gesetz und in Bezug auf dessen Anwendung. Suzie Miller teilt dieses Wissen mit uns als Insiderin. Mit ungeheuerer Passion für das Detail schildert Sie die Wortgefechte ihrer Figuren im Gerichtssaal. Wie es sich anfühlt, den Fisch an der Angel zu haben, ihn zappeln zu lassen, bis Frau zum finalen Schlag ausholt.

“Prima Facie” schrieb sie ursprünglich als Theaterstück und gewann zahlreiche Preise in Australien dafür und auch den Oliver Award, der als die wichtigste Auszeichnung im britischen Theater gilt. Das Stück wird als Monodrama inszeniert. Auf diesem ihrem Theaterstück basiert ihr Debütroman “Prima Facie”, den Katharina Martl für den Kjona Verlag ins Deutsche übersetzt hat.

Die Hörbuch-Fassung, für die ich mich entschieden habe, ist ungekürzt bei speak low Berlin erschienen, ich darf mich an dieser Stelle für das Besprechungsexemplar bedanken, hält einen rund 10 Stunden unter Spannung. Es liest, die 1980 in Teheran geborene Schauspielerin und Moderatorin:

Pegah Ferydoni und zwar mit Leib und Seele. Ich kenne sie als streitbare Tochter aus der Kultserie “Türkisch für Anfänger”, im Kino war sie zuletzt an der Seite von Jürgen Prochnow zu sehen. Sehr gerne bin ich ihr auf der Spur von Tessa Ensler gefolgt. Ihr gibt sie stimmlich eine verletzliche Kontur, denn trotz all der Klugheit und Coolness, die Tessa nach außen trägt, ist sie genau das. Immer schon gewesen. Mit Pegah Ferydoni habe ich ihre Siege im Gerichtsaal ebenso gefeiert, wie ich Tessas schlimmste Stunde ertragen habe. Ferydoni löst das mit viel Empathie, einfühlsam und leidenschaftlich, nimmt sich selbst zurück um der dramatischen Entwicklung der Geschichte Raum zu geben und nicht sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Genau das, ihr Vortrag, macht diese Hörbuch-Fassung zu einer sehr empfehlenswerten für mich!

Als Suzie Miller ihre Geschichte dreht und ihre Tessa vor eine schwerwiegende Entscheidung stellt, sie die Konsequenzen erleben lässt, will man einfach nur die Fäuste ballen.

Da hat sie es endlich halbwegs geschafft die Fremdheit, das Gefühl, dass ihr ihre eigene Klassenzugehörigkeit beschert, beiseite zu lassen, hat trotzdem oder genau deshalb in dieser neuen Welt Freunde gefunden, denn auch die, die aus anderen Kreisen stammen erkennen, welches Potenzial in ihr steckt, da missbraucht sie genau einer dieser “Großkopferten”. 

Niemand steht über dem Gesetz, Tessa. Am eigenen Leib muss sie den Frozen-Fright-Effekt erleben, die Schockstarre, die sie bei Zeuginnen als Strafverteidigerin desöfteren selbst in Frage gestellt hat. 

Kollegen teilen sich in Lager. Tessa muss den Arbeitgeber wechseln um im Beruf weitermachen zu können. Verliert ihre Unbeschwertheit, hat jetzt Angst vor Nähe und Intimität. 

Erst 782 Tage nach dem Übergriff kommt es zur Verhandlung und Tessa betritt den Zeugenstand. Sieht sich erstmalig auf der anderen Seite des Anwaltstisches. Nimmt den Kampf auf. Ihr Glaube an die Unfehlbarkeit des Rechtssystems, dem auch sie dient beginnt zu wanken. Als Aussage gegen Aussage steht und das Sexualstrafrecht das Opfer des Übergriffes in Erklärungnöte bringt, nicht aber den Täter. Musste es nicht immer um eine Ausgewogenheit der Beweisführung gehen um die Wahrheitsfindung abzusichern? Sie musste sich einem Kreuzverhör unterziehen. Der Beklagte nicht. So wollte es das Gesetz, über das an diesem Tag im Saal nur Männer wachten, vom Gerichtsdiener bis zum Richter. Die Verurteilungsraten nach solchen Prozessen sind niedrig, ihr Anwalt hatte sie sanft darauf vorzubereiten versucht. Man würde sie in Misskredit bringen, ihre eigene Fehlbarkeit unterstreichen, die Schuldfrage in ihre Richtung zu verschieben versuchen.

Wühlte mich zu Beginn der Geschichte auf, wie dehnbar der Gerechtigkeitsbegriff für Tessa doch ist, etwa wenn Miss Ensler meint, sie sei nur eine gute Geschichtenerzählerin und das sei ein Staatsanwalt eben auch und nur Richter und Geschworene würden schließlich entscheiden, war mir das zu kurz gesprungen. Diejenigen die Recht sprechen, Urteile fällen (müssen), sollten sich auf Fakten stützen können, nicht nur auf die bestmögliche Variante ein und derselben Geschichte. Wenn sich Tessa das einredet um vor sich und anderen zu rechtfertigen, wie sie es schaffen kann auch den übelsten Typen rauszuhauen, dann mag das ihre Methode sein, den morgendlichen Blick in den Spiegel noch hinzukriegen. Das Suzie Miller sie dann erleben lässt, was sie erlebt ist eine unfassbar harte Schule, durch die sie erkennt wie das Rechtssystem in diesen Fällen funktioniert. Ein System, auf das auch sie einen Eid geschworen hat. Ein System, das von Männern für Männer gemacht scheint.

Wie sie dann aufsteht um zu kämpfen hat meinen vollsten Respekt. Erschrocken, erschüttert bis ins Mark, aber mit dem Mut der Verzweiflung und brennend vor Zorn. Wie sie die endlosen Detailfragen erträgt. Die Deutung der Gegenseite. Die jetzt öffentliche Demütigung. Die Scham.

Der Switch, den Miller ihrem Plot damit gibt ist grandios. Es macht ihren Roman zu einem wichtigen, der nicht nur, aber auch das Innenleben eines Systems spiegelt und Rechtsfragen aufwirft. Der realistisch aufzeigt, dass man nicht nur Solidarität erlebt, wenn man für die eigene Glaubwürdigkeit streitet und wie zerbrechlich diese im Grunde ist. Der Roman wird vielfach unter dem #meetoo geteilt. Er verleiht Sichtbarkeit wo hohe Dunkelziffern herrschen. Warum das so ist, wird auch bei Suzie Miller mehr als  deutlich. Die Opfer derartiger Übergriffe werden noch immer und häufig stigmatisiert, wird ihr Erleben bekannt. So wie in diesem Prozess, wo die Frage nach dem eigenen Mitwirken, der Ermutigung durch das Opfer in der Luft hängt wie ein übler Geruch. Wo eine Figur ihre Stimme und ihren Mut findet. Weil es genau das braucht. Eine bewegende Geschichte, der ich in diesem Fall viele Hörer:innen wünsche.

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