Weggehen für Anfänger (Cvetka Lipuš)

Im Jahr 1986 wurde mit Indien im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die Tradition eines alljährlichen Gastlandauftrittes inklusive Rahmenprogramm und eigenem Pavillon gegründet. Seither durften wir Literaturfans auf diesem Weg viele spannende Entdeckungen machen und uns rund um die Welt lesen. Traditionell starte ich meinen Messerundgang immer in den Räumen des Gastlandes und war in diesem Jahr besonders angetan von der Ausgestaltung die Slowenien, ein Land das ich literarisch bislang so gar nicht wahrgenommen hatte. Ich schiebe mal ein paar Fotos ein an dieser Stelle, für alle die meinen Messebummel auf dem Blog verpaßt haben:

Eine Schriftstellerin habe ich dort entdeckt, noch verrate ich nicht welche, deren Arbeit ich ungemein faszinierend finde und diese Dichterin hier hat mein Herz im Messesturm erobert:

Cvetka Lipuš wurde 1966 in Bad Eisenkappel/Železna Kapla geboren, lebt heute in Salzburg. Die Lyrikerin studierte Komparistik und Slawistik in Klagenfurt, sowie Bibliothek- und Informationswissenschaften in Pittsburgh. Veröffentlicht wurden  bislang acht ihrer Gedichtbände. Lipuš schreibt in slowenischer Sprache und für diese zweisprachige Ausgabe des Otto Müller Verlages hat Klaus Detlef Olof ihre Verse ins Deutsche übertragen und wie. Genau hier möchte ich, die des slowenischen nicht mächtig ist und die damit keinen Vergleich hat, trotzdem Klaus Detlef Olof feiern. Die Melodie, die er den Versen von Lipuš im Deutschen mitgibt fand ich einfach großartig. Wirklich jedes Wort sitzt, jeder Punkt, jedes Komma, das mich zwischen ihren Gedanken Atem holen und genießen lässt.

Nur bei Cvetka Lipuš hat es Landschaften, die mit Worten befrachtet sind. Geht die Sonne vor der Finsternis in die Knie, wandert Schweigen von Generation zu Generation, kehrt man den Schatten den Rücken. Blitzt in der Faust die Rache. Wird Gewesenes  abgezogen von Künftigen, bleibt unterm Strich die Gegenwart.

Sie trifft den Nagel so oft auf den sprichwörtlichen Kopf, dass ich am liebsten alle Gedichte aus dieser Sammlung zitiert hätte und es fällt mir schwer zu entscheiden welches mir das Liebste war. Zum Glück muss ich mich nicht entscheiden, ich darf sie alle mögen und das mache ich auch. Wenn ihr einem Lyrik Fan in diesem Jahr noch ein Geschenk machen wollt, oder vielleicht auch im nächsten, dann greift nach Weggehen für Anfänger. So klug und wunderbar! Enthalten die Verse von Cvetka Mut, Trost, Lachen und Weinen. Fremdes wie Alltägliches und einen offenen, so aufmerksamen Blick auf das was sich Tag für Tag vor unserer Nase tut.

Ach, was mochte ich z.B. diese Anleitung zum Gebrauch des Montags gern, <nimm ihn wie ein Croissant>, meint Lipuš, <irgendwo in der flaumigen Masse wartet die Füllung>. Mit Cvetka vergesse ich die Vergangenheit, aber die erinnert sich an mich, auch wenn ich ihr sage, <komm bloß nicht in meine Nähe, wir sind fertig miteinander.> Solche Sätze lerne ich von Cvetka Lipuš, will sie mir behalten. Sie auswendig lernen. Zum “mir immer wieder vorsagen”. Um ihren Worten nachzuhängen. Sie nachklingen zu lassen.

So oft hat sie recht, finde ich. Findet die richtigen Worte. Solche die passen. Wie angegossen. Mit ihnen und ihr wandere ich, auf Straßen die mich von mir fortführen, um mich herum, durch mich hindurch. An ihrem schwindelerregenden Abgrund bin ich gestanden, habe Mut gefasst, den Kopf geschüttelt, beifällig genickt. Das Leben kam mir entgegen. Aus ihren Zeilen. Aus ihren Gedichten, über die sie selbst auch schreibt:

ÜBER EIN GEDICHT

Die Straße führt durch die Strophen,
Korn reift im Elfsilber,
im Rückspiegel verschwindet ein Haus,
gebeugt, das steile Dach auf den Schultern,
beobachtet es den Vorbeimarsch der Leser,
wie sie Silben zum Reim versammeln.
Verblasste Buchstaben passieren eine Eiche,
amVersende ein schwindelerregender Abgrund,
darunter vergessene Wörter,
schon lange hat sie kein Auge besucht.
Den Regen trinkt man auf ex,
ebenso die nassen Tränen.
Geschickt wie beim Handballspiel
werfen sich die Zeilen das Unglück zu.
Rasch eilt der Fluss durch die 
jambische Landschaft,
er versickert, wenn die Hand das Blatt wendet.

