“Das einzig wahre Ausland ist die Vergangenheit”. (Textzitat)
Das Leben als großes Abenteuer begreifen. Das funktioniert am besten wenn man jung ist, alles noch vor sich hat, wie ein weißes unbeschriebenes Blatt. Noch ist nicht klar, wie man seine Brötchen einmal verdienen wird. Wem wird man begegnen auf diesem Weg? Wer wird einen leiten, unterstützen, halten wenn man fällt? Freundschaften schließt man am einfachsten wenn man jung ist. Das hört man ebenfalls häufig. Diese Freundschaften haben eine Chance ein Leben lang zu halten. Glück hat, wem das gelingt, eine solche Freundin, einen solchen Freund zu finden und zu halten. Wenn ein Freund gar zum Vorbild wird, wenn eine Bindung entsteht die so eng ist, dass man, ja was macht wenn einem dieser Fixstern verloren geht?
“Es gibt keine Höhenangst, Herr Doktor.” erklärt er mir. Seine Arme flattern wie zwei Flügel durch die Luft. “Es gibt nur Fallsucht. Das ist keine Furcht sondern Lust, der Sog der Tiefe, der Reiz des letzten Schrittes.” (Textzitat)
Dschungel (Friedmann Karig)
Einfach alles schien möglich, die Welt stand ihnen offen.
Mit fünfzehn, zum ersten Mal gemeinsame Ferien. Südfrankreich, und Felix hatte ihn auf diesen Berg geschleppt. Das Gras hatte sie in ihre nackten Beine gestochen, ihre dünnen T-Shirt hatten schon bald an ihnen geklebt. Sie kannten sich schon ewig, waren beste Freunde. Taten so, als wären sie gleich, dabei waren sie alles andere als das. Wo Felix draufgängerisch und risikobereit war, war sein Freund eher auf Sicherheit bedacht und zurückhaltend.
Ein Jahr war es jetzt her. Ein Jahr, seit Felix nach Asien aufgebrochen war. Diesmal hatte er “es” alleine machen wollen. Mindestens sechs Monate wollte er fort sein.
Man konnte nicht einfach so verschwinden, oder doch? Hatte Felix das vielleicht sogar geplant? Ihn deshalb nicht nach Kambodscha mitnehmen wollen? Dabei hatte er doch immer sein doppelter Boden sein sollen. So war er jetzt derjenige, dem zwangsläufig die Rolle zufiel ihn zu suchen. Verdammt, das sollte er ihm schuldig sein? Felix Mutter, die Freundin, die gemeinsamen Bekannten bedrängten ihn, war jetzt sein bester Freund, oder nicht? Wenn nicht er, wer dann, konnte, nein, sollte ihn suchen und finden …
Friedemann Karig, wurde 1982 bei Freiburg geboren und im Schwarzwald, wie er in seiner Vita angibt, von einer Kuckucksuhr aufgezogen. Er arbeitet als Autor, Moderator und Journalist.
Den Erzählton, den er in seinem “Dschungel” anschlägt, habe ich als modern empfunden. Seine Sätze als pfeilschnell, sie treffen ihr Ziel punktgenau, haben Widerhaken. Dann wieder sind sie kristallklar und funkeln. Er beschreibt, misst und wiegt, und im Kopf seines namenlos bleibenden Ich-Erzählers sehen wir die Fragen, die wirklich wichtigen, auf die auch wir keine Antwort kennen, selbst wenn wir sie ihm gerne geben würden.
Es gefällt mir richtig, richtig gut wie er schreibt! Es hat so was frisches, wirkt herrlich unverkrampft und so, als sprudele als das nur so aus ihm heraus. Seine Geschichte lädt er mit Überraschungen auf, und ich merke alsbald wie ich mehrfach die Augenbrauen hochziehe.
Die Sprüche, die er drauf hat sind mal sanft und nachdenklich, mal markig. So packt seine jugendlichen Helden eine “hemmungslose Egalheit”, Betten sind bei ihm auch nur “Ladestationen für Menschen, unsere Leben betrachtet er wie ein unfertiges Puzzle, ist aber nicht auf der Suche nach dem nächsten passenden Teil, sondern er will die unglaubliche Schönheit dieser Aufgabe begreifen. Ich ertappe mich beim Lächeln.
Wie macht man das, dem Leben immer positiv entgegen gehen? Nicht über das Morgen grübeln? Wir alle wissen nicht, was hinter der nächsten Lebensbiegung auf uns wartet. Warum sich also Sorgen machen? Wie entspannt muss es sich anfühlen, vor der Veränderung keine Angst zu haben? Daran zu glauben, dass wenn sich eine Tür schließt, sich immer auch eine andere öffnet.
Karig lässt mir Platz zwischen den Zeilen für meine eigenen Gedanken, genau das mag ich. Wenn ein Autor mich nicht mit der Ausführlichkeit seiner Beschreibung erstickt.
