*Rezensionsexemplar*
Donnerstag, 23.05.2019
Das Wasser so klar und glatt, dass man bis auf den Grund schauen konnte. Die Bäuche der kleinen, bunt lackierten Schiffe spiegelten sich in seiner Oberfläche. Der Himmel war blank geputzt. Ich spüre wie ich bei diesen inneren Bildern ruhig werde. Diese Wirkung hat Wasser immer auf mich.
Es ist schon seltsam, wie manche Erinnerungen in mir hochsprudeln, wenn ich bestimmte Wörter oder Sätze lese.
Das Foto im Beitrag habe ich diesmal selbst geschossen, in einem Hafen auf den Faroer, in den Ferien vor jetzt beinahe zwei Jahren. So ruhig war es hier gewesen, so entspannt …
Die Ruhe vor dem Sturm muss es auch gewesen sein, die Burghardt Klaußner im Sinn hatte, überlege ich, als er seine Geschichte „Vor dem Anfang“ ersann.
Vielleicht ja auch nicht. Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Was kann denn vor einem Anfang liegen? Was passiert sein? Ab wann fängt eigentlich etwas an?
Neugierig gemacht hat er mich, und die Entscheidung seinen Debütroman aus dem Jahr 2018 hörend zu erleben, war schnell gefallen, liest er ihn doch selbst ein und ich wollte wissen, wie er mit seinem eigenen Text umgeht, und ja vielleicht kann man ihn hier noch eine Prise empathischer erleben, kennt er doch jedes Wort quasi persönlich.
Als dann, hören wir doch mal genauer hin …
Vor dem Anfang (Burghardt Klaußner)
Fritz und Schulz harrten kurz vor Kriegsende rauchend vor einem qualmenden Aktenstapel auf dem ältesten Flugplatz des Reiches aus. Der trinkfeste Fritz, übergewichtig und mit Diabetes geschlagen, der nicht der größte Denker, aber verheiratet war, und einen vierjährigen Sohn hatte. Vor Verwundungen und Fronteinsätzen hatten ihn seine Beziehungen geschützt.
Und Schulz, ihm hing bislang nur ein Steckschuß an, der ihn zurück hierher durch den Krieg gebracht hatte, grüblerisch, schlank und zäh wie er war. Ein ungleiches Paar die beiden, wie sie so da saßen und den aufsteigenden Aschewölkchen mit ihren Blicken folgten. Viel gab es hier jetzt nicht mehr zu tun, vom Spuren beseitigen mal abgesehen.
Dann kam er, der letzte Befehl, der letzte Auftrag. Kurz bevor die Russen hier sein würden, sollten sie die Kasse retten und zum Reichsluftfahrtministerium bringen. Abseits der Truppe, im Auftrag der Truppe, so lautete ihr Marschbefehl. Siebenhundertfünfzig Reichsmark galt es zu transportieren, dies ohne weitere Rückendeckung. Das wie es ihnen gelingen sollte, war ihre Privatsache, hatte der Spieß noch feixend gesagt, bevor die beiden auf zwei klapprigen Fahrrädern ihre Mission im besten Wortsinne “antraten”.
Als ihnen kurz darauf, nachdem ein Offizier sie angehalten und ihren Marschbefehl wohl als nicht ganz so glaubwürdig erachtet hatte, die ersten Schüsse um die Ohren und die Schutzbleche pfiffen, wurde den beiden erstmals bewusst, dass ihre Unternehmung von außen betrachtet wohl eher nach einer Flucht, denn nach einem Auftrag aussehen musste. Sie beide unterwegs zum RLM, mit voller Kraft in die Pedale tretend, die versiegelte Flugplatzkasse auf dem Gepäckträger und Schulz, Schulz stürzte im Kugelhagel …
Burhardt Klaußner, Schauspieler und erfahrener Hörbuchsprecher hat sich in seinem ersten Roman einem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte verschrieben.
Er hat sich ein Roadmovie der besonderen Art, eine mal spannende, mal finstere, mal melancholische Geschichte erdacht und er erzählt sie mit einem leichten, feinen Humor, mildert so die Düsternis dieser Zeit.