Der slowenische Schriftsteller und Dramatiker Drago Jančar nennt Lipuš in seinem einleitenden Vorwort eine große Dichterin und findet in ihren Versen hinter heiterem Lächeln eine Spur Bitterkeit, Ironie und eine dunkle Melancholie. Schließe ich mich dem Urteil des bedeutendsten zeitgenössischen Autors Sloweniens an oder habe ich die Gedichte von Cvetka Lipuš anders erlebt?

Gerne würde ich ihn übertreffen, in dem ich meine Begeisterung in Worte fassen. Das wird wohl nicht gehen. Sie fehlen mir gerade. Die rechten Worte. Bei Cvetka reimt sich nichts, aber man kann sich auf alles was sie sagt einen Reim machen. Als Beobachterin ist sie genau und im Detail, sie versteht es Gefühle auszudrücken, als wäre es das Selbstverständlichste es so wunderschön zu tun. Sanft und treffsicher dringt sie vor zum Kern der Dinge und ich weiß wieder warum mir Gedichte so gut tun!

Mit großer Vorfreude und auch mit ein wenig Ehrfurcht hatte ich ihre Gedanken zur Hand genommen, nachdem ich sie im Gastlandpavillon Sloweniens vor ein paar Wochen entdeckt hatte. Ein wenig Furcht hatte ich davor, es könne zu viel Traurigkeit in ihnen stecken. Irgendwie gab mir der Titel das ein. Es kam ganz anders, ich durfte mir stattdessen eine ganze Welt erlesen. Gedankenfacetten einer wachen Beobachterin genießen. Ohne die Messe und die eingangs erwähnte Idee Literatur aus anderen Ländern auf diese Weise sichtbar zu machen, wäre ich an so viel literarisch wertvollem achtlos vorbeigegangen, wohl auch an dieser Dichterin. Bewusst hätte ich mich eher nicht nach Autoren aus Slowenien umgeschaut, ihre Lyrik verpasst. Was hätte ich versäumt! Jetzt glaube ich, gerade für seine Lyrik muss man Slowenien und seine Autor:innen unbedingt auf dem Zettel haben.

Ein weiteres Beispiel für die starken Frauenstimmen aus diesem Land gibt mir gerade Maja Haderlap. Von ihr erlausche ich mir über die ARD Audiothek ihr “Nachtfrauen“, aus dem Suhrkamp Verlag, stelle fest, dass sich die beiden Schriftstellerinnen nicht nur gekannt, sondern auch gemeinsam als Herausgeberinnen gewirkt haben. Die Welt ist ein Dorf. Eins, zwei, drei, es könnte nicht besser passen, es geht beiden um die Zeit, im Vorgriff und im Rücksprung und um das Erkennen, dass wir uns wenn, nur gegenseitig etwas schuldig sind:

Wir zählen ab (5)

Gewesenes wird abgezogen von Künftigem,
unterm Strich bleibt die Gegenwart.
Wir reisen durch sie hindurch
vom Herzschlag bei der Ultraschalluntersuchung -
ein pulsierender Stern auf schwarzem Bildschirm -
bis zum Hinstrecken auf den geraden Strich
des Kardiogramms.
Ewigkeit währt nur so lange, wie uns die Erinnerung
von Generation zu Generation summiert,
Erinnerung bleibt nur, solange wir sie der 
Zeit abkaufen,
doch die ist niemandem etwas schuldig.

Es geht Schlag auf Schlag, ich fliege durch die Seiten. Blättere zurück, lese nochmal. Langgedichte folgen auf Kurzgefasstes, auf Zeilen aus Gold. Auf Sätze, die im Feuer geschmiedet worden sind. Im Feuer der Formulierleidenschaft. So oft hat sie recht. Die Cvetka. Sagte ich das schon? Noch immer stimmt es. Ich bin bei ihrem letzten Gedicht angekommen. Es heißt <Das Zeichen> und fordert mich auf Steuermann meines Schicksals zu sein. Niemals habe ich mir auf einer Landkarte, die Welt so angeschaut, wie mit dieser Dichterin. Bei einigem anderen rückt sie meinen Blick zurecht. Drum überlasse ich ihr auch den letzten Satz, weil ihn muss ich noch zitieren, der Otto Müller Verlag, dem ich ganz herzlich für dieses wunderbare Besprechungsexemplar danke, möge es mir verzeihen:

<Die Fingerspitze berührt den Namen einer Stadt, die der Sieg in Militärstiefeln besucht hat – große unversehrte Druckbuchstaben,
unterm Fingernagel nicht die geringste Spur von Staub oder Asche.> 

Auszug aus Der Atlas von Cvetka Lipuš
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