Konrad Hermann Joseph Adenauer, erster deutscher Bundeskanzler von 1949 bis 1963. Seinen Namen, sein Wirken, kennen wir bis heute. Wer aber war die Frau an seiner Seite, waren die beiden Frauen, mit denen er verheiratet gewesen ist und die er früh zu Grabe hat tragen müssen? Frauen, mit denen er insgesamt sieben Kinder hatte. Der Autor Christoph Wortberg, geboren am 17. August 1963 in Köln, deutscher Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, hat sich diese Frage wohl auch gestellt und er erzählt uns in seinem aktuellen Roman von Adenauers zweiter Frau.
Ich hatte mich sofort entschieden seine und Gussies Geschichte zu hören, als ich gelesen habe wen Der Audio Verlag DAV, für seine rund siebeneinhalb Stunden dauernde ungekürzte Hörbuchfassung, herzlichen Dank für das Besprechungsexemplar, als Sprecherin hatte gewinnen können:
Claudia Michelsen, geboren 04. Februar 1969 in Dresden, hat mich bereits in zwei Hörbuchfassungen, in der von Gerda Blees‘, “Wir sind das Licht” und in “Niemals ohne sie” von Jocelyne Saucier begeistert, das obwohl oder gerade weil sie bei diesen beiden Produktionen mit anderen Sprecher:innen zusammen gelesen hat. Sie ragt heraus wie eine Insel aus dem Wasser, aus dem Chor dieser anderen Stimmen. Die Art ihres Vortrags, Pausen die sie macht und die mich ihren Worten nachhängen lassen. Ihre Sensibilität für den Text, ihre Einfühlsamkeit, lassen Sätze regelrecht glühen. Ihre Stimme sanft und eindringlich ist eine, von der man sich nicht mehr lösen kann und will. Untrennbar verbindet sie sich mit den Texten die sie liest. Das geht tief. So habe ich sie mir alle in Erinnerung behalten. Keinen davon wieder vergessen. Dank ihr. Mit Gussi wird es mir genauso gehen. Da bin ich mir schon nach den ersten Silben sicher. So ein gelungenes Hörbuch – und darum geht es:
Gussie von Christoph Wortberg
Als sie ihn 1915 kennenlernte, Herrn Dr. Konrad Adenauer, Vater dreier Kinder, hatte ihre Nachbarin und seine Frau Emma sie, Auguste Amalie Julie Adenauer “Gussi” Zinsser, eingeladen mit ihr zu musizieren. Bereits ein Jahr später musste Adenauer seine musikliebende Frau beerdigen, die tragisch an Nierenversagen verstorben war.
Adenauer war anders als die Männer die Gussie kannte und die im Haus der Eltern ein- und ausgingen, anders auf eine Art, die sie nicht einordnen konnte. Nachdenklich, ernsthaft, interessiert. Neunzehn Jahre älter, beinahe doppelt so alt wie sie, war er als 1918 sein Werben um sie begann. Er, Oberbürgermeister der Stadt Köln, sie Tochter eines Professors für Dermatologie. Eine höhere Tochter, vorgesehen und erzogen für die Ehe.
Sprung nach 1948. Konrad Adenauer sitzt an ihrem Bett und alle wissen, wir wissen, seine Frau Gussie wird sterben müssen. Sie ist jetzt 52 Jahre alt. Christoph Wortberg eröffnet einen Reigen von Rückblenden, die uns auch in Sicherheit bringen sollen. Wie seinerzeit Adenauer.
Ins Kloster Maria Laach. Der Abt, ein alter Schulfreund hatte Konrad aufgenommen, als die an Macht gewinnenden Nationalsozialisten sein Leben bedrohten. Ihn aus dem Amt jagten. Seine Bezüge strichen. Als ihr Leben in bescheidenem Wohlstand ein jähes fand und seine Frau und die Kinder Zuflucht in einer Krankenhauswohnung. Bedroht wurden, unter Druck gesetzt wähnte sich Gussie seine Frau plötzlich zwischen Himmel und Hölle. War das ihr Ende? Das Ende ihrer Ehe? Die stand fraglos auf der Kippe. Auf all die Musik in ihr, die noch ungespielt war hatte sie verzichtet. Für ein Leben mit ihm. An der Seite dieses strengen Mannes, der alles mit sich auszumachen schien, der seinen Kindern gegenüber den Gürtel sprechen ließ um ihnen zu vermitteln was Tugend seiner Meinung nach bedeutete. Jetzt entschied er auch über sie. Ihre Zweifel waren übergroß. War es ein Fehler gewesen, alle Widerstände zu ignorieren und ihn zu heiraten?