Respekt zolle ich seinen Figuren Fritz und Schulz, die als einfache Hilfskräfte der Flughafenleitung keine Uniform tragen dürfen, von jedem rumkommandiert und rumgeschubst werden, wie unerschrocken und mit welchen Tricks und mit welcher Schläue sie dieses, ihr Abenteuer angehen, im Herzen der Gefahr unterwegs, die Angst vor Verhaftung reist auf ihren Gepäckträgern mit.
Ein bisschen so, als seien Tom Sayer und Huckelberry Finn erwachsen und im Nachkriegsdeutschland unterwegs. Der vorlaute Fritz und der mit ihm hadernde Schulz werden unfreiwillig zu Gefährten und damit zu einer kleinen Schicksalsgemeinschaft. Hier läuft nichts geradeaus, sie schlagen Haken wie die Hasen.
Vom trunksüchtigen Vater hatte Fritz sich mit siebzehn durch einen Tritt in den Hintern befreit. Der Vater hatte ihn zu dem Rebellen gemacht, der er war. Seine Wehrhaftigkeit kam ihm jetzt als Erwachsener in dieser Zeit, in der es legitimiert war rücksichtslos Gewalt auszuüben und sich auch noch an ihr zu berauschen, allerdings mehr als gut zu pass.
“Er war was die Situation erforderte. Er spiegelte die Zeit und sie befand sich auf seiner Höhe”. (Textzitat)
Zwischen Laubenkolonien, Kleinbürgertum und Straßensperren. Zwischen Gaststätten und Gestapo, Blumenkohl und Spitzeldiensten. Fliegerstaffeln und zurückgelassenen Familienangehörigen. Zwischen Stalinorgeln und Greifern der Feldgendarmerie. Zwischen Verstecken und Ruinen, schlüpfen die beiden Kameraden durch die Maschen eines Netzes, dass durchlässig zu werden beginnt.
Von Scharfschützen, die von Bäumen fielen. Schwarze, weltuntergangsähnliche Nächte, erfüllt von Furcht und Sorge, aber auch von Mut und Tapferkeit. Ein kleines Schiff, das wirkt wie ein lebensrettender Anker. Wer den Naturgewalten auf diese Weise trotzen konnte, dem konnten auch Granaten und Kriegstreiber nichts anhaben.
Aufmärsche und unerwartete Begegnungen, gestandene Männer geraten ins Wanken. Hier kann man mitten im Krieg eine Segelregatta auf der Havel erleben. Der Wannsee, liegt wie eine Insel inmitten von Trümmern. Das zerbombte Berlin in Hörweite, herrschte hier am See eine Sanftheit, die es möglich machte zu vergessen. Handgriffe, die mit traumwandlerischer Sicherheit ausgeführt werden, die eine Routine erschaffen, die ablenkend und tröstlich wirkte. Klar zur Wende! Diese Kontraste haben mir besonders gefallen.
Auch sprachlich habe ich mich wohl gefühlt bei Burghardt Klaußner. Er ist ein guter Beobachter, bringt eine Ernsthaftigkeit und gleichzeitig eine Leichtigkeit in seine Sätze, die mich erahnen lassen, wie wichtig ihm Sprache und Ausdruck sind. Dann etwa, wenn er von bangen Stunden im Luftschutzkeller berichtet.
“Vor dem Anfang – im Auge des Sturms – am Ende aller Tage”.
Eine Zigarette, eine gerauchte, ist Start-und Endpunkt dieser Geschichte um Gefolgschaft, Kameradschaft und Freundschaft und sie hat mich, den überzeugten Nichtraucher, bestens unterhalten.
Gerne würde ich auch einer weiteren von Klaußner ersonnenen Geschichte folgen, dann auf jeden Fall wieder hörend, keine Frage. Denn wie aus einem Guss hat sich dieses kleine, feine Hörbuch angefühlt. Mit rund drei Stunden ungekürzter Vorlesezeit, hat man es einerseits viel zu schnell abgelauscht, andererseits fehlte es mir aber an rein gar nichts. Eine runde Sache, mal augenzwinkernd und dann wieder auch mit Ernst vorgelesen. Klaußner singt sogar, wirkt entspannt und aufgeräumt.
Stimmlich ist er eh eine Bank, er muss sich von der Tonlage her nicht verstellen um glaubwürdig zu sein, das ist er auch im Berliner Dialekt, mit “Berliner Schnauze” ebend. Was soll ich also noch mehr sagen, außer vielleicht, dass er für mich sehr gerne noch bei vielen weiteren Produktionen auftauchen darf …
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