Als das Habsburger Reich in den 1920ziger Jahren zerfiel und Deutschösterreich als Republik ausgerufen wurde, lebte mehr als die Hälfte der Slowenen im österreichischen Südkärnten. Eine Volksbefragung klärte, sechzig Prozent der Slowen wollten zu Österreich gehören, das Versprechen ihre Kultur und Sprache dürfe dabei erhalten bleiben, wurde im Verlauf der Geschichte aber gebrochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand man ihre Sprache als minderwertig und die konservativ katholischen Kärtner taten sich schwer mit der Sympathie, die viele Slowenen Tito und seiner Politik im ehemaligen Jugoslawien entgegen brachten. Es kam zu Ausgrenzungen, besonders die slowenischen Frauen hatten darunter zu leiden, vielfach ging man roh mit ihnen um, verwehrte ihnen den Zugang zu Bildung und Aufstiegsmöglichkeiten.
Die zweisprachige Autorin Maja Haderlap, die auf einem Bergbauernhof im Jauntal, im Klagenfurter Becken, im Schatten der mächtigen Karawanken aufwuchs, verortet ihren zweiten Roman “Nachtfrauen” genau hier, im fiktiven Örtchen Jaundorf, im Jauntal. Hier erwarten uns eine Mutter (die Tagelöhnerin Anni), eine Tochter (die Bibliothekarin Mira), eine Großmutter (Agnes) und eine ehmalige Tante und Partisanin.
Mutter Anni und Tochter Mira trennt ein Trauma, das bis heute ungeklärt zwischen ihnen steht. Der Vater, ein Holzfäller wird von einem fallenden Baum erschlagen, als seine Tochter ihm seine Brotzeit bringt. Zeitlebens gibt sie sich die Schuld am Tod des Vaters, der für ihre Mutter, die allein mit zwei Kindern zurückblieb und sich als junge Witwe den Nachstellungen zahlreicher Männer ausgeliefert sah, alles veränderte. Bis heute, gibt sie im Stillen wohl ebenfalls ihrer Tochter die Schuld. Die Tochter flieht, studiert und entfernt sich nicht nur räumlich, sondern auch durch ihren bildungsbürgerlichen Aufstieg von ihrer Mutter, die sich ihr gegenüber minderwertig fühlt. Wie lässt sich eine solche Fremdheit überwinden? Wie vergeben, wenn man nicht vergessen kann? Anni muss ihrerseits vergeben, will vergessen. Auch ihr Verhältnis zu ihrer Mutter Agnes war belastet. Sie wuchs auf, überschattet von der Kühle der Mutter, die sie in ihrer Erinnerung “die dunkle Bergkönigin” nennt …
“Das Dorf beanspruchte seinen Platz. Es bestand darauf sich zwischen miras Erinnerungen zu schieben. Es wuchs und schrumpfte, es glühte und dunkelte. Es gehörte zu miras Gesicht und alterte mit ihr.“
Textzitat Maja Haderlap
Nachtfrauen von Maja Haderlap
Stadtmensch, Abtrünnige, auch drei Jahrzehnte eines Lebens in der Stadt hatten es nicht vermocht, dass man sie anders sah. Für sie selbst waren Gedankenreisen in das Dorf ihrer Kindheit eine Zuflucht. Packte sie allerdings wieder einmal körperlich die Koffer, kostete es sie Überwindung. So wie jetzt und heute, als sie sich auf den Weg machte um ihre gebrechlicher werdende Mutter davon zu überzeugen, dass sie würde umziehen müssen.
Als Mira ankommt, schlüpft sie in ihr Gestern, legt den Dialekt ihrer Kindheit an und weckt die Mutter, die in der Küche eingeschlafen ist auf Slowenisch. Beide sitzen kurz darauf bei Endiviensalat mit Speckstreifen und Erdäpfeln zusammen und wissen nicht so recht was sie miteinander bereden sollen. Also eigentlich schon, aber da steht etwas zwischen ihnen. Ich spüre es bis hierher. Es fällt Mira schwer nicht bevormundend oder übergriffig zu sein, angesichts der Ordnung die jetzt offenbar neu zum Leben ihrer Mutter Anni gehörte, abgelaufene Lebensmittel inklusive.
In der Stille der Nacht ihrer Schlaflosigkeit begegnend, ist es auch nach Einbruch der Dunkelheit diesmal schlimmer als sonst nach Hause zu kommen. Mira lauscht auf die Geräusche des Hauses und auf die ihrer Mutter, die bis weit nach Mitternacht in ihren Schränken räumt.
Gefangen in einer Akademikerehe, kinderlos, unglücklich. So erkennt sich Mira, als sie in ihrem Heimatdorf ihrer Jugendliebe Jurij wiederbegegnet. Sie lässt sich auf ihn ein, als wäre es mit ihm an ihrer Seite leichter den Geistern ihrer Vergangenheit zu begegnen.
