Wie Inseln im Licht (Franziska Gänsler)

Wenn wir jemanden verlieren, halten wir uns an denen fest, die noch da sind. Versuchen es. Erleben wie andere reagieren, die Einen kühl oder vielleicht auch gar nicht, andere mit ehrlichem Mitgefühl. Zwischen den Gegenständen zu stehen, die ein Leben ausgemacht haben, Lieblingspullover, Kaffeetassen, Bücher, Fotos, sie sortieren und weggeben zu müssen fällt so ungemein schwer. Die Trauer lauert zwischen ihnen um uns wie aus dem Hinterhalt anzufallen. Sie spülen Erinnerungen hoch, die lange vergessen waren.

Ein letztes Band ist zerrissen. Bis man mit Dankbarkeit gemeinsam verbrachte Zeit annehmen kann braucht es lange. Bis man loslassen kann auch. Allein zu sein mit diesem Prozess ist hart. Die Autorin Franziska Gänsler weiß das, sie lässt ihre Protagonistin mit nur einer Freundin und einem Vater zurück, zu dem es nicht wirklich Kontakt und Nähe gibt. Ein Vater, der sich, längst in einer neuen Beziehung lebend, als sie ihre Mutter verliert, sogar verweigert. Vor kurzem erst habe ich Anne Paulys autobiographische Geschichte “Bevor ich es vergesse” beendet und mit ihr den Vater beerdigt, in diesem Roman lerne ich Zoey Weiß kennen, die ihre Mutter los lassen muss …

Wie Inseln im Licht von Franziska Gänsler

Zoey hatte ihre Mutter gepflegt. Allein. Drei Jahre lang. Bis zum Schluss. Als sie den Kampf verloren geben musste, war Ari bei ihr sitzen geblieben. Am Küchentisch. Bis sie gekommen waren um ihn abzuholen. Den Leichnam.

Jetzt war Zoey wieder hier. In Frankreich. Am Atlantik. Wo sie sieben Jahre lang mit der Mutter gelebt hatte. Als Kind. Hier wollte sie sie kremieren lassen und ihre Asche verstreuen. Sie redete sich ein, dass es genau so sein musste. Hier war damals Oda verschwunden. Ihre jüngere Schwester. Damals fünf Jahre alt. Ohne eine Spur. Daran war ihre Mutter zerbrochen. Das glaubt Zoey zu wissen. Auch wenn sie sonst wenig Konkretes aus dieser Zeit erinnert. Jetzt, rund zwanzig Jahre danach. Kein Wunder vielleicht. War sie damals doch mit ihren sieben Jahren selbst noch ein Kind gewesen.

Sie hatten nie mehr über Oda gesprochen. Danach. Waren Hals über Kopf nach Berlin aufgebrochen. Zoey, hatte irgendwann aufgehört ihre Mutter zu bedrängen und auch das Foto ihrer Schwester von der Wand genommen. Versuchte zu vergessen. War sich irgendwann sogar nicht mehr sicher, ob es Oda wirklich gegeben hatte.

Ein Studium, Zoey liebte die Kunst. Edvard Munch, Tracey Emin, sie beginnt und pausiert. Wegen der Pflege der Mutter. Die von Außen und auch sonst keine Hilfe annahm. Die vorgab ein Einzelkind zu sein. Eine Waise. Schwanger mit siebzehn und dann erneut mit neunzehn. Der Vater, die Väter, waren nicht geblieben. Bei ihr und den Kindern. Was hatte diese Frau von Wien nach Frankreich verschlagen? Auf einen Dauercampingplatz?

Franziska Gänsler, geboren 1987 in Augsburg, studierte Kunst und Anglistik, mit “Ewig Sommer” legte sie  2022 ihren Debütroman vor, für den sie gleich zwei Preise erhielt. “Wie Inseln im Licht” ist ihr zweiter Roman und er macht mir Lust auf ihren ersten, den ich noch nicht kenne. Atmosphärisch dicht erzählt sie, unternimmt kleine Exkursionen in die Welt der Kunst, mit ihrer Heldin, die sich tastend und zaghaft in die eigene Vergangenheit vorwagt. Wie Bruchstücke mit rauen Kanten, wie Inseln im Licht ragen Erinnerungen aus dieser Vergangenheit heraus. Sie beginnt nach den losen Enden ihrer Geschichte zu greifen, fasst immer wieder daneben. Findet eine Unterstützerin, nach der sie gar nicht gesucht hat. Marlène. Eine Kellnerin.