Wer war wem gefolgt? Zu Beginn. Letztlich waren sie beieinander geblieben. Hatten der Bespitzelung der SA Stand gehalten. Er hatte ausgehalten, hatte aushalten müssen, dass die Gestapo ihn abholte. Sie, das sie wochenlang nichts von ihm hörte und vom Schlimmsten ausgehen musste. Derweil man ihre Kinder in der Schule ächtete, wer verhaftet wurde musste schließlich schuldig sein und sie am Ende ebenfalls vorlud …
Christoph Wortberg führt uns kundig durch die Lebensabschnitte von Adenauer und seiner Gussi, die er sich zu erzählen ausgesucht hat. In einem Nachwort stellt er klar, die Briefauszüge, die er den Kapiteln vorangestellt hat seien fiktiv, aber an Originale angelehnt. Anderes wiederum, wie z.B die Todesanzeige von Gussi, oder ihren Wahlaufruf habe er historisch genau verwendet. Er verdichtet dramaturgisch, zeichnet das Bild eines würdevollen, integeren Mannes, der seinen Überzeugungen folgte und nicht seinem Gefühl. Das einer Frau, die sich in ihrer Rolle als Politikergattin mit eigener Identität erst finden musste und das auch geschafft hat. Erzählt ihre Geschichte von ihrem Sterbebett aus, wo die Szenen wie von einem Projektor an die Wand geworfen vor uns ablaufen. Gedankenströme und Dialoge ergeben ausgesprochen szenische Bilder. Bühnenreif ruft diese Geschichte für mich ganz laut nach einer Verfilmung. Am liebsten wäre sie mir dann halbdokumentarisch.
Gerne bin ich mit Wortberg und Gussie durch ein Stück deutscher Geschichte gewandert, wie durch ein Gemälde aus Sitten und Gebräuchen jener Zeit. Habe Gussie begleitet in ihrem Streben die richtigen Fragen zu stellen, nicht die nach dem “was wäre gewesen wenn”. Das weiß schließlich niemand, denn es war ja nicht, so Wortberg.
Sprachlich gewandt, flüssig und voller Empathie für seine Figur, richtet Wortberg meinen Blick auf eine Frau, die vor allen Dingen und durch ihren Vater, einen Freigeist und Selbstbewusstsein entwickelt hat, etwas, das für diese Zeit alles andere als selbstverständlich gewesen ist. Ein Mädchen, das aufwachsen durfte in einer Welt voller Wunder, aus Chemie und Physik, der ihr Vater zeitlebens Halt gewesen ist und Orientierung. Im Gegensatz zu ihrer Mutter. Zu der sie zeitlebens auf Abstand geblieben ist und die zu ihr.
Es ist spannend zu verfolgen wie Gussie wächst, ihren Weg, ihren Platz, eine Aufgabe findet und man leidet mit ihr, weil der Tod sie so früh geholt und so gequält hat. Diese mutige und auch beherzte Frau, die ihrem Mann eine Ratgeberin auf Augenhöhe, eine Freundin, Geliebte und Unterstützerin gewesen ist, eine Mutter, die sich, vor eine unmenschliche Wahl gestellt, selbst eine Verräterin nannte. Die Häscher des Dritten Reiches packten sie, weil ihnen das, was ihren Mann anlangte, nicht gelang …
Das Leben schreibt die besten Geschichten. So viele davon sind bis heute unerzählt. Ich schließe gemeinsam mit Gussi die Augen, ihr Blick ist nach innen gerichtet, sie schaut auf das Leben, das hinter ihr liegt. Auf die guten und die schlechten Zeiten. Mit ihr auf ihren Gedanken zurück in der Zeit zu reisen, zu erleben wie sie wiegt, misst und wertet, liebt und leidet hat mich berührt.
Auch diese Flucht, mit List und Tücke. Die Verhöre. Gussi bricht. Sie hätte es ahnen können, wissen müssen. Das Konsequenzen auf ihr Handeln folgen würden. War zuversichtlich gewesen. Weil sie das immer wahr. Es vom Vater so gelernt hatte.
Schuld und Scham. Ein Selbstmordversuch. Vereitelt. So vieles das unausgesprochen bleibt. Zwischen ihnen. Agranulozytose. Diese Krankheit würde sie also umbringen, nicht die Nagelschere von einst.
Packend erzählt Christoph Wortberg, von einer Frau deren Opferbereitschaft beeindruckt und die weit mehr war als die Frau an der Seite eines prominenten Mannes, die weit ging für den Familienzusammenhalt. Für die, die sie liebte. Die vor die Wahl gestellt eine unentscheidbare Entscheidung trifft. Alle Fans starker Frauen und historischer Geschichten: Bitte lesen oder wie ich hören! Ja, gerne hören. Denn, ich wiederhole mich. Claudia Michelsen ist ein wahrer Segen für diesen Text!
“Das eigene Handeln ist der Raum zwischen dem Ich und den anderen, denkt sie. Das Schicksal der Raum zwischen Zufall und Konsequenz.”
Textzitat Christoph Wortberg Gussie
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