Seinen Helden mochte ich sofort, der sich gerne klein macht, so klein, dass er sich vor dem Leben verstecken kann. Der sich in Hotels immer einsam fühlt, bedroht von grauer Langeweile, der nicht gerne fliegt und dem unterwegs immer kalt ist. Trotzdem kämpft er, überwindet sich für Felix und letztlich auch für sich.
Immer wieder baut Karig Rückblenden ein, Rückschauen des Freundes auf den Freund aus Kindertagen, auf Faustschläge und Gerangel ebenso, wie auf das Gefühl, dass zwischen diese beiden kein Blatt gepaßt hat. Bei genauerer Betrachtung aber mehren sich in mir die Zweifel, ob da nicht doch auch ein Schatten zu erkennen ist und ich beuge mich ganz weit vor um das Geheimnis zu erspähen …
Karigs Plot ist eben durch diese Rückblenden äußerst geschickt konstruiert. Er versteht es damit eine Grundspannung aufrecht zu erhalten, die mich an seiner Geschichte hat kleben lassen wie eine Klette.
“Mein bester Freund, auf welchen Pfad führst Du mich?” Wie weit geht man um das zu tun, was dem anderen gefällt? Wer ist man, wenn man sich selbst im Nacheifern verliert?
Verständnisvolle Chefs, besorgte Mütter und Freundinnen, Back-Packer und Lebenskünstler stehen in diesem Abenteuer Spalier.
Zwischen Tuc Tucs, Tempeln, Garküchen und Grillrosten, auf denen Frösche und Hühner braten wird das Handyfoto des Freundes hergezeigt, in lächelnde Gesichter geblickt, die Hoffnung, die Hoffnung auf einen Funken des Wiedererkennens nährend.
Zwischen Vorwürfen und Schuldgefühlen, Ankor Wat und den Killing Fields, wo die Roten Khmer einst Babys an den Bäumen totgeschlagen hatten. In einer Plastiktüte dann die Hinterlassenschaft eines alten Lebens, einsame Inseln und Aussteigerträume …
Schwüle Hitze, sirrende Moskitos, salzige, kühlende Gischt, innere Rastlosigkeit, sich betrinkend und an Mutproben erinnernd, taumelt unser Held durch ein vernarbtes Land.
“Salz ist in allem was zählt. Im Essen, im Blut und in Tränen”. (Zitat)
Von schmerzhafter Schönheit, vom Versuch vorwärts zu leben und rückwärts zu verstehen und davon, dass es oft leichter ist mit Fremden zu besprechen was einen umtreibt. Leichter als mit denen, die einem in Liebe zugewandt sind.
“Das Selbst hat kein einziges Atom, das man anfassen könnte. Es entsteht nur in Deinem Kopf”. (Textzitat)
Besonders gefallen hat mir neben der Geschichte der beiden Freunde, das sich Karig auch mit den Fußabdrücken beschäftigt, die wir Touristen in der Welt hinterlassen. Dies nicht moralisierend, sondern quasi nebenbei. Wie sehr wir doch oft dem Abenteuer “Ferien” hinterher jagen.
Es geht um Demut, um Unbelehrbarkeit. Zum größten Feind des Glücks kann eine Lebensmaxime werden, die auf die unaufhörliche Steigerung der Ereignisdichte gerichtet ist, so Karigs Felix – und ich meine, recht hat er, so recht! Wie sehr treibt uns die Angst um, etwas zu verpassen? Treibt uns ein Leben lang vor sich her. Ja, wir verpassen was, nämlich das Hier und das Jetzt, uns und einander.
“Eine Freundschaft wiegt nur so schwer, wie die in ihr behüteten Geheimnisse”. (aus Kambodscha)
Lebenslügen und Sinnsuche treffen auf Abenteuerlust, reichlich Lebensweisheiten gibt es gratis. Ein Roman der es auf meine Jahresbesten-Liste geschafft hat, der zu einer der Entdeckungen meines Hör-Frühlings geworden ist, auch wegen diesem Herrn hier, zehn Stunden und neunundzwanzig Minuten hatte ich seine Stimme im Ohr und er fehlt mir jetzt schon …
Fabian Busch, geboren 1975, aufgewachsen in Ost-Berlin, ist Schauspieler, das preisausgezeichnet und Regisseur.
Großartig finde ich, mit welcher Empathie und Sensibilität er diesen Text umsetzt.
Er zetert und hadert, seufzt und leidet, triumphiert und belehrt. Seine Stimme klingt jung, forsch und forschend, er ist dieser Ich-Erzähler, er muss es sein!
Mal wild und unerschrocken, mal ängstlich und zögerlich, gibt er die beiden Jungs, die beiden Jungen Männer. Zu Karigs Stil paßt er hervorragend, beide gehen eine geniale Symbiose ein. Autor und Vorleser haben in mir eine Saite angeschlagen, mich dort erreicht, wo nicht viele Geschichten hinkommen!
Danke, die Herren! In Ihrem Dschungel verirre ich mich gerne wieder, und sollte Ihre nächste Reise eine andere Richtung einschlagen, ich bin auf jeden Fall auch dann wieder mit dabei …
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