Sprachlich mochte ich Franziska Gänslers Erzählen sehr. Ihre Sätze liest man gerne mehrfach. Ihre Formulieren hat Kraft und ist zart zugleich. Andeutend, zögernd, sich selbst und den Wahrheitsgehalt des eigenen Erinnerns in Frage stellend, schickt sie ihre Zoey auf die Reise. Als Leser:in beginnt man zu ahnen, da stimmt etwas nicht. Warum nur hatte damals niemand nach ihrer Schwester gesucht?

Detektivin im eigenen Leben. Erschüttert, verstört, in Trauer. Entfremdung, eigene Wahrheiten und Angst. Soviel Angst. Auf lediglich 206 Seiten kommt hier einiges unter. Wie gut kennen wir die eigenen Eltern? Welches Bild haben wir uns von ihnen gemacht? Konnten wir uns eigentlich machen? Haben wir es vielfach nicht nur zusammengesetzt aus dem was andere uns erzählen? Die Kindheit unserer Eltern, ihr Erwachsenwerden, ihre Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen und Träume, ihre Ängste. Sie fehlen uns meist. 

Wessen Wahrheit ist die eine? Irrational. Denke ich. So zu handeln ist doch nicht normal, wenn das eigene Kind verschwindet oder? Um welchen Kern kreise ich hier? Was war da noch? Als sich Zoey zwanzig Jahre später entscheidet die französische Polizei einzuschalten horche ich auf. Es wird spannend.

Franziska Gänsler hält diese Spannung, sie treibt mich im Plot voran. Aber ich kann nicht hasten, dafür sind ihre Satzbilder zu schön und Abschied nehmen geht schließlich nicht im Vorbeigehen. Ihre Hauptfigur kämpft, mit inneren Bildern, die dieser Ort in ihr hochspült. Es irrlichtert in ihr. Sie sucht nach Halt und Klarheit. Nach einem Weg auf dem sie weitergehen kann. Knüpft Kontakte und an, an das Leben der Mutter. 

Was sich zwischendurch wie ein Krimi anfühlt wird keiner. Das bleibt die Autorin ganz bei sich und der Trauerarbeit ihrer Hauptfigur. Emotional berührend, ohne einen Funken Rührseligkeit und sehr empathisch zeichnet Gänsler ihre Figur. Macht sie mit nur wenigen Wortstrichen nahbar. Gern war ich bei ihr, wäre ihre gerne eine Freundin gewesen. Ein Elternteil zu verlieren schmerzt anders. Ein Stuhl am Tisch bleibt für immer leer. Wer Erinnerungen auf ihn setzen kann, für den ist es leichter. Dann kann die Dankbarkeit nach und nach diesen Platz füllen. Man kann zulassen, das schöne Momente, gemeinsames Erleben nach Raum greifen. Das wünsche ich Zoey. Von Herzen. 

Wie auch zuvor Anne Pauly gelingt es Franziska Gänsler Zuversicht zu stiften, Lachen ist erlaubt, auch im Schmerz. Gefühle zulassen wichtig. Auch widersprüchliche. Vielleicht gerade jetzt. Weil wir, die wir zurückbleiben weitermachen müssen. Irgendwie. Die Geschichten beider Autorinnen, spenden Trost. Mich macht gerade ein eigener Verlust in der Familie traurig und nachdenklich. An vielen Stellen in diesen beiden Geschichten fühlte ich mich gesehen. Das obwohl Trauern so eigen, jeder Verlust für sich steht und für jeden anders ist. Gänsler reicht mir poetisch und feinfühlig die Hand mit ihrer Zoey, die noch soviel Weg vor sich hat. Good luck, Zoey!

Lieben Dank an die Autorin und das Team von Kein & Aber. Diese Geschichte hat zum richtigen Zeitpunkt zu mir gefunden.

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