Vom Aufstoßen der Fenster – HEYM

Auszug aus “Auftakt” von Stefan Heym
Die Stadt rauscht auf,
jedoch es klingt nicht mehr,
wie es vor Jahren noch betörend klang,
denn die Gesichter wurden langsam leer
und alles Leichte wurde schwer
die Augen und die Stirne und der Gang.

Es klingt nicht mehr,
die Instrumente sind angefault,
und rostig und verstimmt.
Man ist nervös, als wittere man schon Brände,
von denen eben nur die Zündschnur glimmt.

Heute, am 16. Dezember 2021 jährt sich der Todestag des Dichters Stefan Heym zum 20. Mal. Heym war ein Flüchtender und der Grund seiner Flucht ein Gedicht. Er schrieb es 1933. Er floh aus Deutschland. Über die Grenze. Vor dem was sich da anbahnte. Floh, weil er die Grenzen, die ihm wichtig waren, um auszudrücken was er empfand, nicht verschieben wollte.

Zu Ehren seines Todestag hat der Argon Verlag in diesem Jahr 19 seiner Gedichte, aus rund 300 die er geschrieben hat, in außergewöhnlicher und wie ich finde, bemerkenswerter Form herausgegeben. Gedichte, die nun fast ein Jahrhundert alt sind, die eine Zeitlosigkeit ausstrahlen, die nachdenklich und Staunen macht.

Stefan Heym, geboren am 10. April 1913 in Chemnitz, als Sohn eines jüdischen Kaufmanns unter dem Namen Helmut Flieg, war einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR. Am 7. September 1931 erschien sein antimilitaristisches Gedicht “Exportgeschäft” in der sozialdemokratischen Tageszeitung “Volksstimme” und der Abdruck sorgte dafür, dass er das Gymnasium seiner Heimatstadt verlassen musste. Er wechselte die Schule und ging nach Berlin. 1933 floh er nach dem Reichstagsbrand in die Tschechoslowakei und nahm den Namen Stefan Heym an. 1935 gelangte Heym über ein Stipendium in die USA, nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an und erlebte auf Seiten der Amerikaner den Zweiten Weltkrieg an der Front. 1952, in der McCarthy-Ära, wanderte er zeitgleich mit Charlie Chaplin und Bertolt Brecht aus und zog nach Prag, von wo aus er später in die DDR übersiedelte. Zeit seines Lebens engagierte sich Heym politisch, ging nie den Weg des geringsten Widerstandes und der seine gegen das SED-Regime brachte ihm 1965 gar ein Veröffentlichungsverbot und 1969 eine Geldstrafe ein. Der streitbare Heym verstarb am 16. Dezember 2001 in En Bokek/ Israel.

Kann man Lyrik auch hören? Darf man sie postum vertonen? Muss man sie nicht viel mehr lesen um ihren Rhythmus aufnehmen zu können? Kann man den Ton eines Dichters so aufnehmen wie er ihn verstanden haben wollte, wenn man ihn nicht mehr dazu befragen kann? Als Lyrik- und Hörbuch-Fan der ich bin musste ich das herausfinden. Here we go also:

Vom Aufstoßen der Fenster – HEYM – Deutschmann, Moheit, Stadlober

HEYM – nennen sich die Urheber dieses Kunststückes und das sind im Einzelnen, der Schauspieler Robert Stadlober, der alle Lieder zu Stefan Heims Texten komponiert hat, Gitarre spielt und singt. Das er ein grossartiger Vorleser ist, brauchte er mir nicht mehr zu beweisen. Aus einigen großartigen Hörbuch-Fassungen kenne ich ihn bereits, aber kann er auch singen?

Er kann es und er tut es, sehr gut sogar und Klara Deutschmann, die in diesem Fall auch Oboe spielt, steht ihm in nichts nach. Ihre Stimme klingt klar und glockenhell und die Untermalung der Verse durch das Akkordeon von Daniel Moheit, dem Dritten im Bunde, wirken ganz unvergleichlich mit dem Text. Sein Instrument klingt bisweilen in meinen Ohren wie eine Schalmei, oder wie in einem französischen Chanson, dann kreischt plötzlich eine E-Gitarre auf, jemand kratzt über die Saiten und mir stellen sich die Nackenhaare auf bei “Deutscher Zuchthausmarsch“.

Nicht jedes der Musikstücke ist ein Wohlklang, an einigen kann man sich reiben, sich die Ohren stoßen, aber sie werden stets der Aussage von Heyms Versen gerecht, die jetzt modern und wie Songtexte wirken, als seien sie nie etwas anderes gewesen, symbiotisch fügen sich Töne und Wörter zu einem Gleichklang.

Mal fühlte ich mich an die Band Silly erinnert und an die wunderbare Anna Loos, die deren Texte eine Zeit lang gesanglich interpretierte. Mal wird es richtig schräg, mit knisternden, beinah synthetischen Klängen, die bedrohlich anschwellen und mir eine Gänsehaut machen.

Kontrastreich sind die Stücke und HEYM jonglieren gekonnt mit diesen Gegensätzen. Am liebsten mochte ich die zweistimmigen Harmonien von Stadlober und Nachtmann. Den kratzigen Punksound à la Die Toten Hosen am wenigsten, auch wenn er zum Inhalt sehr gut gepasst hat. So habe ich Lyrik noch nie gehört und ein Lieblingsstück, nein gleich zwei, habe ich auch gefunden. Aus ihnen habe ich zu Beginn und zum Ende des Beitrages ein paar Zeilen zitiert.

Das man durch das Vorlesen eine Geschichte auf eine ganz andere Ebene heben kann ist nicht neu, das Songtexte poetisch sein können auch nicht. Dass man um Lyrik zu vertonen behutsam sein muss, ist für mich eine Notwendigkeit und in diesem Fall ist das ganz meisterhaft gelungen. Dabei hat man sich nicht nur auf eine Stilrichtung beschränkt, sondern hat ganz eng am jeweiligen Gedicht entlang entschieden was passt. So bestechen mal Reduziertheit und Puristik, mal Folk, der Stil eines Liedermachers oder eben Punk.

Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für einen Liebhaber von Gedichten und Musik sucht dem sei dieses Kleinod empfohlen. Wer gerne im Advent mit Kuscheldecke und Kerze im Sessel versinkt, findet auf dieser CD Besinnliches und Nachdenkliches. Aufwühlendes und Zärtliches. Hört aus berufenem Mund davon, wie es sich anfühlt, sich selbst fremd zu werden, vom Wunsch die Tage ziehen zu lassen, davon mit sich selbst allein zu sein, von Schmerz und bleichen Gesichtern, vom Aufbruch des Bruders in den Krieg und von der Gewissheit, dass man ihn nicht wiedersehen wird …

Wenn die unerhörten Klänge – Stefan Heym
Wenn die unerhörten Klänge
wilder Frühlingsnacht verrauscht,
und die Wolkenwindgesänge
sich mit Morgendunst vertauscht.

Treten wir ins Licht hinein,
das von feuchten Blättern rinnt;
und wir werden anders sein
als wir je gewesen sind.

Neue Liebe unter neuen
Menschen, die mit frohem Grüssen
sich des neuen Daseins freuen –

Neuer Geist, der uns beschwört!
Eine Welt zu unsern Füssen,
eine Welt, die uns gehört!

Erschienen im Argon Verlag am 01.10.2021, mehr dazu, auch eine Hörprobe, nach Klick auf das Cover. Ich bedanke mich für das Besprechungsexemplar.

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