Mira unternimmt den Versuch einer Annäherung zu einer Zeit, in der sie die Mutter dazu bewegen soll das Haus zu verlassen, in dem diese ihr Leben verbracht hat. Hier war sie aufgenommen worden von ihrem Bruder und seiner Frau, als sie nicht wusste wohin. Der Erbe will es nun umbauen, eine Tischlerwerkstatt soll entstehen, ein Umzug ins Altersheim soll Annis Alternative sein …
Maja Haderlap, geboren am 8. März 1961 in Bad Eisenkappel/ Železna Kapla (Kärnten) geboren. Haderlap studierte Theaterwissenschaft
und Germanistik, arbeitete als Lehrbeauftragte an der Uni Klagenfurt und als Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt, bevor sie 2011 für einen Auszug aus ihrem Debütroman <Engel des Vergessens> mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Ihrem Romandebüt gingen ihre Lyrik Veröffentlichungen in slowenischer Sprache voraus.
Ihr Roman Nachtfrauen stand in diesem Jahr auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises, am 06.11.23 haben wir erfahren, dass ihre diese Trophäe zwar entgangen ist, dafür hat sie 2018 den Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich, den Österreichischen Kunstpreis für Literatur 2019 und den Christine Lavant Preis 2021 abgestaubt.
Eben erst habe ich den Lyrikband Weggehen für Anfänger von Cevtka Lipuš zugeschlagen. Lipuš war neben Florian Hafner und Haderlap in den Neunzigern Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift “Mladje” und ist wie letztere ebenfalls in Bad Eisenkappel geboren. Was für ein Zufall denke ich, beide Frauen unabhängig voneineinander gerade jetzt für mich ausgesucht zu haben und es könnte nicht stimmiger sein!
Die Prosa von Cevtka Lipuš hat mich sehr berüht und auch Maja Haderlaps Sprache, die präzise und nachdenklich von Vergangenem erzählt, das sich mit dem Hier und Jetzt mischt, mochte ich sehr. Haderlap lässt sich Zeit, beobachtet sehr genau, findet passende Entsprechungen, um Gefühle in Worte zu fassen wie ein Juwelier ein Schmuckstück. Damit kommt sie mir sehr nah, gleich ob man diese Stiefel kennt, in die sie ihre Hauptfiguren stellt, oder ob sie einem fremd sind.
Die Fremdheit ist es auch, die wie ein Schleier über dieser Geschichte und über diesem Bauerndorf in Kärnten liegt, wo Haderlap eine Vielzahl von Themen verhandelt. Eine Mutter Tochter- und Familiengeschichte zeichnet, das schamhafte Erwachsenwerden einer jungen Frau vor dem Hintergrund der slowenischen Minderheit in Kärnten aufzeigt, Partisanenkämpfe und ihr Nachwirken aufdeckt.
Die Stärke dieses Romans liegt für mich in diesen zahlreichen schwelenden Glutnestern, die Haderlap in ihrer Geschichte am Kokeln hält. Sie ist sehr im Detail wenn sie erzählt, da gibt es Rezepte und Kisten, deren Inhalte sie vor uns ausbreitet. Eine starke und interessante Mutter, die auf den ersten Blick nach einer einfachen Frau aussieht, die ihre Kinder lediglich durchzubringen hatte. Überhaupt ist es, wie ich finde der zweite Blick, der sich hier lohnt. Insbesondere auf den zweiten Teil des Romans, der für mich wie ein eigenständiger wirkt und der so die Brüche im Leben seiner Figuren nochmals unterstreicht.
Ich atme am Meer durch mit Mira. Sie fühlt sich befreit. Befreit davon auf der Suche zu sein. Nach dem eigenen Platz im Leben. Was schwer ist, wenn Familie und Freundschaft trennen statt zu verbinden. Wenn Überforderung statt Vertrauen herrschen, wenn der Kitt fehlt, der alles zusammenhält.
Haderlap erzählt von der Suche nach Identität, eine fremde, aufgezwungene Sprache, das Verbot der eigenen, wirkt dabei wie ein Keil. Behutsam und mit Umsicht führt sie ihr Personal zurück, damit sie sich aus dem Heute an das Gestern erinnern. Wie lange es dauert, bis sich geklärt hat, was zu klären ist. Sehe ich da einen mahnend erhobenen Zeigefinger zwischen den Zeilen, der uns auffordert, sich nicht ein Leben lang Zeit zulassen mit dem Ankommen?
Eine dichter Text ist ihr gelungen, mit ruhiger Hand, ohne Hast, fügt sich für uns aus all ihren Details und der Rückwärtsgewandtheit ein sehr klares Bild und man erlangt ein tiefes Verständnis für ihre Figuren. Für ihre inneren Schubladen, in denen viel verschlossen ist, Stolz, Scham, Verletzungen, Zurückweisung, religiöse Verklärung und so manches Missverständnis auch.
Bis zum 18.01.2024 ist in der ARD Audiothek die Hörfassung von hr2-kultur und DAV noch kostenlos streambar. Es lesen sehr eindrücklich Petra Morzé und Gertrud Roll. Die beiden Vorleserinnen passen hervorragend zu den Erzählsträngen und dem Erzählen beider Hauptfiguren. Für alle die lieber hören wollen statt lesen, empfehle ich sie gern!
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